Der Bayerische Verfassungsgerichtshof in München hat es am 21.10.2020 zum Aktenzeichen Vf. 26-VII-20 abgelehnt, die Bestimmungen der Siebten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (7. BayIfSMV) zur Erfassung von Kontaktdaten wegen der Corona-Pandemie durch einstweilige Anordnung außer Vollzug zu setzen.
Aus der Pressemitteilung des Bay. VerfGH vom 23.10.2020 ergibt sich:
Die vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlassene Siebte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 01.10.2020 (BayMBl Nr. 562, BayRS 2126-1-11-G) regelt u.a. die Erfassung von Kontaktdaten bei Veranstaltungen, Tagungen, Kongressen, Messen und Ausstellungen sowie beim Besuch von Gastronomie- und Beherbergungsbetrieben. Nach Art. 4 der Verordnung sind jeweils Namen und Vornamen, eine sichere Kontaktinformation (Telefonnummer, E-Mail-Adresse oder Anschrift) sowie der Zeitraum des Aufenthaltes zu dokumentieren; die Angaben müssen wahrheitsgemäß sein. Die Daten sind den zuständigen Gesundheitsbehörden auf deren Verlangen hin zu übermitteln, soweit dies zur Ermittlung von Kontaktpersonen erforderlich ist; sie sind nach Ablauf eines Monats zu löschen. Gibt jemand falsche Kontaktdaten an, kann das nach § 24 Nr. 3 der Verordnung als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße geahndet werden. Der Antragsteller ist der Auffassung, diese Regelungen griffen in unverhältnismäßiger und gleichheitswidriger Weise in die Freiheitsrechte der Bürger ein, die die Bayerische Verfassung garantiert. Insbesondere sei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Er hat deshalb Popularklage erhoben mit dem Ziel, dass u.a. die Siebte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung für verfassungswidrig und nichtig erklärt wird. Zugleich will er mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen, dass die Vorschriften zur Erfassung von Kontaktdaten sofort außer Vollzug gesetzt werden.
Der VerfGH München hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes liegen keine Gründe vor, die im Interesse der Allgemeinheit eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile unabweisbar machen und eine vollständige oder teilweise Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelungen rechtfertigen.
Die Siebte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung sei auf eine bundesrechtliche Ermächtigung, nämlich § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, gestützt. Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen überschlägigen Prüfung lasse sich nicht feststellen, dass diese Ermächtigungsgrundlage ungeeignet wäre oder den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht genügen würde. Im Bereich des Infektionsschutzes, der bei Eintritt eines Pandemiegeschehens kurzfristige Reaktionen des Verordnungsgebers auf sich ändernde Gefährdungslagen erforderlich machen könne, erscheine es nicht offensichtlich unzulässig, wenn der Gesetzgeber eine offene Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage vorhalte, die dem Verordnungsgeber ein breites Spektrum an geeigneten Maßnahmen eröffne.
Es sei auch nicht ersichtlich, dass die herangezogene Ermächtigungsgrundlage für Regelungen, die eine Erhebung bzw. Verarbeitung persönlicher Daten ermöglichen, von vornherein nicht in Betracht käme. Sie ermächtige den Verordnungsgeber, Personen zu verpflichten, bestimmte Orte oder öffentliche Orte nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Es erscheine deshalb nicht als offensichtlicher Fehlgriff, wenn der Verordnungsgeber auf dieser Grundlage die Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen bzw. den Besuch bestimmter Orte davon abhängig mache, dass Kontaktdaten angegeben werden, um eine Rückverfolgung von Infektionsketten zu ermöglichen.
Es sei nicht offensichtlich, dass der Verordnungsgeber beim Erlass der angegriffenen Vorschriften die bundesrechtlich eröffneten Spielräume überschritten und insbesondere seine verfassungsrechtliche Pflicht zur strengen Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 101 i.V.m. Art. 100 Bayerische Verfassung) verletzt haben könnte. Das Robert-Koch-Institut teile in seiner aktuellen Risikobewertung mit, dass die Dynamik des Infektionsgeschehens in fast allen Regionen zunehme. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Entwicklung bewerte es die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch.
Bei der demnach gebotenen Folgenabwägung überwögen die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe. Der Verfassungsgerichtshof hält hinsichtlich der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in der Siebten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung an seiner bisherigen Bewertung fest. Die fortgeschriebenen Grundrechtsbeschränkungen durch die Bestimmungen der Rechtsverordnung müssten trotz ihrer andauernden nachteiligen Folgen gegenüber der fortbestehenden, in den letzten Wochen sogar erneut gestiegenen Gefahr für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen zurücktreten.
Diese Folgenabwägung gelte auch für die angegriffenen Vorschriften zur Kontaktdatenerfassung. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die hiermit verbundene Beeinträchtigung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung zwar als gewichtig anzusehen sei, der Normgeber aber wirksame Anstrengungen unternommen habe, die Beeinträchtigung der Betroffenen durch die Vorgabe einer kurzen Aufbewahrungsdauer und eines eng begrenzten Verwendungszwecks der Daten in einem möglichst überschaubaren Rahmen zu halten. Es überwiege daher das Interesse an einer Abwehr der im Fall einer Außervollzugsetzung eintretenden Gefahren für Leib und Leben.