Das Oberlandesgericht Hamm hat am 07.05.2020 zum Aktenzeichen III-3 Ws 157/20 entschieden, dass Untersuchungsgefangene in nordrhein-westfälischen Gefängnissen – im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung – keinem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.
Aus der Pressemitteilung des OLG Hamm vom 14.05.2020 ergibt sich:
Der Entscheidung zugrunde lag die Haftbeschwerde eines 32-jährigen Angeklagten, der bereits seit März 2019 in Untersuchungshaft sitzt. Am 07.10.2019 ist er vom LG Bielefeld wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Dieses Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Angeklagte hat mit seiner Haftbeschwerde geltend gemacht, ihm sei im Alter von 16 Jahren eine neue Herzklappe eingesetzt worden. Aufgrund dieser Operation müsse er bis heute Marcumar einnehmen. Er leide unter Kurzatmigkeit, eine Vorschädigung seiner Lunge sei nicht auszuschließen und sein Immunsystem sei geschwächt. Er sei deshalb besonders gefährdet, sich mit dem SARS-CoV-2-Virus anzustecken bzw. infolge einer Ansteckung mit dem Virus und Erkrankung an Covid-19 besonders schwerwiegende gesundheitliche Folgen zu erleiden. In der Justizvollzugsanstalt, in der die Untersuchungshaft zurzeit vollzogen werde, sei er vor diesem Risiko nicht ausreichend geschützt. Beim Freigang würden die Mindestabstände von 1,5 bis 2 Metern nicht überwacht und nie eingehalten. Es gebe keine regelmäßige Reinigung oder Desinfektion der Freiflächen, bei Neuaufnahmen werde kein Infektionstest durchgeführt.
Die Haftbeschwerde hatte vor dem OLG Hamm keinen Erfolg.
Müsse ein Gefangener bei Fortdauer der Untersuchungshaft mit irreversiblen und schwerwiegenden Schäden an seiner Gesundheit oder dem Tode rechnen, verletze die Fortsetzung der Haft sein Freiheitsgrundrecht. Dies ist hier nach Auffassung des Oberlandesgerichts jedoch nicht der Fall. Dabei könne dahinstehen, ob der Angeklagte zu einer sog. Risikogruppe gehöre. Denn es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass Gefangene in nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten einem gegenüber der Durchschnittsbevölkerung erhöhtem Infektionsrisiko ausgesetzt seien.
Bis zum 07.05.2020 seien nach den Zahlen des Robert Koch-Instituts in Deutschland 20,0 von 10.000 Einwohnern und in Nordrhein-Westfalen 19,1 von 10.000 Einwohnern positiv auf das Covid-19-Virus getestet worden. In den nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten seien bis zum 04.05.2020, 14:00 Uhr, bei vier Gefangenen entsprechende Tests positiv gewesen. Selbst wenn nur die Hälfte der Haftplätze in Gefängnissen in NRW belegt sei, liege die Quote der außerhalb des Justizvollzugs positiv Getesteten mindestens viermal höher. Nicht zu befürchten sei, dass die Dunkelziffer der unerkannten SARS-CoV-2-Infektionen im Justizvollzug signifikant höher sei als in der Allgemeinbevölkerung. Denn die Justizvollzuganstalten orientierten sich beim Umgang mit der Epidemie an den Vorgaben des Robert Koch-Instituts.
In der Justizvollzugsanstalt, in der der Angeklagte inhaftiert sei, sei bislang kein Fall eines mit SARS-CoV-2 infizierten Gefangenen oder Bediensteten bekannt geworden. Dies und die geringen Fallzahlen im Justizvollzug in NRW insgesamt sprechen dafür, dass die ergriffenen Maßnahmen jedenfalls in der gegenwärtigen Situation und nach heutigem Kenntnisstand ausreichten, um den Angeklagten ebenso wie alle anderen Gefangenen in NRW angemessen vor einer Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Virus zu schützen. Dazu zählten u.a. ein Besuchsverbot sowie die vorsorgliche Isolierung und Testung von Verdachtsfällen. Soweit der Angeklagte geltend mache, in den Freistunden sei die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern nicht gewährleistet, seien die Gefangenen hierfür in erster Linie selbst verantwortlich. Angesichts der Platzverhältnisse auf dem Freistundenhof der JVA könne sich der Angeklagte jederzeit in einen Bereich des Hofs begeben, in dem die Mindestabstände eingehalten würden.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar.