Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 21. September 2024 zum Aktenzeichen 1 BvQ 57/24 entschieden, dass der öffentliche Rundfunk rbb das Wahlergebnis der Tierschutzpartei bei der Brandenburg-Wahl nicht ausweisen muss.
Der Antragsteller als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wendet sich gegen den oberverwaltungsgerichtlichen Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der er verpflichtet worden ist, in seinen Ergebnispräsentationen zu der am 22. September 2024 in Brandenburg stattfindenden Landtagswahl unter bestimmten Voraussetzungen Wahlergebnisse der Partei Mensch Umwelt Tierschutz (Tierschutzpartei) in seinem Landesfernsehprogramm auszuweisen.
Der Landesverband Brandenburg der Tierschutzpartei beantragte beim Verwaltungsgericht Berlin am 28. August 2024 den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit ihr sollte der Antragsteller verpflichtet werden, in allen Ergebnispräsentationen zur brandenburgischen Landtagswahl in seinem Landesfernsehprogramm am 22. und 23. September 2024 die (voraussichtlichen) Wahlergebnisse des Antragstellers auszuweisen, sofern er gemäß der jeweils präsentierten Prognose beziehungsweise Hochrechnung beziehungsweise dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mindestens zwei Prozent erreicht und dadurch insgesamt nicht mehr als zehn Landeslisten gesondert ausgewiesen werden müssen.
Zur Begründung verwies die Tierschutzpartei unter anderem auf die Chancengleichheit der Parteien außerhalb von Wahlkampfzeiten. Die Mobilisierung von neuen Mitgliedern und Spenden sei von Verfassungs wegen geschützt, während eine Sperrklausel allein der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments diene. Der Staat sei verpflichtet, den negativen Effekt der Sperrklausel auf kleine Parteien aktiv auszugleichen. Der Rundfunk sei verpflichtet, bedeutende Meinungen in seiner Berichterstattung zu berücksichtigen. Bedeutsam seien auch Parteien, die nicht über die Sperrklausel gekommen seien. Die Nachwahlberichterstattung sei dazu geeignet, die zukünftigen Chancen der Parteien zu beeinflussen. Für das Offenhalten einer kurzfristigen Anpassung des redaktionellen Konzepts könne sich der Antragsteller nicht pauschal auf seine Rundfunkfreiheit beziehen. Eine Anpassung nach den ersten Hochrechnungen indiziere eine Ergebnisabhängigkeit des redaktionellen Vorgehens, das weder mit dem Anspruch auf Chancengleichheit der Tierschutzpartei noch mit ihrem Anspruch auf willkürfreie Entscheidung in Einklang zu bringen sei. Ein Eingriff in die publizistische Freiheit des Antragstellers verkürze diese nicht dauerhaft. Ohnehin bestehe bei der Präsentation von Prognosen und Hochrechnungen ein deutlich geringerer Gestaltungsspielraum.
Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und würde sich eine Verfassungsbeschwerde in einem Hauptsacheverfahren als begründet erweisen, hätte der Antragsteller auf der Grundlage der Wirkungen des angegriffenen Beschlusses sein redaktionelles Konzept zur Berichterstattung über das (voraussichtliche) Wahlergebnis anzupassen. Dies hätte er in den Sendungen dann schon umsetzen müssen. Dabei hätte er vorzusehen, dass er bei allen Ergebnispräsentationen (voraussichtliche) Wahlergebnisse von mindestens zwei Prozent berücksichtigt. Sie müssten erst dann nicht berücksichtigt werden, wenn mehr als zehn Landeslisten gesondert auszuweisen wären.
