Der Europäische Gerichtshof hat am 18.06.2020 zum Aktenzeichen C-639/18 entschieden, dass im Fernabsatz geschlossene Anschlusszinsvereinbarungen nicht gesondert widerrufen werden können.
Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 18.06.2020 ergibt sich:
Eine Anschlusszinsvereinbarung sei nicht als „Finanzdienstleistungen betreffender Vertrag“ im Sinne der Richtlinie 2002/65/EG anzusehen, so der EuGH.
2015 teilte eine private Kundin der Sparkasse Südholstein dieser mit, dass sie die Anschlusszinsvereinbarungen widerrufe, die sie zwischen 2008 und 2010 mit der Sparkasse unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln für drei Darlehen (zwei davon für Immobilien) aus den Jahren 1994 bzw. 1999 geschlossen hatte. Sie vertrat die Auffassung, dass diese Vereinbarungen jeweils Fernabsatzverträge darstellten, und machte geltend, dass sie, da sie bei Abschluss dieser Vereinbarungen nicht über ihr Widerrufsrecht belehrt worden sei, weiterhin zum Widerruf berechtigt sei. Die Kundin erhob in der Folge Klage beim LG Kiel, mit der sie u.a. die Rückzahlung der seit Abschluss der Änderungsvereinbarungen geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen sowie des gezahlten Kontoführungsentgelts verlangt. Die Sparkasse ist der Auffassung, die Kundin sei nicht zum Widerruf berechtigt gewesen, insbesondere weil die Anschlusszinsvereinbarungen keine anderen Finanzdienstleistungen als die Darlehensverträge zum Gegenstand hätten und daher nicht gesondert widerrufen werden könnten.
Das LG Kiel hat den EuGH vor diesem Hintergrund um Auslegung der Richtlinie 2002/65 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher ersucht, nach der Verbrauchern grundsätzlich das Recht zusteht, einen im Fernabsatz geschlossenen, Finanzdienstleistungen betreffenden Vertrag innerhalb bestimmter Fristen zu widerrufen. Der EuGH soll klären, ob die in Rede stehenden Anschlusszinsvereinbarungen als „Finanzdienstleistungen betreffender Vertrag“ im Sinne der Richtlinie anzusehen sind.
Der EuGH hat dem LG Kiel wie folgt geantwortet:
Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.09.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG ist dahin auszulegen, dass eine Änderungsvereinbarung zu einem Darlehensvertrag nicht unter den Begriff „Finanzdienstleistungen betreffender Vertrag“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn durch sie lediglich der ursprünglich vereinbarte Zinssatz geändert wird, ohne die Laufzeit des Darlehens zu verlängern oder dessen Höhe zu ändern, und die ursprünglichen Bestimmungen des Darlehensvertrags den Abschluss einer solchen Änderungsvereinbarung oder – für den Fall, dass eine solche nicht zustande kommen würde – die Anwendung eines variablen Zinssatzes vorsahen.
Nach Auffassung des EuGH ergibt sich sowohl aus einer wörtlichen als auch aus einer systematischen Auslegung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/65, dass unter „Finanzdienstleistungen betreffender Vertrag“ ein Vertrag zu verstehen ist, der die Erbringung solcher Dienstleistungen vorsieht. Diese Bedingung sei aber nicht erfüllt, wenn, wie im vorliegenden Fall, die betreffende Änderungsvereinbarung lediglich bezwecke, den als Gegenleistung für eine bereits vereinbarte Dienstleistung geschuldeten Zinssatz anzupassen.
Das mit der Richtlinie 2002/65 angestrebte hohe Verbraucherschutzniveau erfordere es nicht unbedingt, in dem Fall, in dem gemäß einer ursprünglichen Klausel eines Darlehensvertrags durch eine Änderungsvereinbarung zu diesem Vertrag ein neuer Zinssatz festgelegt werde, diese Änderungsvereinbarung als neuen Finanzdienstleistungen betreffenden Vertrag zu qualifizieren.