Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 15.10.2024 zum aktenzeichen 4 Sa 186/23 entschieden, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer, in dessen Arbeitsvertrag die Anwendung türkischen Rechts vereinbart ist, im Rahmen seiner Arbeitslosmeldung durch die deutschen Sozialversicherungsbehörden überprüfen lässt, ob sein Beschäftigungsverhältnis dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt, so rechtfertigt dies wegen der Wahrnehmung berechtigter Interessen keine Kündigung. Ebenso wenig kann hierauf ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers gem. § 9 KSchG gestützt werden.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage gegen die beiden Kündigungen vom 19.02.2021 sowie vom 19.01.2022 und dem Weiterbeschäftigungsantrag zurecht stattgegeben und den Auflösungsantrag abgewiesen.
Die Kündigung vom 19.02.2021 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien weder außerordentlich fristlos noch ordentlich fristgerecht aufgelöst. Die Beklagte hat keinen Grund dargelegt, der die Kündigung gem. § 626 BGB oder § 1 KSchG rechtfertigt.
Auf das Arbeitsverhältnis ist trotz der vereinbarten Anwendung t Rechts gem. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom-I-VO deutsches Kündigungsschutzrecht anzuwenden, da durch die Rechtswahl dem Arbeitnehmer nicht der Schutz der zwingenden Normen des Rechts entzogen werden darf, welches bei objektiver Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 4 Rom-I-VO anzuwenden wäre. Dies ist das deutsche Kündigungsschutzrecht, welches als günstiger und damit als zwingend anzusehen ist. Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem Teilurteil des LAG Köln vom 18.01.2022 – 4 Sa 312/21 – unter III.2.a.bb verwiesen, welches zu der ersten Kündigung der Beklagten vom 14./17.02.2020 ergangen ist.
Die Kündigung vom 19.02.2021 ist nicht gem. § 626 BGB gerechtfertigt. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist der Beklagten nicht unzumutbar.
Die Kündigung gilt zunächst nicht gemäß §§ 7, 4 Satz 1, 13 Abs. 1 KSchG als wirksam. Der Kläger hat seine Klage am 01.03.2021 rechtzeitig innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung am 25.02.2021 eingereicht.
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – ebenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 -, Rn. 15, m.w.N., juris; Urteil vom 17.03.2016 – 2 AZR 110/15 –Rn. 17, juris).
Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel – etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung – gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen (BAG, Urteil vom 23.08.2018 – 2 AZR 235/18 – Rn. 40, juris; Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 27, juris). Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Je höher er ist, desto größer ist diese (BAG, Urteil vom 16.08.1991 – 2 AZR 604/90 -, Rn. 45, juris).
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 -, Rn. 29f, juris; Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 28, juris; Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – Rn. 22, juris).
Bewusst wahrheitswidrige Erklärungen, die ein Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber abgibt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können, können geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer, der bewusst falsch vorträgt, um sich einen Vorteil im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber zu verschaffen, verletzt in erheblicher Weise seine nach § 241 Abs. 2 BGB bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Dabei spielt es keine Rolle, ob der wahrheitswidrige Vortrag letztlich für das Gericht entscheidungserheblich ist (vgl. BAG, Urteil vom 24.05.2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 26, juris; Urteil vom 08.11.2007 – 2 AZR 528/06 – Rn. 17, juris). Zu berücksichtigen ist aber auch, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren – etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst – durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG, Urteil vom 09.09.2010 – 2 AZR 482/09 – Rn. 12 mwN, juris). Darüber hinaus ist mit Blick auf eine prozessuale Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. April 1991 – 2 BvR 963/90 – Rn. 26ff, juris). Anerkannt ist, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Auch dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG, Urteil vom 23.02.2010 – 2 AZR 554/08 – Rn. 32, juris). Dies gilt auch für ehrverletzende Äußerungen, die in keinem inneren Zusammenhang zur Ausführung oder Verteidigung der geltend gemachten Rechte stehen oder deren Unhaltbarkeit ohne weiteres auf der Hand liegt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.04.1991 – 2 BvR 963/90 – Rn. 29, juris).
Darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund ausmachen, ist derjenige, der die fristlose Kündigung ausgesprochen hat (LAG Köln, Urteil vom 01.04.2021 – 8 Sa 798/20 – Rn. 45, juris).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt kein wichtiger Grund vor. Dem Kläger ist keine Pflichtverletzung im Hinblick auf sein Anfechtungsschreiben vom 10.02.2021 vorzuwerfen.
Der Kläger hat in diesem Schreiben seine Anfechtung auf § 123 Abs. 1 BGB gestützt, weil ihm von den Direktoren erklärt worden sei, er habe keine andere Wahl als den Vertragsänderungen zuzustimmen, es bestünde ansonsten das Risiko der Kündigung.
Diese Äußerung ist von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt. Der Kläger hat mit ihr eine für den laufenden Kündigungsschutzprozess prozesserhebliche Willenserklärung abgegeben, nämlich die Anfechtung des neuen, das t Recht vereinbarenden Arbeitsvertrags. Mit ihrer Hilfe wollte er seine Rechtsposition absichern, dass zum einen die streitgegenständliche Kündigung nach deutschem Recht zu beurteilen ist und zum anderen sein Beschäftigungsverhältnis sozialversicherungsrechtlich ebenfalls nach deutschem Recht zu behandeln ist.
Ob dem Kläger im Vorfeld der Erklärungen im Jahr 2018 von den Direktoren der Beklagten für den Fall der Weigerung mit der Kündigung gedroht worden ist, ist zwischen den Parteien streitig. Der Kläger hatte seine Behauptung in dem Schriftsatz vom 28.07.2020 unter Benennung des Niederlassungsleiters S Herrn T konkretisiert, die Beklagte hat den Vortrag bestritten.
Es kann dahinstehen, ob die Behauptung des Klägers wahr ist. Denn es ist nicht erkennbar und ergibt sich auch nicht aus den Darlegungen der Beklagten, dass der Kläger sie leichtfertig oder gar bewusst unwahr vorgetragen hat. Selbst wenn sich die von ihm behauptete Drohung nicht beweisen ließe oder sogar feststünde, dass es keine Drohung gegeben hat, ist nicht auszuschließen, dass der Kläger die im Vorfeld der Vertragsänderung geführten Gespräche in seiner Erinnerung als Drohung abgespeichert hat und deshalb bei der Anfechtung davon ausging, etwas Wahres vorzutragen.
Auch der Hinweis in dem Anfechtungsschreiben auf eine von der Beklagten beabsichtigte Umgehung des deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts kann eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen. Der Kläger hat in dem Schreiben der Beklagten keine Umgehungsabsicht unterstellt. Vielmehr hat er geäußert, er halte die Vertragskonstruktion für unwirksam, soweit mit ihr ein in Deutschland bestehendes Arbeitsverhältnis mit einem Entsendearbeitsverhältnis unterlegt werden sollte, um die Regeln des deutschen Arbeits- und Sozialrechts zu umgehen. Damit hat er lediglich seine Rechtsauffassung wiedergegeben, dass jedenfalls bei Vorliegen einer Umgehungsabsicht die Vertragskonstruktion unwirksam wäre. Im Anschluss hieran gesteht er in dem Schreiben der Beklagten zu, dass über alle diese Fragen unterschiedliche Auffassungen bestünden, die letztlich nur über die Gerichte geklärt werden könnten.
Letztlich handelt es sich bei einer Umgehungsabsicht um eine innere Tatsache, auf die gegebenenfalls aus einer objektiv feststehenden unzulässigen Vertragskonstruktion rückgeschlossen werden kann. Es ist von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt, die Rechtsauffassung einer rechtswidrigen Vertragsgestaltung in einem Rechtsstreit zu vertreten und aus dem objektiven Tatbestand einen entsprechenden Vorsatz abzuleiten. Eine solche Äußerung steht in engem Zusammenhang mit der rechtlichen Bewertung. Sie ist nicht unhaltbar.
