Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 13.09.2022 zum Aktenzeichen 4 Sa 416/21 entschieden, dass eine ehemals angestellte Rechtsanwältin aufgrund einer Mandantenschutzklausel einen Anspruch auf Karenzentschädigung gegen den Arbeitgeber hat.
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Karenzentschädigung.
Die Klägerin war bei der Beklagten auf der Grundlage des „Mitarbeitervertrages“ als angestellte Rechtsanwältin beschäftigt.
Der Mitarbeitervertrag enthielt folgende Vereinbarungen:
„§ 11 Nebentätigkeit
Der Arbeitgeber gestattet der Arbeitnehmerin, aus vorangegangener freiberuflicher Tätigkeit bei anderen Rechtsanwälten eventuell noch bestehende Mandate abzuwickeln, soweit die vertraglich vereinbarte Tätigkeit dadurch nicht beeinträchtigt wird. Ab Vertragsbeginn bedürfen die Übernahme neuer freiberuflicher Mandate und anderweitiger Nebentätigkeiten der jeweiligen Einwilligung des Arbeitgebers. …
§ 12 Mandantenschutz
Die Arbeitnehmerin verpflichtet sich, für die Dauer von zwei Jahren nach ihrem Ausscheiden aus dem Anstellungsverhältnis keine Tätigkeit – sei es freiberuflich oder als Angestellter eines anderen Berufsangehörigen – für solche Auftraggeber auszuüben, welche innerhalb der letzten drei Jahre vor ihrem Ausscheiden zur Mandantschaft des Arbeitgebers gehört haben.
Während der Dauer des Wettbewerbsverbotes erhält die Arbeitnehmerin eine Karenzentschädigung, die für jedes Jahr des Verbotes die Hälfte der von der Arbeitnehmerin zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen beträgt.
…“
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung von 29.997,75 Euro zuzüglich der aus dem Tenor des erstinstanzlichen Urteils ersichtlichen Prozesszinsen als Karenzentschädigung zu. Dieser Anspruch folgt aus § 12 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 des zwischen den Parteien vereinbarten Arbeitsvertrages vom 19.10.2015 iVm. § 110 GewO, § 74b Abs. 2 und § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB für die Zeit vom 01.10.2017 bis 30.09.2019; der Zinsanspruch aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Er ist mangels Gegenforderung der Beklagten auch nicht durch die im Berufungsverfahren erklärte Aufrechnung untergegangen.
Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Karenzentschädigung ist dem Grunde nach für den Zeitraum vom 01.10.2017 bis 30.09.2019 – unabhängig von einer zeitweisen Arbeitsunfähigkeit – entstanden.
Wettbewerbsverbote i. S. von § 74 HGB beruhen auf gegenseitigen Verträgen. Der Arbeitnehmer schuldet die Unterlassung von Wettbewerb und der Arbeitgeber die Zahlung der Karenzentschädigung. Damit sollen die Nachteile ausgeglichen werden, die dem Arbeitnehmer durch die Einschränkung seines Erwerbslebens entstehen. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Karenzentschädigung setzt allein voraus, dass der Arbeitnehmer den ihm verbotenen Wettbewerb unterlässt.
Darauf, ob es dem Arbeitnehmer tatsächlich möglich ist, Wettbewerb auszuüben oder nicht, kommt es nicht an. Der Gesetzgeber hat lediglich für die Dauer der Verbüßung einer Freiheitsstrafe den Anspruch auf Entschädigung entfallen lassen (§ 74c Abs. 1 Satz 3 HGB). Dabei handelt es sich um einen seltenen Fall, in dem eindeutig feststeht, dass eine Wettbewerbstätigkeit von vornherein nicht in Betracht kommt. Die Regelung ist auf andere Fallgestaltungen nicht zu übertragen. Es ist deshalb gleichgültig, aus welchem Grunde der Arbeitnehmer sich der Konkurrenz enthält. Ebenso unerheblich ist es, ob für den Arbeitnehmer eine Wettbewerbsmöglichkeit überhaupt besteht oder ob er überhaupt in der Lage ist, in der verbotenen Weise zu konkurrieren. Die Pflicht zur Zahlung einer Karenzentschädigung entfällt nicht deshalb, weil der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist.
