Kein Ermittlungsverfahrens wegen des Tatverdachts auf sexuellen Missbrauch von Widerstandsunfähigen

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 26. November 2020 zum Aktenzeichen 2 BvR 1510/20 entschieden, dass die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Tatverdachts auf sexuellen Missbrauch von Widerstandsunfähigen verfassungsgemäß ist.

Ein Anspruch auf effektive Strafverfolgung besteht – neben Konstellationen, in denen Amtsdelikte oder Straftaten gegen Opfer in einem „besonderen Gewaltverhältnis“ zum Staat im Raum stehen, für die ihm eine spezifische Fürsorge- und Obhutspflicht obliegt – vor allem dort, wo der Einzelne nicht in der Lage ist, erhebliche Straftaten gegen seine höchstpersönlichen Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit der Person abzuwehren, und ein Verzicht auf die effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in das Gewaltmonopol des Staates und einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit und Gewalt führen kann. In solchen Fällen kann, gestützt auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG, ein Tätigwerden des Staates und seiner Organe auch mit den Mitteln des Strafrechts verlangt werden.

Dies bedeutet indes nicht, dass der in Rede stehenden Verpflichtung stets nur durch Erhebung einer Anklage genügt werden kann. Vielfach wird es ausreichend sein, wenn die Staatsanwaltschaft und – nach ihrer Weisung – die Polizei die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel personeller und sächlicher Art sowie ihre Befugnisse nach Maßgabe eines angemessenen Ressourceneinsatzes auch tatsächlich nutzen, um den Sachverhalt aufzuklären und Beweismittel zu sichern. Die Erfüllung der Verpflichtung zur effektiven Strafverfolgung setzt eine detaillierte und vollständige Dokumentation des Ermittlungsverlaufs ebenso voraus wie eine nachvollziehbare Begründung der Einstellungsentscheidungen. Sie unterliegt der gerichtlichen Kontrolle (§§ 172 ff. StPO)

Zwar verbietet Art. 19 Abs. 4 GG, ein von der Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel durch eine überstrenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv zu machen und für den Rechtsmittelführer „leer laufen“ zu lassen. Auch dürfen Formerfordernisse nicht weitergehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt. Dies gilt auch für die Darlegungsanforderungen nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO; § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO spricht von der Angabe der Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und der diese belegenden Beweismittel.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es verfassungsrechtlich jedoch unbedenklich, wenn diese Norm dahingehend ausgelegt wird, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt, und dass die Sachdarstellung in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiederzugeben hat, wodurch das Oberlandesgericht in die Lage versetzt werden soll, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Es verstößt insofern nicht gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, wenn von einem Antragsteller im Rahmen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO verlangt wird, dass er den für strafbar erachteten Sachverhalt in sich geschlossen so darstellt, dass dieser – als wahr unterstellt – die Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten rechtfertigen würde.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht das Antragsvorbringen hinsichtlich des Vorliegens der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen nicht für ausreichend angesehen hat. Insbesondere sind die von der Beschwerdeführerin angeführten Zitate aus ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung erkennbar nicht geeignet, eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Beweiswürdigung der Ermittlungsbehörden hinsichtlich des Vorliegens der subjektiven Tatbestandsmerkmale zu belegen.