Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 03.05.2017 zum Aktenzeichen XII ZB 415/16 entschieden, dass ein Vater kein Kindesunterhalt mehr leisten muss, wenn die Tochter ein Studium zu einer Zeit beginnt, zu der der Vater nicht mehr mit dem Beginn eines Studiums rechnen musste.
Im konkreten Fall hat ein 1984 geborenes Mädchen im Jahr 2004 das Abitur mit einer Note von 2,3 bestanden. Sie beabsichtigte Medizin zu studieren. Leider bekam sie aufgrund ihrer Note im Abitur keinen Studienplatz. Deshalb entschloss sich das Mädchen von 2005 bis 2008 zu einer Ausbildung im medizinischen Bereich. Im Jahr 2010 erhielt das Mädchen dann den Medizin-Studienplatz über die Wartezeit.
Der Vater sollte für dieses Studium Unterhalt leisten.
Der Vater hatte mit der Mutter und seine Tochter nie zusammengelebt und mit der Tochter das letzte Mal Kontakt, als diese 16 Jahre alt war.
Per Brief hatte der Vater seiner Tochter im Jahre 2004 nach dem Abitur mitgeteilt, er gehe vom Abschluss der Schulausbildung aus und davon, keinen weiteren Unterhalt mehr zahlen zu müssen. Sollte dies anders sein, möge sich seine Tochter bei ihm melden. Nachdem eine Reaktion hierauf unterblieb, stellte er die Unterhaltszahlungen für seine Tochter ein.
Nach dem Bundesgerichtshof umfasst der Kindesunterhalt nach § 1610 Abs. 2 BGB die Kosten einer angemessenen Ausbildung zu einem Beruf. Geschuldet wird danach eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält. Ein einheitlicher Ausbildungsgang in diesem Sinn kann auch gegeben sein, wenn ein Kind nach Erlangung der Hochschulreife auf dem herkömmlichen schulischen Weg (Abitur) eine praktische Ausbildung (Lehre) absolviert hat und sich erst danach zu einem Studium entschließt (sog. Abitur-Lehre-Studium-Fälle). Hierfür müssen die einzelnen Ausbildungsabschnitte jedoch in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen; die praktische Ausbildung und das Studium müssen sich jedenfalls sinnvoll ergänzen.
Der aus § 1610 Abs. 2 BGB folgende Anspruch ist zudem vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt. Der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners (hier des Vaters) zur Ermöglichung einer Berufsausbildung steht auf Seiten des Unterhaltsberechtigten (hier des Mädchens) die Obliegenheit gegenüber, sie mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit aufzunehmen und zu beenden, wobei ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes unschädlich ist.
Eine feste Altersgrenze, ab deren Erreichen der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfällt, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.
Die Unterhaltspflicht richtet sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls.
Maßgeblich ist, ob den Eltern unter Berücksichtigung aller Umstände die Leistung von Ausbildungsunterhalt noch zumutbar ist. Dies wird nicht nur durch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern bestimmt, sondern auch davon, ob und inwieweit sie damit rechnen müssen, dass ihr Kind weitere Ausbildungsstufen anstrebt. Denn zu den schützenswerten Belangen des Unterhaltspflichtigen gehört, sich in der eigenen Lebensplanung darauf einstellen zu können, wie lange die Unterhaltslast dauern wird.
Eine Unterhaltspflicht wird daher umso weniger in Betracht kommen, je älter der Auszubildende bei Abschluss seiner praktischen Berufsausbildung ist. Auch wenn der Unterhaltsanspruch keine Abstimmung des Ausbildungsplans mit dem Unterhaltspflichtigen voraussetzt, kann es der Zumutbarkeit entgegenstehen, wenn der Unterhaltspflichtige von dem Ausbildungsplan erst zu einem Zeitpunkt erfährt, zu dem er nicht mehr damit rechnen muss, zu weiteren Ausbildungskosten herangezogen zu werden.
Nach diesen rechtlichen Maßgaben bestand im vorliegenden Fall kein Unterhaltsanspruch mehr.
Allerdings ist das Studium nicht allein wegen der Abiturnote unangemessen.
Entstehen bei einem mit Numerus Clausus belegten Studiengang notenbedingte Wartezeiten, kann das lediglich zur Folge haben, dass das Kind seinen Bedarf während der Wartezeit durch eine eigene Erwerbstätigkeit sicherstellen muss.
Auch fehlt insbesondere nicht der zeitliche Zusammenhang zwischen Lehre und Studium, weil die Tätigkeit im erlernten Beruf lediglich der Überbrückung der zwangsläufigen Wartezeit diente.
Die Inanspruchnahme des Vaters ist aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls hier unzumutbar, selbst wenn er während der Lehre seiner Tochter nicht für ihren Unterhalt aufkommen musste. Denn bei dem Alter der Tochter von fast 26 Jahre bei Studienbeginn musste der Vater typischerweise nicht mehr ohne Weiteres mit der Aufnahme eines Studiums seiner Tochter rechnen.
Entsprechend hatte er im Vertrauen darauf, nicht mehr für den Unterhalt der Tochter aufkommen zu müssen, verschiedene längerfristige finanzielle Dispositionen (kreditfinanzierter Eigenheimkauf; Konsumentenkredite) getroffen.
Dieses Vertrauen war im vorliegenden Fall auch schützenswert, weil ihn seine Tochter trotz seiner schriftlichen Nachfrage zu keinem Zeitpunkt über ihre Ausbildungspläne in Kenntnis gesetzt hatte.
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