Liegt bereits kein wichtiger Grund für die Kündigung vor, kam es nicht mehr auf die Frage ihrer Unwirksamkeit gem. § 174 Satz 1 BGB an.
Die Kündigung der Beklagten vom 19.02.2021 ist sozial nicht gerechtfertigt, sie ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt.
Das Kündigungsschutzgesetz findet gemäß § 1 Abs. 1 und § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG auf das vorliegende Arbeitsverhältnis Anwendung.
Die Kündigung gilt zunächst nicht gemäß §§ 7, 4 Satz 1, 13 Abs. 1 KSchG als wirksam. Der Kläger hat seine Klage am 01.03.2021 rechtzeitig innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung am 25.02.2021 eingereicht.
Der Beklagten steht ein Kündigungsgrund, der die Kündigung sozial rechtfertigen könnte, nicht zur Seite.
Eine Kündigung ist i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers kann – je nach den Umständen des Einzelfalls – eine Kündigung rechtfertigen (BAG, Urteil vom 30.07.2020 – 2 AZR 43/20 – Rn. 44, juris).
Wie bereits zur der fristlosen Kündigung vom 19.02.2021 ausgeführt, ist dem Kläger im Hinblick auf das Anfechtungsschreiben vom 10.02.2021 keine Pflichtverletzung gegenüber der Beklagten vorzuwerfen. Sein Handeln war von der Wahrnehmung berechtigter Interessen im Rahmen der Prozessführung gedeckt. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers ist der Beklagten daher ohne Weiteres zumutbar.
Auch die Kündigung vom 19.01.2022 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien weder außerordentlich fristlos noch ordentlich fristgerecht aufgelöst. Die Beklagte hat keinen Grund dargelegt, der die Kündigung gem. § 626 BGB oder § 1 KSchG rechtfertigt.
Die Kündigung vom 19.02.2021 ist nicht gem. § 626 BGB gerechtfertigt. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist der Beklagten nicht unzumutbar.
Die Kündigung gilt zunächst nicht gemäß §§ 7, 4 Satz 1, 13 Abs. 1 KSchG als wirksam. Der Kläger hat seine Klage am 26.01.2022 rechtzeitig innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung am 21.01.2022 eingereicht.
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – ebenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 -, Rn. 15, m.w.N., juris; Urteil vom 17.03.2016 – 2 AZR 110/15 –Rn. 17, juris).
Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen u. a. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08 – Rn. 17 mwN, juris). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet. Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer – auch unternehmensöffentlich – Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08 – Rn. 17, juris; 24. November 2005 – 2 AZR 584/04 – Rn. 22, juris; 10. Oktober 2002 – 2 AZR 418/01 – Rn. 23, juris; zur ordentlichen Kündigung: 12. Januar 2006 – 2 AZR 21/05 – Rn. 45, juris).
Im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen („Whistleblowing“) ist eine vertragswidrige Pflichtverletzung nicht stets schon dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer die Anzeige erstattet, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen (BAG, Urteil vom 7.12.2006 – 2 AZR 400/05 – Rn. 18, juris; Urteil vom 03.07.2003 – 2 AZR 235/02 – Rn. 28ff, juris). Eine Anzeige kann unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur Kündigung sein, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt (BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 –, Rn. 37, juris; ErfK-Niemann, 24. Aufl. 2024, § 626 BGB, Rn. 64a). Dabei können als Indizien für eine unverhältnismäßige Reaktion des anzeigenden Arbeitnehmers sowohl die Berechtigung der Anzeige als auch die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sprechen.
Darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund ausmachen, ist derjenige, der die fristlose Kündigung ausgesprochen hat (LAG Köln, Urteil vom 01.04.2021 – 8 Sa 798/20 – Rn. 45, juris).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt kein wichtiger Grund für die ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung vor. Dem Kläger kann keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden.