Das ist auch mit den berechtigten Interessen des Arbeitgebers vereinbar. Diese werden durch § 75a HGB ausreichend geschützt. Danach kann der Arbeitgeber vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch schriftliche Erklärung auf das Wettbewerbsverbot verzichten. Er wird dann mit Ablauf eines Jahres seit der Erklärung von der Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung frei.
Die Klägerin hat sich gemäß § 12 Abs. 1 des Arbeitsvertrages verpflichtet, während der Dauer von zwei Jahren nach ihrem Ausscheiden aus dem Anstellungsverhältnis keine Tätigkeit – sei es freiberuflich oder als Angestellte eines anderen Berufsangehörigen – für solche Auftraggeber auszuüben, welche innerhalb der letzten drei Jahre vor ihrem Ausscheiden zur Mandantschaft des Arbeitgebers gehört haben. Sie hat sich im Streitzeitraum – zwei Jahre nach ihrem Ausscheiden durch Kündigung der Beklagen zum 30.09.2017 – unstreitig an diese Verpflichtung gehalten und damit das geschuldete Unterlassen erbracht. Ihr steht deshalb eine Karenzentschädigung für diesen Zeitraum zu.
Der Anspruch steht der Klägerin auch in der von ihr berechneten und geltend gemachten Höhe zu. Das von der Klägerin zur Berechnung ihrer Klageforderung angestellte Rechenwerk ist gesetzeskonform. Es trägt durch entsprechende Gegenüberstellung der Vorgabe Rechnung, dass die Anrechnung nach § 74c Abs. 1 HGB – im Gegensatz zu § 615 Satz 2 BGB und § 11 KSchG – auf jede fällige Monatsrate der Entschädigung pro rata temporis erfolgt.
Die von der Klägerin nach § 12 Abs. 2 des Arbeitsvertrags in Übereinstimmung mit § 74 Abs. 2 HGB „zuletzt bezogene vertragsmäßige Leistung“ betrug 4.000 € brutto. Wie das Arbeitsgericht zu Recht gesehen hat, kann Maßstab für die Frage, was die vertragsgemäße Leistung ist, nur der betreffende Vertrag zwischen den Parteien sein. Nach der vom Arbeitsgericht zu Recht herangezogenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist als vertragsmäßig im Sinne von § 74 Abs. 2 HGB eine Leistung anzusehen, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrages beruht und als Vergütung für die geleistete Arbeit erbracht wird. Ausgangspunkt für die Bestimmung der „zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistung“ im Sinne des §§ 74 Abs. 2 HGB ist alles, was der Arbeitnehmer in der fraglichen Zeit als Gegenleistung für seine Arbeitsleistung erhalten hat.
Die Karenzentschädigung soll dabei dem Arbeitnehmer den Lebensstandard sichern, den er sich aufgrund seiner vorausgegangenen Tätigkeit erarbeitet hatte. Sie soll den Nachteil ausgleichen, den der Arbeitnehmer durch die Beschränkung in der Verwendung seiner Arbeitskraft erleidet. Es kommt deshalb darauf an, was der Arbeitnehmer als Gegenleistung für seine Arbeitsleistung in den maßgeblichen Zeiträumen zu beanspruchen hat. Wenn ein Arbeitnehmer seine fachlichen Möglichkeiten nicht mehr voll wahrnehmen kann und seine Erwerbsmöglichkeiten beschränkt sind, soll ihm das erhalten bleiben, was er bisher unter Verwertung seiner fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen verdient hat.
Die Klägerin hat den anzurechnenden anderweitigen Erwerb gemäß § 74 c Abs. 1 HGB richtig ermittelt und in Abzug gebracht.
