Das Amtsgericht München hat mit Urteil vom 03.04.2020 zum Aktenzeichen 191 C 8294/19 entschieden, dass ein Reisebusunternehmen nach Missachtung der Maut-Pflicht in Ungarn nur das einfach erhöhte Mautentgelt zahlen muss und keine Verpflichtung zur Zahlung einer zum zweiten Mal erhöhten Nachmaut besteht.
Aus der Pressemitteilung des AG München Nr. 22/2020 vom 29.05.2020 ergibt sich:
Die Klägerin verlangt von der beklagten Reisebushalterin die Zahlung von zwei sog. „Nachgebühren“ für die Nutzung von ungarischen Straßen am 04.05.2017, 18:33 Uhr und am 05.05.2017, 10:31 Uhr. Für den 05.05.2017 wurde um 16:17 Uhr nachträglich, also erst nach Feststellung der Mautverletzungen, für diesen Bus noch eine Vignette gekauft. Die ungarische Mautverordnung in der 2017 geltenden Fassung regelt die Mautpflichtigkeit auf den Straßen Ungarns. Dabei handelt es sich nach der ungarischen Mautverordnung (MautVO) bei der Maut nicht um eine hoheitlich öffentlich-rechtliche, sondern um eine zivilrechtliche Forderung. Zur Zahlung ist jeweils der Halter des Fahrzeugs verpflichtet. Die Vignette für einen Bus kostete 40,39 Euro. Nach der MautVO wird bei einer unberechtigte Straßennutzung eine einfache Zusatzgebühr von 218 Euro fällig, wenn bei einer Kontrolle keine gültige Vignette vorliegt. Wird diese Zahlung nicht innerhalb von 30 Tagen geleistet, tritt an die Stelle der Zusatzgebühr eine um 656 Euro auf dann 874 Euro erhöhte Nachgebühr. Die Klägerin meint, die Beklagte, die die Nachgebühr bislang nicht beglichen hatte, schulde ihr wegen der zwei festgestellten Mautverstöße jeweils 874 Euro sowie weitere 306,54 Euro an durch die MautVO festgelegten Rechtsverfolgungskosten.
Das AG München hat das Reisebusunternehmen verpflichtet, der Ungarischen Nationalen Mauterhebung geschlossene Dienstleistungs AG eine erhöhte Mautgebühr von 436 Euro abzüglich der nachträglich noch bezahlten Maut und weitere 83,54 Euro an Rechtsverfolgungskosten zu zahlen und die Klage insbesondere in Höhe der darüber hinaus verlangten Nachgebühr von weiteren 1.312,00 Euro abgewiesen.
Nach Auffassung des Amtsgerichts handelt es sich nach dem unstreitigen Klagevortrag bei dem klageweise verfolgten Zahlungsanspruch nicht um eine öffentlich-rechtliche, sondern um eine zivilrechtliche Forderung. Die Beklagte schulde der Klägerin das einfach erhöhte Mautentgelt in Höhe von 436 Euro (= 2 x 218 Euro; „einfache Zusatzgebühr“). Die gesetzliche Zahlungspflicht für die Nutzung der Schnellstraße zusammen mit der gesetzlichen Halterhaftung sei nicht zu beanstanden.
Dies gelte auch noch für die (einfach) erhöhte Nachgebühr (hier 218 Euro). Insoweit stelle dies noch eine pauschale Schadensersatzregelung dar, die den Mehraufwand abbilde, der in der Verfolgung von Mautverstößen liege. Eine Inhaltskontrolle, die nach der Angemessenheit dieser Beträge frage, durch das angerufene Gericht findet nicht statt, da das ausländische Recht als solches anzuwenden sei; eine Verletzung des Ordre public liege darin (noch) nicht, da diese Regelungen an sich auch dem deutschen Recht der Leistungsstörung und den Grundgedanken des Schadensersatzrechts nicht völlig fremd seien.
Das anzuwendende (Sach-) Recht dürfe nicht gegen den Ordre public verstoßen (Art 26 Rom-II VO). Dies sei hier der Fall, indem das Recht Ungarns die erhöhte Nachgebühr allein wegen des Zeitablaufs (Nichtzahlung der einfachen Nachgebühr innerhalb von 30 Tagen) nochmals massiv erhöhe (von 218 Euro auf 874 Euro). Diese Regelung stelle einen Strafschadensersatz dar, der gegen den Ordre public verstoße. Eine schon als Strafe ausgestaltete erhöhte Schuld (wegen des Nicht-Lösens der Vignette im Wert von (hier) 40,39 Euro werde bereits die einfach erhöhte Nachgebühr (hier: 218 Euro) erhoben) werde allein wegen des Zeitablaufs nochmals pauschal und massiv verschärft, ohne dass sich der durch die unerlaubte Handlung des Täters (Benutzung der Straße ohne Vignette) feststellbare Schaden erhöht oder sonst verändert habe. Hinzu komme, dass Rechtsverfolgungskosten nach der gesetzlichen Regelung zusätzlich verlangt werden, diese also nicht zur Rechtfertigung der (zweiten) Erhöhung herangezogen werden könnten.
Diese Regelung widerspreche dem Kern des deutschen Schadensersatzrechts, das auch im Falle des Verzugs des deliktischen Schuldners nur den dadurch ausgelösten Verzugsschaden als weitere Schadensposition anerkenne. Für den zweiten Tag wurde noch eine Vignette zum Preis von 40,39 Euro gelöst, der auf die schon angefallene erhöhte Nachgebühr anzurechnen sei.