Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteilen vom 24.11.2022 zu den Aktenzeichen 5 C 1.21 und 5 C 3.21 entschieden, dass dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Festlegung des Erstattungsbetrages für den Sachaufwand, der Kindertagespflegepersonen bei ihrer Tätigkeit entsteht, kein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht.
Aus der Pressemitteilung des BVerwG Nr. 71/2022 vom 24.11.2022 ergibt sich:
Kläger waren zwei Kindertagespflegepersonen aus Dresden bzw. Leipzig, die die Höhe der ihnen jeweils zugebilligten laufenden Geldleistungen nach § 23 des Achten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VIII) beanstandeten. Diese Geldleistungen setzen sich hauptsächlich aus einem Anerkennungsbetrag für die Förderleistung und einem Erstattungsbetrag für die entstehenden Sachkosten zusammen. Sie werden von beiden Städten als Pauschalbeträge gezahlt, die von den Stadträten festgesetzt werden. Die gegen die Höhe des Betrages gerichteten Klagen hatten in den Vorinstanzen im Wesentlichen keinen Erfolg. Im Fall des Klägers aus Dresden hat das Bundesverwaltungsgericht die beklagte Landeshauptstadt zur Neuentscheidung über die Höhe der Sachkostenerstattung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet und die Revision zurückgewiesen, soweit sie den Anerkennungsbetrag betraf. Im Fall der Leipziger Klägerin hatte die Revision insgesamt keinen Erfolg.
Nach der bundesrechtlichen Regelung (§ 23 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII) sind einer Kindertagespflegeperson die angemessenen Kosten zu erstatten, die ihr für den Sachaufwand entstehen. Das sind die bei der Kindertagespflege, welche die Erziehung, Bildung und Förderung des Kindes umfasst, üblicherweise anfallenden Kosten für einen in der Kindertagespflege typischen Standard, die der Höhe nach marktüblich sind und von den Kindertagespflegepersonen endgültig wirtschaftlich getragen werden. Das Bundesrecht schreibt zur Ermittlung der angemessenen Kosten keine bestimmte Methodik vor. Die angewandte Methode muss aber geeignet sein, die Kosten realitätsgerecht und ortsbezogen zu erfassen. Wegen des erforderlichen Ortsbezugs kommt der im Steuerrecht anzuwendenden Betriebskostenpauschale in Höhe von 300 € pro Kind und Monat keine maßgebliche Bedeutung zu. Unter Beachtung dessen ist der Jugendhilfeträger oder die nach Landesrecht zuständige Stelle grundsätzlich verpflichtet, die in diesem Sinne üblichen Kosten zu ermitteln. Soweit eine präzise Ermittlung dieser Kosten angesichts der Vielfalt der Verhältnisse praktisch nicht möglich ist, ist er zu vereinfachenden Sachverhaltsbetrachtungen und Typisierungen berechtigt. Eine solche Typisierungsbefugnis ist aber nicht gleichzusetzen mit einem Beurteilungsspielraum, der die Verwaltung zu einer grundsätzlich abschließenden Entscheidung über das Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale ermächtigt und gerichtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann. Ein Beurteilungsspielraum ist als Einschränkung des durch das Grundgesetz gewährleisteten Rechtsschutzes rechtfertigungsbedürftig und kann nur angenommen werden, wenn er sich hinreichend deutlich dem Gesetz entnehmen lässt. Dies ist hier entgegen der bisher überwiegend vertretenen Meinung nicht der Fall. Daher unterliegt die Festlegung der Sachkostenerstattung der vollen gerichtlichen Überprüfung, die sich in sachgerechter Weise grundsätzlich auf die Prüfung gerügter oder augenscheinlicher Mängel konzentrieren kann.
Insbesondere ist es danach grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn bei der Ermittlung der angemessenen Sachkosten typische Standards anhand von Werten bestimmt werden, die vom Jugendhilfeträger in Konkretisierung gesetzlicher Anforderungen (z.B. für die Erteilung einer Erlaubnis) festgelegt werden, wie dies etwa hinsichtlich der Räumlichkeiten, in denen Kindertagespflege stattfindet, der Fall ist. In gleicher Weise ist es grundsätzlich bedenkenfrei, wenn die Höhe der Raumkosten anhand von Durchschnittswerten aus Miet- bzw. Nebenkostenspiegeln ermittelt wird. Der Senat hält es ebenfalls für grundsätzlich zulässig, wenn Standards des Ausstattungsbedarfs bei Kindertagespflegepersonen unter Rückgriff auf diejenigen in Kindertageseinrichtungen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ermittelt werden. Dies gilt im Ansatz auch in Bezug auf die Ermittlung der hierfür anzusetzenden üblichen Kosten. Die in diesem Sinne angemessenen Kosten dürfen nach der gesetzlichen Regelung (§ 23 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII) auch für alle Kindertagespflegepersonen im jeweiligen örtlichen Bereich einheitlich als Pauschalbetrag der Erstattung festgelegt werden.
Unter Berücksichtigung dessen war es in beiden Fällen nicht – wie von den Klägern gerügt – zu beanstanden, dass die beklagten Städte als Sachkosten nicht die Kosten berücksichtigt haben, die für die Reinigung der Räumlichkeiten durch Dienstleister anfallen würden. Denn in beiden Fällen hat das Oberverwaltungsgericht für den Senat bindend festgestellt, dass die Reinigung üblicherweise in Eigenleistung durch die Kindertagespflegepersonen durchgeführt wird. Daher mussten Fremdleistungen in der Pauschale auch nicht berücksichtigt werden. Im Fall des Klägers aus Dresden war die Beklagte allerdings dennoch zur erneuten Entscheidung über die Sachkostenerstattung zu verpflichten, weil bereits das Oberverwaltungsgericht für den Senat bindend eine unzureichende Ermittlung der zu erstattenden Stromkosten festgestellt hatte. Da insoweit kein Beurteilungsspielraum besteht, kann ein solcher Fehler auch nicht, wie das Oberverwaltungsgericht gemeint hat, allein wegen einer geringen Höhe als unerheblich angesehen werden.
Nicht beanstandet hat das Bundesverwaltungsgericht in beiden Fällen dagegen die Festlegung des Anerkennungsbetrages für die Förderleistung. Diesbezüglich hat der Senat bereits im Jahr 2018 entschieden, dass den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe ein Beurteilungsspielraum zusteht, der hier nicht überschritten worden ist.