Das Amtsgericht Hannover hat mit Urteil vom 27.07.2020 zum Aktenzeichen 565 C 848/18 in einem Zivilrechtstreit um den Tod zweier Chinchillas entschieden, dass der behandelnden Tierärztlichen Hochschule Hannover ein Anspruch auf Zahlung der Behandlungskosten in Höhe von knapp 450 Euro zusteht.
Aus der Pressemitteilung des AG Hannover vom 27.07.2020 ergibt sich:
Die Tierärztliche Hochschule hatte die Eigentümerin zweier Chinchillas verklagt, da diese sich geweigert hatte, tierärztliches Honorar zu zahlen. Im Rahmen der Behandlung waren die Chinchillas verstorben. Die Beklagte vertrat deshalb die Auffassung, aufgrund von Behandlungsfehlern nicht zahlen zu müssen.
Das AG Hannover hat ein tierärztliches Gutachten zur Ursache des Ablebens der Tiere eingeholt und ist schließlich zum Ergebnis gelangt, dass keine ärztlichen Behandlungsfehler vorgelegen haben.
Nach Auffassung des Amtsgerichts ist die Narkotisierung der Tiere zum Zwecke der Anfertigung von Röntgenbildern im Zusammenhang mit einer Zahnsanierung „lege artis“, also nach den Regeln der ärztlichen Kunst, erfolgt.
Ein Vergütungsanspruch für die erbrachten Leistungen folge aus den am 28.02.2017 mit der Beklagten geschlossenen Behandlungsverträgen. Im Rahmen der von der Beklagten beauftragten Eingriffe am 01.03.2017 und 02.03.2017 führten Ärztinnen der Klägerin röntgenologische Untersuchungen sowie nachfolgende Zahnsanierungen bei den Chinchillas der Beklagten durch.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Forderung durch die erklärte Aufrechnung mit einer unbezifferten Schadensersatzforderung wegen eines Behandlungsfehlers der Klägerin aus §§ 280 Abs. 1, 831 BGB auch nicht untergegangen.
Selbst wenn die Unbeziffertheit der Schadensersatzforderung im Wege der Auslegung noch orientiert an der hiesigen Gesamtforderung auf eine Höhe von wenigstens 452,35 Euro konkretisiert werden könnte, sei die Behandlung in der Heimtierklinik der Klägerin lege artis erfolgt. Eine aufrechenbare Gegenforderung der beweisbelasteten Beklagten bestehe nicht.
Unter Berücksichtigung der eingeholten Gutachten stelle es keinen ärztlichen Behandlungsfehler dar, die Anfertigung der für eine Behandlung erforderlichen Röntgenbilder mit der beauftragten Zahnsanierung im Rahmen einer Narkoseeinleitung zu verbinden. Vielmehr sei bei Berücksichtigung des mit einer Narkose verbundenen Stresses und der körperlichen Anstrengung für die betroffenen Tiere eine Verlängerung der Narkosezeit mit einem geringeren Komplikationsrisiko verbunden, als dies bei einer erneuten Narkotisierung im Rahmen eines zweiten Behandlungsschrittes der Fall wäre. Dies gelte umso mehr, da eine Maulhöhlenanalyse bei Chinchillas als zwingende Voruntersuchung nach Angaben der beauftragten Gutachterin nicht ohne Narkose erfolgen könne. Die von der Klägerin angefertigte Anzahl der Röntgenbilder sei zum Zweck einer vollumfänglichen Beurteilung der Behandlungssituation und des Behandlungserfolges geboten gewesen.
Auch die bekannten Vorerkrankungen standen einer Narkotisierung der Tiere aus ärztlicher Sicht nicht entgegen. Zudem lag eine entsprechende Zustimmung der Beklagten im Rahmen der erfolgten Aufklärung über die grundsätzlichen Narkoserisiken vor. Der Umstand, dass Ephratha erst am 02.03.2017, und damit nach vollständigem Durchlaufen der Aufwachphase verstarb, spreche ebenfalls gegen einen unmittelbar kausalen Zusammenhang zwischen der Narkosezeitverlängerung und einem Versterben des Tieres. Ein Zusammenhang zwischen einer röntgenbedingten Narkosezeitverlängerung von 20 min und dem Tod des Chinchillas Esra sei mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht gegeben.