Gemäß § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB muss sich der Arbeitnehmer auf die fällige Entschädigung anrechnen lassen, was er während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt, soweit die Entschädigung unter Hinzurechnung dieses Betrags den Betrag der zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als ein Zehntel übersteigen würde. Ist der Arbeitnehmer durch das Wettbewerbsverbot gezwungen worden, seinen Wohnsitz zu verlegen, tritt nach Satz 2 der Bestimmung an die Stelle des Betrags von einem Zehntel der Betrag von einem Viertel. Mit der gesetzlich bestimmten Anrechnung des Erwerbs aus einer anderweitigen Verwertung der Arbeitskraft will das Gesetz nur verhindern, dass der Arbeitnehmer Karenzentschädigung erhält, obwohl er durch das Wettbewerbsverbot keine wesentlichen beruflichen Nachteile erleidet, und damit einer „Übersicherung“ des Arbeitnehmers entgegenwirken.
Erwerb aus der Verwertung der Arbeitskraft sind alle geldwerten Leistungen zur Abgeltung der Arbeitsleistung. Anzurechnen sind damit grundsätzlich Arbeitsentgelt und Einkommen aus selbständiger Tätigkeit. In beiden Fällen handelt es sich um den Ertrag aus persönlichem Arbeitseinsatz, der erst durch die Beendigung des vorherigen Arbeitsverhältnisses möglich geworden ist. Der Bezug von Krankengeld beruht nicht auf der Verwertung der Arbeitskraft.
Die Klägerin hat das in den jeweiligen Monaten im Karenzzeitraum erhaltene Arbeitsentgelt aus abhängiger Tätigkeit als Rechtsanwältin angerechnet.
Ob es sich bei dem von der Klägerin zeitweise (von der Krankenkasse) bezogenen Krankengeld um anrechenbare Leistungen iSv. § 74c Abs. 1 HGB handelt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, weil die Klägerin diese Leistungen in die von ihr vorgenommene Vergleichsberechnung anspruchsmindernd einbezogen hat.
Selbst wenn zu Gunsten der Beklagten eine Anrechnungsmöglichkeit unterstellt wird, besteht der
Von der Klägerin böswillig unterlassener Verdienst, der auf die Karenzentschädigung anzurechnen wäre, ist nicht gegeben.
§ 74 c Abs. 1 Satz 1 2. Alternative HGB setzt voraus, dass der Arbeitnehmer eine ihm mögliche oder nach den gesamten Umständen zumutbare anderweite Tätigkeit nicht aufgenommen hat und dass die Entschädigung unter Hinzurechnung des unterlassenen Verdienstes den Betrag der zuletzt vom Angestellten bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als 1/10, bei Wohnsitzwechsel um mehr als 1/4 übersteigen würde.
Ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs liegt vor, wenn der Arbeitnehmer in Kenntnis der objektiven Umstände, nämlich der Arbeitsmöglichkeit, Zumutbarkeit der Arbeit und Nachteilsfolge für den Arbeitgeber, vorsätzlich untätig bleibt oder gegen eine zu geringe Vergütung arbeitet. Der Arbeitnehmer muss sich der Schädigung des Arbeitgebers bewusst sein. Schädigungsabsicht ist aber nicht erforderlich.
Für die tatbestandlichen Voraussetzungen der rechtshindernden Einwendung ist der Schuldner der Karenzentschädigung darlegungspflichtig.
Der Anspruch war auch fällig. Die Beklagte kann sich nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht aus § 320 ZPO berufen, weil die Klägerin ihre Auskunftspflicht nach § 74 c Abs. 2 HGB nicht erfüllt hätte.
Den Arbeitgeber trifft im Rahmen des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB die Darlegungs- und Beweislast dafür, ob und in welcher Höhe anrechenbare Bezüge den Anspruch des früheren Arbeitnehmers auf Karenzentschädigung mindern. Um dies leichter und vor allem ohne Einleitung aufwendiger Überwachungsaktionen prüfen zu können, muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nach § 74c Abs. 2 HGB „auf Erfordern“ Auskunft über die Höhe seines Erwerbs erteilen. Inhalt und Umfang des Auskunftsanspruchs richten sich im Einzelfall nach den Grundsätzen von Treu und Glauben.