Zum einen hat der Kläger keine Anzeige gegen die Beklagte bei einer Behörde erstattet.
Er hat einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld bei der zuständigen Agentur für Arbeit gestellt und sich nach ihrer Abweisung an das Jobcenter gewandt, um Leistungen zum Lebensunterhalt zu erlangen. Dass diese Anträge zu einer Überprüfung der Sozialversicherungspflicht des Klägers nach deutschem Recht führten, ist eine Folge des Antrags. Hauptzweck war jedoch die von dem Kläger begehrte Leistungsgewährung.
Was genau der Kläger gegenüber den Sozialversicherungsträgern mitgeteilt hat, geht aus dem Vortrag der Beklagten nicht hervor. Sie nimmt lediglich auf das Anhörungsschreiben der AOK vom 23.12.202 Bezug. Dem lässt sich entnehmen, dass die AOK ihre Auffassung von einer Sozialversicherungspflicht in Deutschland darauf stützt, dass der Kläger auch nach dem 01.02.2018 in Deutschland beschäftigt war und keine Fortbewegung aus der T erfolgte, so dass nicht von einer Entsendung aus der T nach Artikel 6 Abs. 3 des deutsch-t Abkommens auszugehen sei.
Die Beklagte erläutert nicht, inwiefern dieser Sachverhalt, soweit er überhaupt von dem Kläger den Sozialversicherungsträgern mitgeteilt wurde, falsch ist. Sie zieht lediglich andere rechtliche Schlüsse aus dem Sachverhalt und ist der Auffassung, dass die Sozialversicherungspflicht für das Beschäftigungsverhältnis des Klägers in der T liegt. Schon gar nicht ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten, dass der Kläger Vorwürfe bei den Behörden erhoben hat. Nicht jede abweichende Rechtsauffassung ist als Vorwurf zu verstehen.
Entscheidend ist letztlich, dass der Kläger bei seiner Antragsstellung in Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen gehandelt hat. Anders, als die Beklagte meint, konnte der Kläger auch nicht auf eine zunächst interne Klärung der Sozialversicherungspflicht verwiesen werden. Denn die Antragstellung auf Arbeitslosengeld ist fristgebunden (§ 38 Abs. 1 SGB III). Für eine interne Klärung der Sozialversicherungspflicht noch vor Ausspruch der Kündigung bestand offenbar für den Kläger kein Bedarf. Eine interne Klärung unterlassen zu haben, kann ihm nicht vorgeworfen werden,
Liegt bereits kein wichtiger Grund für die Kündigung vor, kam es nicht mehr auf die Frage ihrer Unwirksamkeit gem. § 174 Satz 1 BGB oder wegen Nichteinhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB an.
Die Kündigung der Beklagten vom 19.01.2022 ist sozial nicht gerechtfertigt, sie ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt.
Das Kündigungsschutzgesetz findet gemäß § 1 Abs. 1 und § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG auf das vorliegende Arbeitsverhältnis Anwendung.
Die Kündigung gilt zunächst nicht gemäß §§ 7, 4 Satz 1, 13 Abs. 1 KSchG als wirksam. Der Kläger hat seine Klage am 26.01.2022 rechtzeitig innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung am 21.01.2022 eingereicht.
Der Beklagten steht ein Kündigungsgrund, der die Kündigung sozial rechtferti-gen könnte, nicht zur Seite.
Eine Kündigung ist i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers kann – je nach den Umständen des Einzelfalls – eine Kündigung rechtfertigen (BAG, Urteil vom 30.07.2020 – 2 AZR 43/20 – Rn. 44, juris).
Wie bereits zur der fristlosen Kündigung vom 19.01.2022 ausgeführt, ist dem Kläger im Hinblick auf sein Verhalten gegenüber den Sozialversicherungsträgern keine Pflichtverletzung gegenüber der Beklagten vorzuwerfen. Sein Handeln war von der Wahrnehmung berechtigter Interessen im Rahmen der Beantragung von Sozialleistungen gedeckt. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers ist der Beklagten daher ohne Weiteres zumutbar.
