Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hat am 15. Januar 2019 mit Urteil (Aktenzeichen 1/18 ) im Organstreitverfahren der Fraktion der AfD im Niedersächsischen Landtag gegen den Niedersächsischen Landtag wegen Feststellung der Verletzung verfassungsmäßiger Rechte („Stiftung niedersächsische Gedenkstätten“) entschieden, dass die AfD nicht in ihren Rechtenverletzt wird
Gegenstand des Organstreitverfahrens war die Frage, ob der Landtag mit seinem Beschluss vom 27. Februar 2018 zur Änderung des Gesetzes über die „Stiftung niedersächsische Gedenkstätten“ verfassungsmäßige Rechte der Fraktion der AfD verletzt hat. Mit diesem Gesetzesbeschluss hatte der Landtag das Stiftungsgesetz dahin geändert, dass der Stiftungsrat der „Stiftung niedersächsische Gedenkstätten“ anstatt bisher mit Vertreterinnen oder Vertretern jeder der dem Landtag angehörenden Fraktionen nunmehr mit vier Vertreterinnen oder Vertretern des Landtages besetzt wird.
Der Staatsgerichtshof hat den Antrag teilweise bereits als unzulässig und im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.
1. Der Antrag ist bereits unzulässig, soweit die Fraktion der AfD eine Verletzung von Rechten aus Art. 20 Abs. 1 und 2, 21 Abs. 1 des Grundgesetzes und aus Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 2 und 3, 19 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 der Niedersächsischen Verfassung (NV) geltend gemacht hat. Aus den genannten Bestimmungen ergeben sich entweder schon keine Rechte, die eine Landtagsfraktion im Organstreitverfahren vor dem Staatsgerichtshof geltend machen kann, oder eine mögliche Verletzung dieser Rechte ist von vorneherein ausgeschlossen.
2. Soweit die Fraktion der AfD eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 19 Abs. 2 Satz 1 und Art. 20 Abs. 2 Satz 1 NV geltend gemacht hat, ist der Antrag zwar zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Der Gesetzesbeschluss des Landtages verletzt diese Rechte nicht.
a. Das „Recht auf Chancengleichheit in Parlament und Öffentlichkeit“ nach Art. 19 Abs. 2 Satz 1 NV umfasst nur das Recht, die politische Arbeit im Parlament in dem Umfang und mit dem Gewicht vertreten und umsetzen zu können, wie es dem jeweiligen Stärkeanteil im Parlament entspricht.
Die die Arbeit „im Parlament“ betreffenden Mitwirkungs- und Teilhaberechte der Fraktion der AfD wurden weder durch den Gesetzesbeschluss noch durch das vorgelagerte Gesetzgebungsverfahren verletzt. Sie hatte hinreichend Gelegenheit, ihre ablehnende Haltung zur Gesetzesänderung in die Debatte einzubringen, und sie hat diese Gelegenheit auch genutzt. Die jeweiligen Abstimmungen sind nach dem Mehrheitsprinzip erfolgt und korrekt verlaufen. Soweit durch den Gesetzesbeschluss die Bestimmung der vom Landtag zu entsendenden Mitglieder des Stiftungsrats geändert worden ist, werden dadurch die parlamentarischen Mitwirkungs- und Teilhaberechte der Fraktion der AfD ersichtlich nicht berührt. Das Recht auf Chancengleichheit „im Parlament“ nach Art. 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 NV verpflichtet den Landtag nicht, jeder Landtagsfraktion die Entsendung eines ihrer Mitglieder in den Stiftungsrat zu ermöglichen.
Auch das Recht auf Chancengleichheit „in der Öffentlichkeit“ nach Art. 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 NV, wie es im Organstreitverfahren von einer Landtagsfraktion geltend gemacht werden kann, bezieht sich regelmäßig nur auf den parlamentarischen Raum. Die Befugnis einer Fraktion, in der Öffentlichkeit zu wirken und hierbei ein Recht auf Chancengleichheit für sich in Anspruch zu nehmen, ist darauf beschränkt, den eigenen Standpunkt und den eigenen Beitrag im Rahmen der parlamentarischen Entscheidungsfindung gegenüber der Öffentlichkeit darzustellen. Ein Recht, sich unabhängig und ohne Bezug zur parlamentarischen Arbeit in der Öffentlichkeit präsentieren zu dürfen, vermittelt Art. 19 Abs. 2 Satz 1 NV den Fraktionen nicht.