Hinsichtlich ihres Einkommens aus abhängiger Beschäftigung hat die Klägerin ihre Auskunftspflicht durch Mitteilung der anderweitigen Vergütung unter Vorlage der Abrechnungen der anderen Arbeitgeber erfüllt. Gleiches gilt hinsichtlich des erhaltenen Krankengelds, das sie unter Vorlage von Bescheinigungen der Krankenkasse dargelegt hat. Wie das Arbeitsgericht zu Recht gesehen und begründet hat, hatte die Beklagte – nach der sich nach Treu und Glauben richtenden Pflicht – diesbezüglich keine weiteren Auskunftsansprüche.
Ob die Klägerin eine Auskunftspflicht hinsichtlich ihrer nebenberuflichen selbständigen Tätigkeit hatte, ist schon zweifelhaft, kann aber dahinstehen, da sie sie jedenfalls erfüllt hat.
Bietet der Arbeitnehmer, der im Karenzzeitraum Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erzielt hat, zum Nachweis die Vorlage des Einkommensteuerbescheids an, muss sich der Arbeitgeber damit grundsätzlich zufriedengeben. Der Arbeitgeber kann von ihm nach § 74c Abs. 2 HGB auch die Vorlage des Einkommensteuerbescheids verlangen.
Bei der Erteilung einer Auskunft handelt es sich um eine Handlung iSv. § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die ausschließlich vom Willen des Schuldners abhängt. Er kann die Auskunft nur aufgrund seines persönlichen Wissens erteilen. Infolgedessen erfüllt der Schuldner seine Auskunftspflicht nicht, wenn er eine nicht ernst gemeinte, unvollständige oder von vornherein unglaubhafte Auskunft erteilt.
Überdies gebietet es die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 iVm. § 280 Abs. 1 BGB, dass eine Auskunft, die die eine Vertragspartei der anderen auf ein von dieser offenbartes Informationsbedürfnis hin erteilt, richtig, eindeutig und vollständig sein muss. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Dazu gehört es, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Vermögensinteressen des anderen Teils so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragsparteien nach Treu und Glauben verlangt werden kann.
Sofern der Arbeitnehmer seine Einkünfte aus unselbstständiger Tätigkeit erzielt, bilden in aller Regel die entsprechenden Gehalts- oder Lohnabrechnungen sowie die Eintragungen in der Lohnsteuerbescheinigung eine verlässliche Grundlage zum Beleg der erteilten Auskünfte. Anders sieht es bei Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit aus. Hier lassen sich keine schematischen Regeln aufstellen, die für die vielfältigen Erscheinungsformen des Arbeitslebens gleichermaßen Geltung beanspruchen. Bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten wird stets nach den Umständen des Einzelfalls abzuwägen sein zwischen dem Interesse des Arbeitnehmers, durch die Karenzentschädigung in kurzen Zeitabschnitten einen Beitrag zum Unterhalt zu erhalten, und dem Interesse des Arbeitgebers, überhöhte Vorleistungen zu vermeiden. Deswegen brauchen einerseits die Auskünfte des Arbeitnehmers nur so substantiiert zu sein, wie das in der gegebenen Situation möglich ist. Andererseits müssen sie dem Interesse des Arbeitgebers Rechnung tragen, ein möglichst deutliches Bild zu erhalten, mit welchen laufenden Verpflichtungen er zu rechnen hat.