Mit dieser Maßgabe für das redaktionelle Konzept des Antragstellers können im Sendungsablauf absehbar insofern Änderungen verbunden sein, als eine breitere graphische und erläuternde Darstellung erforderlich werden kann. Sie kann wegen der Einblendung umfänglicherer Grafiken und damit einhergehenden erläuternden Moderationen mehr Zeit als nach dem bisherigen redaktionellen Konzept in Anspruch nehmen. Dies reduzierte umgekehrt Sendezeit für andere konzipierte Schwerpunkte und Inhalte der Sendungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit der durch das Oberverwaltungsgericht gezogenen Grenze von bis zu zehn gesondert auszuweisenden Ergebnissen von mindestens zwei Prozent durchaus merkliche Verschiebungen in der Ergebnispräsentation einhergehen können und sie deutlich umfänglicher als geplant ausfallen kann. Damit hat die angegriffene Entscheidung im vorliegenden Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Parteien gerade weiterreichende Auswirkungen, obwohl sich der tatsächliche Umfang der Verschiebungen wegen der Ungewissheit über (voraussichtliche) Wahlergebnisse naturgemäß nicht im Vorhinein eingrenzen lässt.
Die Nachteile für den Antragsteller stellen sich weiterhin gerade unter Berücksichtigung der Natur des aus dem angegriffenen Beschluss folgenden Eingriffs als von erheblichem Gewicht dar. Es handelt sich um einen Eingriff in die redaktionelle Gestaltungsfreiheit bei der Erstellung und Umsetzung von Konzepten für eine Rundfunksendung. Die Rundfunkfreiheit ist in ihrem Kern Programmfreiheit. Sie gewährleistet, dass der Rundfunk frei von externer Einflussnahme entscheiden kann, wie er eine publizistische Aufgabe erfüllt (vgl. BVerfGE 87, 181 <201>; 90, 60 <87>; 97, 298 <310>; 114, 371 <389 f.>). Die Programmfreiheit bedeutet ein Verbot nicht nur staatlicher, sondern jeder fremden Einflussnahme auf Auswahl, Inhalt und Ausgestaltung der Programme (vgl. BVerfGE 59, 231 <258>). Daher steht das Grundrecht ohne Rücksicht auf öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Rechtsformen, auf kommerzielle oder gemeinnützige Betätigungen jedenfalls allen natürlichen und juristischen Personen zu, die Rundfunkprogramme veranstalten (vgl. BVerfGE 95, 220 <234>; 97, 298 <310>). In diese Gewährleistungsdimension der Rundfunkfreiheit greift die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts tiefgehend ein; dies gilt ungeachtet der Prüfung einer Rechtfertigung des Eingriffs im Verhältnis zu den Rechten der an der Wahl teilnehmenden Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG. In Rede steht nicht die Frage, ob der Antragsteller überhaupt unterhalb der Grenze von fünf Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BbgLWahlG ein berechtigtes öffentliches Interesse an der Ergebnisdarstellung berücksichtigen wird. Dafür ist sein Sendekonzept gerade offen. Vielmehr geht es um die Bewertung, ab wieviel Prozent der Stimmenanteile unterhalb mandatsrelevanter Ergebnisse deren Präsentation einzusetzen hat. Die Kriterien für die Festlegung dieser Grenze sind weder im Tatsächlichen noch verfassungsrechtlich eindeutig bestimmbar. Die vom Oberverwaltungsgericht gezogene Grenze folgt keinen sachlich zwingenden Gründen. Eine andere Festlegung ließe sich gleichfalls vertreten. Die Festlegung der genauen Grenze kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und zudem nicht abstrakt im Vorhinein erfolgen. Denn sie muss auch Stimmbewegungen im Vergleich zu vorausgegangenen Wahlergebnissen in diesem Bereich berücksichtigen, die sich gegebenenfalls erst im Verlauf der Hochrechnungen und (Teil-)Ergebnisse in der Sendung ergeben können. Eine Determinierung im Vorhinein, welcher Bandbreite an Wahlergebnissen unterhalb von fünf Prozent Stimmenanteil jedenfalls Bedeutung zukommt, nimmt im nicht immer vorhersehbaren Verlauf der Programmgestaltung etwaig notwendig werdende Spielräume zur Anpassung eines redaktionellen Konzepts. Die Spielräume der Ergebnispräsentation werden durch die angegriffene Entscheidung stark vorgezeichnet und umgekehrt wird die Programmfreiheit deutlich eingeschränkt, obwohl der Schwerpunkt des Interesses an der Berichterstattung über die (voraussichtlichen) Ergebnisse der Wahl ein anderer ist. Der Schwerpunkt liegt auf der Zusammensetzung des Parlaments und den dortigen Mehrheiten für mögliche Regierungsbildungen.
Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, kann es dazu kommen, dass es an einer Repräsentation der Tierschutzpartei bei der Präsentation des Antragstellers über die Ergebnisse fehlen wird. Diese Einbuße an Repräsentanz in der Nachwahlberichterstattung ist mit Blick auf die von Art. 21 Abs. 1 GG den Parteien gewährleisteten Rechte nicht von erheblichem Gewicht.
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb in seiner Gesamtheit (vgl. BVerfGE 148, 11 <26 Rn. 46>; 154, 320 <336 Rn 48>; 166, 93 <157> Rn. 172). Zwar kann der Ausschluss von gerade publikumswirksamen Sendungen die Chancen einer Partei im Wettbewerb mit anderen Parteien unter Umständen nachhaltig verschlechtern. Dies gilt namentlich für die Vorwahlberichterstattung (vgl. BVerfGE 82, 44 <59>). In dem vorliegenden Fall handelt es sich hingegen um eine Nachwahlberichterstattung, die zu den Chancen einer Partei bei Wahlen allenfalls einen mittelbaren Bezug hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Oktober 2023 – 2 BvQ 189/23 -, Rn. 18). Denn in diesem Zeitpunkt endete bereits das Werben der Parteien um Wählerstimmen und ist nur für die Zukunft relevant. Ein zeitlicher Zusammenhang mit sich unmittelbar anschließenden Wahlen ist hier jedoch nicht gegeben. Ein unmittelbarer Bezug folgt auch nicht aus den künftigen Bemühungen der Tierschutzpartei um die Werbung neuer Mitglieder und das Einwerben von Spenden an die Partei. Dafür erscheint die Nachwahlberichterstattung für Parteien, die die Sperrklausel (voraussichtlich) verfehlen, nicht von entscheidendem Einfluss. Denn das Interesse an der Nachwahlberichterstattung ist zuvörderst auf die Sitzverteilung im künftigen Parlament und den Einfluss der dortigen Mehrheitsverhältnisse auf die Bildung der künftigen Regierung gerichtet. Die Frage nach der künftigen Unterstützung von Parteien, die keine Mandate erzielen, wird vielmehr im Nachgang zu der Berichterstattung über die Wahlergebnisse (wieder) in das Interesse rücken. Der Fokus am Wahlabend und am Folgetag, für den das Oberverwaltungsgericht die Anordnung ausgesprochen hat, liegt hierauf nicht. Dafür stehen zuvörderst andere Sendeformate zur Verfügung.
In der Gesamtbeurteilung der sich ergebenden Folgen wiegen die Nachteile, die dem Antragsteller im Fall der Ablehnung des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung drohen, schwerer als die Nachteile, die für die Tierschutzpartei im Falle der Anordnung entstünden. Während die Einbußen, die sich für die Tierschutzpartei – in Abhängigkeit von den (voraussichtlichen) Wahlergebnissen – einstellen können, nicht von erheblichem Gewicht für die künftigen Chancen im Parteienwettbewerb sind, wären die Nachteile für die Rundfunkfreiheit des Antragstellers im Zeitpunkt seiner Berichtserstattung erheblich. Schon aus dieser unterschiedlichen Eingriffsintensität in die Gewährleistungsgehalte der Rundfunkfreiheit einerseits und die Chancengleichheit der Parteien andererseits folgt das Überwiegen der Nachteile des Antragstellers.