Das Sozialgericht Stuttgart hat mit Gerichtsbescheid vom 02.07.2020 zum Aktenzeichen S 1 U 1897/19 entschieden, dass der Kläger keinen versicherten Arbeitsunfall erlitten hat, als er am Morgen nach einer betrieblichen Weihnachtsfeier, die in einer Weinstube stattfand, in den nur 200 Meter entfernten Betriebsräumen auf dem Weg zur Toilette auf einer Kellertreppe stürzte und sich dabei Brüche im Bereich der Halswirbelsäule mit einer Querschnittssymptomatik zugezogen hat.
Aus der Pressemitteilung des SG Stuttgart vom 03.08.2020 ergibt sich:
Der seit einiger Zeit arbeitsunfähig erkrankte Kläger nahm auf Einladung seines Arbeitgebers an der betrieblichen Weihnachtsfeier in einem Weinlokal teil. Die Veranstaltung begann nach übereinstimmenden Angaben gegen 18 Uhr und endete am folgenden Tag gegen 1.30 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt verließ auch der teilnehmende Geschäftsführer die Feier. Der Kläger erlitt gegen 6.00 Uhr morgens in den Betriebsräumen seines Arbeitgebers einen Unfall, als er auf dem Weg zur Toilette die Kellertreppe hinabstürzte und sich dabei Brüche im Bereich der Halswirbelsäule mit Querschnittssymptomatik zuzog. Gegen 08.30 Uhr wurde der Kläger mit dem Hubschrauber in eine Universitätsklinik gebracht, wo eine traumatische Querschnittslähmung diagnostiziert wurde.
Durch Bescheid lehnte die Beklagte die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab und verneinte einen Entschädigungsanspruch. Zur Begründung führte sie aus, ein Arbeitsunfall werde nach § 8 Abs. 1 SGB VII als Unfall definiert, den eine versicherte Person bei Ausübung der versicherten Tätigkeit erleide. Dabei müsse die versicherte Tätigkeit den Unfall rechtlich wesentlich verursacht haben. Es müsse ein sog. innerer Kausalzusammenhang mit der Betriebstätigkeit bestehen. Die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung sei dabei der versicherten Betriebstätigkeit gleichzusetzen. Ein rein äußerlicher Zusammenhang reiche für die Anerkennung der erforderlichen Kausalität jedoch nicht aus. Vielmehr bestehe kein Kausalzusammenhang bei Tätigkeiten, die wesentlich dem privaten Bereich zuzuordnen seien. Tätigkeiten, die nicht in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stünden, sondern privaten Interessen des Versicherten dienten, stünden als eigenwirtschaftliche Verrichtungen nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Nach Auskunft des Arbeitgebers habe die betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gegen 1.30 Uhr geendet. Mit diesem Zeitpunkt ende dann auch der innere Zusammenhang mit der versicherten betrieblichen Tätigkeit. Der nächtliche Aufenthalt auf der Betriebsstätte, von dem der Arbeitgeber nach eigenen Angaben nichts gewusst habe, sei somit nicht von betrieblichen, sondern von eigenwirtschaftlichen Belangen geprägt gewesen. Insofern bestehe kein Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit, weshalb ein Arbeitsunfall nicht vorliege.
Dagegen ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten Widerspruch einlegen. Zur Begründung wurde vorgetragen: Die Weihnachtsfeier habe in einem Weinlokal, etwa 200 m neben dem Betriebsgelände, stattgefunden. Der Kläger habe wie die anderen Mitarbeiter auch, seinen PKW auf dem Firmenparkplatz abgestellt. Er habe dann nachts zusammen mit weiteren Kollegen die Feier verlassen. Zu diesem Zeitpunkt sei keiner der Vorgesetzten mehr anwesend gewesen. Da sich der Kläger und seine Kollegen nicht mehr fahrtüchtig gefühlt und kein Taxi hätten erreichen können, hätten sie im Aufenthaltsraum des Betriebes übernachtet. Der Kläger sei dann gegen 6.00 Uhr morgens auf der Treppe auf dem Weg vom Aufenthaltsraum zur Toilette gestürzt und habe sich schwer verletzt. Dieses Unfallereignis sei als Arbeitsunfall zu werten, weil es im inneren und sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe und sich der Unfall auf dem Weg zur Toilette ereignet habe. Da die Heimfahrt wegen Fehlens eines Taxis unmöglich gewesen sei, sei das Übernachten im Betrieb betrieblich veranlasst gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, der nächtliche Aufenthalt des Klägers auf der Betriebsstätte sei von eigenwirtschaftlichen Belangen geprägt gewesen, nachdem die Gemeinschaftsveranstaltung gegen 1.30 Uhr geendet habe. Dabei verkenne der Kläger, dass der innere, sachliche Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit in der Regel mit der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis begründet werde. Kennzeichnend für die Tätigkeit im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses sei das Kriterium, dass die Tätigkeit den Zwecken des Unternehmens zu dienen bestimmt sei, was bei der Übernachtung im Betrieb nach der Weihnachtsfeier nicht angenommen werden könne.