Hieran gemessen hat die Klägerin den Auskunftsanspruch der Beklagten jedenfalls durch Vorlage der Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2017 bis 2019 sowie der Anlage EÜR zu ihrer Steuererklärung für dieselben Jahre erfüllt. Sie hat ausreichende und geeignete Belege für ihre Angaben über die Einkünfte aus der (gelegentlichen nebenberuflichen) selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin beigebracht. Es war der Beklagten zuzumuten, sich damit zufriedenzugeben. Der Einkommensteuerbescheid konnte ihr besser als jede andere Unterlage Gewissheit darüber vermitteln, ob die Angaben der Klägerin zutrafen. Damit steht der Beklagten kein Zurückbehaltungsrecht aus § 320 BGB oder § 273 BGB mehr zu.
Die Angaben der Klägerin stehen in Einklang mit den in den Steuerbescheiden zugrunde gelegten „Einkünften“ der Klägerin. Vor Erlass eines Steuerbescheides hat das Finanzamt die Angaben in der Steuererklärung der Steuerpflichtigen zu prüfen. Deshalb genügt der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Auskunftspflicht nach § 74 c Abs. 2 HGB seiner Verpflichtung zum Nachweis der behaupteten Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit, wenn er den maßgeblichen Einkommenssteuerbescheid vorlegt. Dies folgt bereits daraus, dass die steuerpflichtige Person nach § 25 Abs. 3 EStG zur eigenhändigen Unterschrift der Steuererklärung verpflichtet ist und damit gleichsam die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben bestätigt. Die eigenhändige Unterschrift soll neben der Identifizierung des Urhebers auch dazu dienen, den Steuerpflichtigen anzuhalten, sich die Bedeutung der Steuererklärung als (in erster Linie) Wissenserklärung bewusst zu machen und den Steuerpflichtigen dazu zu zwingen, die Richtigkeit der in der Erklärung enthaltenen Angaben zu überprüfen sowie die Verantwortung dafür zu übernehmen. Wer eine falsche Einkommenssteuererklärung abgibt und damit die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder andere nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt, macht sich gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar. Der zur Abgabe einer Einkommenssteuererklärung Verpflichtete ist mithin in besonderem Maße zur Steuerehrlichkeit verpflichtet, sodass der hierauf fußende Einkommenssteuerbescheid grundsätzlich als ausreichender Nachweis für die bezogenen Einkünfte angesehen werden kann.
Wenn die Beklagte nunmehr einwendet, die Angaben der Klägerin in den Einnahmeüberschussrechnungen seien offensichtlich unrichtig, weil die Klägerin in den Jahren 2017 bis 2019 weder einen beruflich genutzten Telefonanschluss noch einen beruflich genutzten Internetanschluss unterhalten habe, was sie daraus schließt, dass die Klägerin in den Jahren 2017 bis 2022 Briefköpfe ohne Telefon- oder Telefaxnummer verwendet habe, ist dies nicht geeignet, die Angaben der Klägerin in der EÜR, die Grundlage der Einkommenssteuerbelege sind, als von vornherein unglaubhaft darzustellen. Im Gegenteil: Gemäß § 27 BRAO ist der Rechtsanwalt respektive die Rechtsanwältin verpflichtet, im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied sie ist, eine Kanzlei einzurichten und zu unterhalten. Aus § 5 BORA ergibt sich die Verpflichtung, die für die Berufsausübung erforderlichen sachlichen, personellen und organisatorischen Voraussetzungen in der Kanzlei vorzuhalten, wobei die telefonische Erreichbarkeit eine Mindestvoraussetzung ist. Gründe, die die Angaben der Klägerin über (nicht erzielte) Einnahmen in den relevanten Jahren in den EÜR unglaubhaft erscheinen lassen, hat die Beklagte nicht dargelegt und ergeben sich auch für die Kammer nicht.
Unter diesen Umständen kann die Beklagte, deren schützenswerte Interessen damit vollauf gewahrt sind, nicht die Vorlage weiterer Belege verlangen. Dies würde die nach § 242 BGB zu bemessende Auskunftspflicht überschreiten. Die Klägerin ist insbesondere auch nicht verpflichtet, darüber Auskunft zu erteilen, in welcher Höhe sie für ihre Leistungen als selbstständige Rechtsanwältin Rechnungen erstellt hat. Eine derartige Pflicht besteht schon deshalb nicht, weil die Erteilung einer Rechnung nicht gleichzusetzen ist mit entsprechenden Einnahmen.