Das so verstandene Recht auf Chancengleichheit „in der Öffentlichkeit“ wird durch den Gesetzesbeschluss nicht berührt. Die Entsendung von Vertreterinnen oder Vertretern des Landtags in den Stiftungsrat beruht seit der Gesetzesänderung allein auf dem „Modell der Repräsentanz des Niedersächsischen Landtages im Stiftungsrat“ und verfolgt das Ziel der Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz der Stiftung und ihrer Arbeit. Im Unterschied zum früheren Recht ist nunmehr die mit der Tätigkeit im Stiftungsrat verbundene Möglichkeit der Repräsentanz nicht (mehr) den einzelnen Fraktionen des Landtages eröffnet. Vielmehr geht es nach dem jetzt gewählten Modell einzig und allein um die Repräsentanz des Landtages als Ganzem. Dabei lässt sich der Landtag im Stiftungsrat von vier seiner Abgeordneten vertreten. Diese Abgeordneten werden nach dem Mehrheitsprinzip vom Landtag gewählt. Vorgaben für die Wählbarkeit, insbesondere mit Blick auf die Fraktionszugehörigkeit, formuliert das Stiftungsgesetz nicht. Daher kann keine der Fraktionen des Landtages mehr beanspruchen, einen ihr angehörenden Abgeordneten als Vertreter des Landtages in den Stiftungsrat zu entsenden.
Diesem Wechsel vom Modell der Fraktionenrepräsentanz zu einem Modell der Landtagsrepräsentanz steht das Recht auf Chancengleichheit in der Öffentlichkeit aus Art. 19 Abs. 2 Satz 1 NV nicht entgegen. Diese Norm verleiht den Fraktionen, die die Landesregierung nicht stützen, nur die Befugnis, die allen Fraktionen durch Verfassung, Gesetz oder Geschäftsordnung eingeräumten Rechte in formal gleicher Weise auszuüben, bestimmt selbst aber keine konkreten Aufgaben oder Minderheitenrechte. Der Landtag war daher von Verfassungs wegen nicht gehalten, das den Fraktionen durch das Stiftungsgesetz in der Fassung von 2004 einfachgesetzlich eingeräumte Recht, eine eigene Vertreterin oder einen eigenen Vertreter in den Stiftungsrat zu entsenden, unverändert beizubehalten. Er durfte vielmehr dieses Recht aufheben und stattdessen vorsehen, dass der Landtag aus seiner Mitte vier Vertreterinnen oder Vertreter in den Stiftungsrat wählt. Die Möglichkeit, für diese Wahl zu kandidieren, und die Chance, im offenen Wettbewerb der unterschiedlichen politischen Kräfte die erforderliche Anzahl an Stimmen zu erringen, sind für alle Fraktionen und alle Abgeordneten des Landtages gleich.
b. Das sogenannte Recht auf spiegelbildliche Besetzung von Ausschüssen nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 NV fußt auf dem Recht eines jeden Abgeordneten auf gleiche Teilhabe am Prozess der parlamentarischen Willensbildung, also auf gleichberechtigte Mitwirkung bei den dem Parlament durch die Verfassung übertragenen Aufgaben. Einer Beachtung des Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit bedarf es danach von vorneherein nicht bei solchen Gremien, die nicht in die Parlamentsarbeit eingebunden und damit außerparlamentarisch tätig sind. Ein solches Gremium ist der Stiftungsrat. Er ist neben Vertreterinnen oder Vertretern des Landtages überwiegend mit Dritten besetzt, die nicht dem Landtag angehören. Auf die Auswahl dieser Dritten hat der Landtag keinen Einfluss, weshalb der Stiftungsrat nicht als ein verkleinertes Abbild des Landtagsplenums angesehen werden kann. Zudem sind die dem Stiftungsrat zu-gewiesenen Aufgaben ersichtlich reine Verwaltungsaufgaben, die sachlich keinerlei Bezüge zu den Aufgaben des Parlaments und damit zum parlamentarischen Raum aufweisen. Gremien, die an der Erfüllung anderer als der dem Parlament verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben mitwirken, müssen indes nicht spiegelbildlich besetzt werden, nur weil ihnen auch Mitglieder des Landtages angehören.
Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach, LL.M. vertritt Fraktionen im Fraktionsrecht, Parteien im Parteienrecht und Abgeordnete im Abgeordnetenrecht.