Das SG Stuttgart hat das Sturzereignis nicht als Arbeitsunfall festgestellt und die Klage abgewiesen.
Nach Auffassung des Sozialgerichts sind die Darlegungen der beklagten Berufsgenossenschaft zutreffend. Es habe sich zwar bei der Weihnachtsfeier um eine unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehende betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt. Die Gemeinschaftsveranstaltung und damit der Versicherungsschutz seien jedoch am Unfalltag gegen 1.30 Uhr beendet. Die Tätigkeit des Klägers vor dem Sturz (Aufenthalt in den Betriebsräumen und Aufsuchen der Toilette im Untergeschoss) hätten nicht in einem sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit gestanden.
Entgegen der Auffassung des Klägers sei der Aufenthalt in den Betriebsräumen, zumal der Kläger an der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung als arbeitsunfähig erkrankter Mitarbeiter teilgenommen habe, nicht mehr Bestandteil der Gemeinschaftsveranstaltung gewesen und damit von der Beschäftigtenversicherung nicht geschützt. Eine versicherte Gemeinschaftsveranstaltung ende im Normalfall, soweit der Unternehmer oder die von ihm mit der Durchführung der Veranstaltung betraute Person die Veranstaltung beende, da diese dann nicht mehr von der Autorität der Betriebsleitung getragen werde. Anschließendes Beisammenbleiben, Umherziehen usw. sei deshalb nicht mehr versichert, auch nicht in Begleitung des Unternehmers oder Beauftragter (Ricke in: Kasseler Kommentar, 108. EL März 2020, SGB VII, § 8 Rn. 79 m.w.N. ).
Blieben Versicherte nach dem Ende der offiziellen Veranstaltung noch längere Zeit privat zusammen, lösten sie sich vom Betrieb und stünden demgemäß nicht mehr unter Versicherungsschutz (Hauck/Noftz /Keller, § 8 Rn. 108, Stand 6/2018 mit Hinweis auf BSG, Urt. v. 30.03.2017 – B 2 U 15/15 R – NZS 2017, 625 ff. Rn. 21: zum Nichtvorliegen des Unfallversicherungsschutzes eines Außendienstarbeiters auf dem Weg zur Toilette während eines geselligen Ausklanges einer Dienstreise an der Hotelbar im Anschluss an das offizielle Abschlussabendessen).
Dass der Kläger nach eigenen Angaben nach Beendigung der Gemeinschaftsveranstaltung alkoholbedingt nicht mehr mit seinem PKW, der sich auf dem Firmengelände befunden habe, nach Hause habe fahren können und dürfen, stehe nicht im inneren Zusammenhang mit dessen betrieblicher Tätigkeit und der Gemeinschaftsveranstaltung. Insofern könne dies auch den Aufenthalt und die Übernachtung in den Betriebsräumen und den Gang zur Toilette nicht in einen inneren Zusammenhang zur betrieblichen Tätigkeit und/oder der betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung stellen. Es handele sich insoweit um eine eigenwirtschaftliche, nicht versicherte Tätigkeit.
Abschließend wies das Sozialgericht darauf hin, dass beispielsweise eine rechtlich unzutreffende Auffassung von Unternehmen und Beschäftigten, eine bestimmte Verrichtung stehe in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, keinen Versicherungsschutz zu begründen vermöge (BSG, Urt. v. 13.12.2005 – B 2 U 29/04 R). Damit könne hier etwa auch kein Versicherungsschutz damit begründet werden, dass der Kläger und seine Kollegen die Überzeugung gehabt hätten, es handele sich weiter um eine versicherte, betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung, wenn sie in den Betriebsräumen, als Folge der Weihnachtsfeier alkoholbedingt übernachteten.
Der Gerichtsbescheid ist noch nicht rechtskräftig.