Bundesregierung muss nicht regeln, wer sterben muss, wenn nicht genügend Behandlungsplätze zur Verfügung stehen

17. August 2020 -

Das Bundesverfassungsgericht hat am 16.07.2020 zum Aktenzeichen 1 BvR 1541/20 entschieden, dass die Bundesregierung vorläufig nicht verpflichtet werden kann, ein Gremium einzusetzen, das die Behandlungsentscheidungen im Rahmen der Covid-19-Pandemie auf Grundlage der Triage verbindlich regelt.

Aus der Pressemitteilung des BVerfG Nr. 74/2020 vom 14.08.2020 ergibt sich:

Die Triage-Situation beschreibt das Dilemma, in dem Ärzte und Helfer in einem Katastrophen-Szenario nicht alle Verletzten oder Kranken retten können und deshalb priorisieren müssen.

Die Beschwerdeführenden leiden unter verschiedenen Behinderungen und Vorerkrankungen. Sie gehören daher nach der Definition des Robert Koch-Instituts zu der Risikogruppe, bei der im Fall einer Covid-19-Erkrankung mit schweren Krankheitsverläufen zu rechnen ist. Sie befürchten, aufgrund ihrer Behinderung oder Vorerkrankung medizinisch schlechter behandelt oder gar von einer lebensrettenden Behandlung ausgeschlossen zu werden, weil statistisch gesehen bei ihnen die Erfolgsaussichten einer intensivmedizinischen Behandlung schlechter seien. Diese sollen in der Situation der Triage aber nach den bisherigen Empfehlungen entscheidend sein. Sie wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers, der bislang keine Vorgaben für die Triage gemacht habe. Sie sind der Auffassung, der Gesetzgeber müsse seiner Schutzpflicht für Gesundheit und Leben nachkommen. Vorläufig solle die Bundesregierung ein Gremium einsetzen, das die Triage verbindlich regele.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG hatte vor dem BVerfG keinen Erfolg.

Zwar sei die Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Sie werfe vielmehr die schwierige Frage auf, ob und wann gesetzgeberisches Handeln in Erfüllung einer Schutzpflicht des Staates gegenüber behinderten Menschen verfassungsrechtlich geboten sei und wie weit der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Regelungen medizinischer Priorisierungsentscheidungen reiche. Dies bedürfe einer eingehenden Prüfung, die im Rahmen eines Eilverfahrens nicht möglich sei. Es könne hier auch offenbleiben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber überhaupt im Eilverfahren zur Gesetzgebung verpflichtet werden könne. Vorliegend rechtfertige schon die an den bisherigen strengen Maßstäben für eine einstweilige Anordnung orientierte Folgenabwägung deren Erlass nicht. Das momentan erkennbare Infektionsgeschehen und die intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten lassen es in Deutschland derzeit nicht als wahrscheinlich erscheinen, dass die Situation der Triage eintrete.

Soweit sich der Eilantrag im Übrigen konkret darauf richte, zunächst durch die Bundesregierung ein Gremium auch mit Interessenvertretungen der Betroffenen benennen zu lassen, das die Verteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen vorläufig regele, würde dies die Situation der Beschwerdeführenden nicht wesentlich verbessern. Auch ein solches Gremium wäre nicht legitimiert, Regelungen mit der Verbindlichkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung zu erlassen, auf die es den Beschwerdeführenden gerade ankomme.