Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 25.05.2023 zum Aktenzeichen 1 C 6.22 entschieden, dass ein visumpflichtiger Drittstaatsangehöriger, der sich noch nie in Deutschland aufgehalten hat, kann auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG nicht ausgewiesen werden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Aus der Pressemitteilung des BVerwG Nr. 41/2023 vom 25.05.2023 ergibt sich:
Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, ist noch nie in das Bundesgebiet eingereist. Im Februar 2018 beantragte er bei der deutschen Botschaft in Ankara ein Visum zum Zwecke des Familiennachzuges zu seiner in Deutschland lebenden deutschen Ehefrau. Im Rahmen der Identitätsprüfung wurde festgestellt, dass gegen ihn eine Interpol-Ausschreibung wegen des Verdachts der Beteiligung an terroristischen Straftaten im Zusammenhang mit dem Bau einer Sprengfalle im Irak vorlag. Der Visumantrag wurde abgelehnt; das dagegen eingeleitete Klageverfahren ruht. Im März 2019 wies die Beklagte den Kläger auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG aus dem Bundesgebiet aus und verhängte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen ihn. Das Verwaltungsgericht hat diesen Bescheid aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten und der Landesanwaltschaft Bayern hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Obwohl sich der Kläger noch nie im Bundesgebiet aufgehalten habe, könne die Ausweisung auf die §§ 53 ff. AufenthG gestützt werden, weil er seine Einreise konkret beabsichtige und betreibe. Wegen der Verwirklichung besonders schwerwiegender Ausweisungsinteressen im Ausland sei es geboten, den Kläger durch die Ausweisung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot vom Bundesgebiet fernzuhalten. Das wegen der Verwirklichung einer schweren staatsgefährdenden Straftat (§ 89a StGB) bestehende Ausweisungsinteresse überwiege das ebenfalls schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers wegen der ehelichen Lebensgemeinschaft. Auch das zuletzt auf 13 Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot erweise sich als rechtmäßig.
Auf die Revision des Klägers hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt. Der angefochtene Bescheid entbehrt einer gesetzlichen Grundlage. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind im Rahmen der Entscheidung über eine Ausweisung die Interessen an der Ausreise des Ausländers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet abzuwägen. Daraus wird deutlich, dass eine Ausweisung an einen Aufenthalt des Ausländers im Inland anknüpft. Dieses Ergebnis wird von gesetzessystematischen Erwägungen gestützt. So beginnt die Frist für das mit einer Ausweisung zu verbindende Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Ausreise des Ausländers (§ 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG); die Regelung setzt damit einen der Ausweisung vorangehenden Aufenthalt in Deutschland voraus. Entsprechendes folgt aus der Gesetzgebungsgeschichte sowie dem daraus abzuleitenden Sinn und Zweck der §§ 53 ff. AufenthG, die vor allem auf die Abwehr von Gefahren für die in § 53 Abs. 1 AufenthG genannten Rechtsgüter, aber auch auf die Berücksichtigung der Bleibeinteressen des Ausländers gerichtet sind. Besteht hingegen bei einem noch nie eingereisten visumpflichtigen Ausländer ein Ausweisungsinteresse, ist dem nach der Konzeption des Aufenthaltsgesetzes in erster Linie im Rahmen der Entscheidung über die Erteilung eines Visums Rechnung zu tragen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 AufenthG). Ob es in solchen Fällen darüber hinaus einer Möglichkeit bedarf, den Ausländer auszuweisen oder ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen, bleibt der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten.