Das Sozialgericht Stuttgart hat mit Gerichtsbescheid vom 22.04.2020 zum Aktenzeichen S 23 KR 5199/19 entschieden, dass ausnahmsweise die Verordnung nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zulässig ist, wenn diese bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten.
Aus der Pressemitteilung des SG Stuttgart vom 03.08.2020 ergibt sich:
Dazu sei notwendig, dass der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche, so das Sozialgericht.
Die Klägerin beantragte im November 2018 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für die Versorgung mit diversen, nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten und Homöopathika. Aufgrund vieler Erkrankungen und multipler Allergien sei sie auf alternative Medizin angewiesen. Die Beklagte beauftrage den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit einem Gutachten nach Aktenlage und lehnte gestützt hierauf den Antrag der Klägerin ab. Bei sämtlichen beantragten Präparaten handele es sich um nicht verschreibungspflichtige apothekenpflichtige Medikamente, welche nach § 34 SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien. Der Hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin wurde nach erneuter Anhörung des MDK zurückgewiesen.
Die SG Stuttgart hat die Klage nach schriftlicher Vernehmung der Hausärztin der Klägerin als sachverständige Zeugin abgewiesen.
Nach Auffassung des Sozialgerichts besteht kein Anspruch auf Kostenübernahme der begehrten Arzneimittel. Zwar gehöre zum Krankenbehandlungsanspruch der Versicherten gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln, allerdings seien durch § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen. Eine Ausnahmeregelung greife nicht ein. § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V gebe dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) auf, in Richtlinien festzulegen, welche nichtverschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen ausnahmsweise verordnet werden könnten (sog. OTC-Ausnahmeliste).
Nachdem keines der streitgegenständlichen Arzneimittel in der OTC-Liste aufgeführt werde und es sich auch um keine Standardtherapeutika zur Behandlung von schwerwiegenden Erkrankungen handele, es vielmehr im Wesentlichen um Arzneimittel zur Behandlung von Schmerzen, Kreislaufbeschwerden, Venenbeschwerden, Allergien und Harnblaseninfekten gehe, komme ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Kosten nicht in Betracht. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung bestünden nicht. Die Krankenkassen seien verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar sei; zumutbare Eigenleistungen könnten verlangt werden. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel seien in aller Regel zu einem geringeren Preis verfügbar, sodass es den Versicherten grundsätzlich zumutbar sei, diese als Eigenleistung zu tragen.
Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.