Das Arbeitsgericht hat den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag der Beklagten zurecht abgewiesen.
Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob die ausgesprochenen Kündigungen bereits gem. § 174 Satz 1 BGB unwirksam waren und daher der Anwendungsbereich des § 9 KSchG nicht eröffnet ist.
Denn die Beklagte hat keine Gründe vorgetragen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.
Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Deshalb sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (BAG, Urteil vom 24. März 2011 – 2 AZR 674/09 –, Rn. 20, juris; Urteil vom 23.02.2010 – 2 AZR 554/08 – Rn. 22, juris). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (BAG, Urteil vom 8.10.2009 – 2 AZR 682/08 – Rn. 14 mwN, juris). Von diesem Standpunkt aus ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG, Urteil vom 10.07.2008 – 2 AZR 1111/06 – Rn. 43, juris).
Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 674/09 –, Rn. 21, juris; Urteil vom 08.10.2009 – 2 AZR 682/08 – Rn. 15, juris; Urteil vom 07.03.2002 – 2 AZR 158/01 – Rn. 35, juris). In diesem Sinne als Auflösungsgrund geeignet sind etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (BAG, Urteil vom 09.09.2010 – 2 AZR 482/09 – Rn.11 mwN, juris).
Zu berücksichtigen ist aber auch, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren – etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst – durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 674/09 –, Rn. 22, juris; Urteil vom 09.09.2010 – 2 AZR 482/09 – Rn. 12 mwN, juris). Darüber hinaus ist mit Blick auf eine prozessuale Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.04.1991 – 2 BvR 963/90 – RN. 26ff, juris). Anerkannt ist, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Auch dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.04.1991 – 2 BvR 963/90 – Rn. 29, juris; BAG 23. Februar 2010 – 2 AZR 554/08 – Rn. 32, juris).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen keine Auflösungsgründe i.S.v. § 9 KSchG vor.
Der Vortrag des Klägers im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses einschließlich der Anfechtungserklärung, die damit in unmittelbarem Zusammenhang stand, ist von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt. Er durfte dort alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein konnte. Deshalb durfte er auch im Rahmen der Frage, welches Recht auf die Beurteilung der Kündigung Anwendung findet, die Behauptung aufstellen, die Beklagte habe die Anwendung des deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrecht umgehen wollen. Damit nutzte er einen eindringlichen Ausdruck, mit dem er seine Rechtsposition unterstrichen hat. Dass diese Behauptung leichtfertig oder gar unhaltbar war, lässt sich angesichts des Umstands, dass jedenfalls die deutschen Sozialversicherungsträger der klägerischen Auffassung zustimmen und von seiner Sozialversicherungspflicht in Deutschland ausgehen, nicht feststellen.
Gleiches gilt für die Einschaltung der AOK im Rahmen des Antrags auf Zahlung von Arbeitslosengeld. Der Kläger war zur Wahrung seiner Ansprüche gehalten, den Antrag zu stellen. Soweit er im diesem Rahmen mitgeteilt haben sollte, dass trotz der Vereinbarung t Rechts von einer Anwendung des deutschen Sozialversicherungsrechts auszugehen ist, weil die Voraussetzungen für eine Entsendung i.S.d. Art. 6 Abs. 3 des deutsch-t Abkommens nicht vorliegen, so ist auch dies von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt. Inwiefern er gegenüber den Sozialversicherungsbehörden einen falschen Sachverhalt geschildert hat, trägt die Beklagte nicht vor.
Das Arbeitsgericht hat dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers zu Recht stattgegeben.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
Sein Anspruch ergibt sich aus den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats (BAG, Beschluss vom 27. Februar1985; GS 1/84, juris). Der Kläger hat im vorliegenden Kündigungsrechtsstreit erst- und zweitinstanzlich obsiegt. Überwiegende schutzwerte Interessen der Beklagten, die einer Beschäftigung entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.