Ferner sei die Narkose lege artis erfolgt. Eine Antagonisierung von Fentanyl sei im Falle einer unproblematischen Narkose- und Aufwachsituation aufgrund der verbleibenden sehr geringen Wirkung in der Regel nicht erforderlich. Dies gelte auch im Falle einer Triple-Narkose. Der Umstand, dass es sich dabei um eine voll antagonisierbare Narkose handelte, bedeute nur, dass eine gänzliche Antagonisierung erfolgen könne, aus medizinischen Gesichtspunkten aber gerade nicht erfolgen müsse. Dies gelte insbesondere deshalb, da der Einsatz von Naloxon als Antidot mit einem gewissen Komplikationsrisiko verbunden sei. So lag es hier. Anzeichen für das Auftreten von Komplikationen zeigten sich während der Dauer des gesamten Eingriffs nicht. Die Notwendigkeit einer Antagonisierung war aus medizinischer Sicht nicht gegeben und nicht gewollt. Eine Antagonisierung von Fentanyl sorge auch für die Aufhebung der verbleibenden analgetischen Wirkung des Medikamentes, obwohl diese einen wesentlichen Grund für die Verwendung im Rahmen einer Kombinationsnarkose darstelle. Ein ersichtlicher Zusammenhang zwischen dem Tod der Chinchillas und der ausgebliebenen Antagonisierung von Fentanyl bestehe nicht.
Zudem ließen auch die Unklarheiten über die verabreichte Dosierung von Medetomidin den Schluss auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Dosierung und dem Versterben der Chinchillas nicht zu. Die Klägerin stelle unter detaillierter Aufschlüsselung des Operationsablaufs dar, dass es sich bei dem Wert von 0,66 ml Medetomidin allein um einen Übertragungsfehler handelte. Nach berichtigter Angabe der Klägerin erhielt Ephratha lediglich 0,06 ml Medetomidin. Dieser Wert entspreche 0,13 mg/kg. Zwar liege dieser Wert höher als der in der Literatur angegebene Wert von 0,05 mg/kg, jedoch seien die im klinischen Alltag angelegten Dosierungen stets an den Erfahrungen der jeweiligen Behandlungszentren zu messen. Zudem fänden sich in der Literatur auch vereinzelte Medetomidindosierungen bis 0,1 mg/kg. Nach Einschätzung der beauftragten Gutachterin sei möglicherweise auch die Verwendung von weit höheren Dosierungen komplikationslos möglich. Die von der Klägerin verwendeten Dosierungen von Fentanyl und Midazolam lagen unterhalb der in der Literatur zu findenden Angaben. Zudem sammelte die Klinik der Klägerin bereits über Jahre Erfahrung mit der verwendeten Dosierung von Medetomidin. Selbst wenn entgegen der Überzeugung des Gerichts eine Dosierung von 0,66 ml (1,3 mg/kg) Medetomidin angelegt worden wäre, hätte dies nach Angaben der Gutachterin Komplikationen innerhalb der ersten 15-30 min nach der Narkoseeinleitung erwarten lassen, da zu diesem Zeitpunkt die höchste Plasmakonzentration der Medikation zu erwarten sei. Dies gelte gleichermaßen für die von der Klägerin verwendete Dosierung von 0,13 mg/kg. So lag es hier nicht. Ephratha verstarb erst am Folgetag der Operation und auch bei Esra traten während der Operationsdauer keinerlei Komplikationen auf. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Dosierung der Narkosemedikation und dem Versterben der Tiere sei nicht gegeben.
Mangels eines nachgewiesenen Kausalzusammenhangs zwischen der verwendeten Injektionsnarkose und dem Tod der beiden Chinchillas verbleibe für die weiteren Ausführungen der Beklagten zu einer geeigneteren Kombination aus Injektions- und Inhalationsnarkose kein Raum.
Bezüglich des Vorliegens einer zum Tode führenden Tympanie blieb die Beklagte ebenfalls darlegungs- und beweisbelastet. Auch wenn die verabreichte Futtermenge von 21 ml in vier Stunden den von der Beklagten angegebenen Wert von 5-24 ml (über den Tag verteilt) übersteige, reiche dies für die Annahme einer zum Tode führenden Tympanie von Ephratha nicht aus. Nach Angaben der Gutachterin sei die Tympanie vielmehr als Folge einer reduzierten Futteraufnahme zu erwarten. Zudem sei die verabreichte Futtermenge von 21 ml bei Berücksichtigung eines Magenvolumens von 60 ml nicht zu beanstanden. Dafür spreche auch die unkomplizierte Aufnahme des Päppelbreis durch das Tier. Zu einer Abwehrreaktion als Indikator für eine Magenüberladung kam es nicht. Auch ein Verweis auf die Nachtaktivität von Chinchillas dränge nicht zur Annahme einer Tympanie. Einer verlangsamten Magen-Darm-Passage wirkte die behandelnde Ärztin durch die Gabe von Metoclopramid gezielt entgegen.
Das Urteil ist rechtskräftig.