Der Anspruch der Klägerin ist schließlich auch nicht durch Verwirkung ausgeschlossen.
Zwar wird auch bei einem Anspruch auf Karenzentschädigung die Anwendung der allgemeinen Verwirkungsgrundsätze nicht von vornherein ausgeschlossen, weil jedes Recht nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeübt werden kann.
Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit ihr wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes und dient – wie die Verjährung – dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Mit der Verwirkung soll das Auseinanderfallen zwischen rechtlicher und sozialer Wirklichkeit beseitigt werden; die Rechtslage wird der sozialen Wirklichkeit angeglichen.
Die Verwirkung verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner bereits dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, sodass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist.
Zudem hat das Rechtsinstitut der Verwirkung Ausnahmecharakter. Unterliegt ein geltend gemachter Anspruch nach §§ 195, 199 BGB der kurzen regelmäßigen Verjährung von drei Jahren, kann im Rahmen der Verwirkung eine weitere Abkürzung dieser Verjährungsfrist nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände angenommen werden.
Eine etwaige Erschwernis der Überprüfung der tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen, die die Beklagte geltend macht, stellt als solche keinen Aspekt dar, der – alleine oder in Zusammenschau mit weiteren Gesichtspunkten – die Annahme der Verwirkung rechtfertigt. Dies würde im praktischen Ergebnis darauf hinauslaufen, dass die Verjährungsfristen kaum noch ausgeschöpft werden könnten. Das durch Richterrecht geschaffene Institut der Verwirkung darf in seiner Anwendung nicht dazu führen, dass die gesetzliche Verjährungsregelung in weitem Maße unterlaufen wird. Überdies ist der Gläubiger in gleicher Weise Beweisschwierigkeiten ausgesetzt, die durch Zeitablauf auftreten. Dies muss erst recht gelten, nachdem vom Gesetzgeber die regelmäßige Verjährungsfrist auf drei Jahre festgesetzt wurde, § 195 BGB.
Es kann auch nicht mit dem Gesichtspunkt einer „zeitnahen Klärung“ vor Gericht auf den Gedanken der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit abgestellt werden, ohne dass dies eine normative oder vertragliche Grundlage hätte. Der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit dienen bereits die Verjährungsvorschriften, vor allem diejenigen mit kurzer Verjährungsfrist. Solche sollen möglichst rasch Rechtssicherheit und Rechtsfrieden herstellen, den verspätet in Anspruch genommenen Schuldner vor Beweisschwierigkeiten infolge Zeitablaufs schützen und eine alsbaldige Klärung der erhobenen Ansprüche herbeiführen. Diese, bereits im Verjährungsrecht berücksichtigten Gesichtspunkte dürfen nicht als „doppelrelevante Topoi“ nochmals zur Begründung einer Verwirkung herangezogen werden (BAG, Urteil vom 11. Dezember 2014 – 8 AZR 838/13 –, Rn. 240 – 26, juris).
Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für eine Verwirkung im vorliegenden Fall auch erkennbar nicht vor.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das sogenannte „Zeitmoment“ – der Ablauf einer gewissen längeren Zeitspanne – erfüllt war. Jedenfalls fehlt es an dem erforderlichen Umstandsmoment. Der Einwand der Verwirkung ist nur dann begründet, wenn zu dem Zeitablauf im Verhalten des Berechtigten beruhende, im Falle einer kurzen Verjährung besondere Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigten, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen. Ein derartiges spezifisches Verhalten der Klägerin ist nicht ersichtlich.
Das bloße „Zuwarten“ der Klägerin bis Ende 2020 kann nicht als treuwidrig angesehen werden, weil es vorliegend keine Rechtspflicht oder auch nur Obliegenheit der Klägerin gab, zu bestimmten Zeitpunkten ihre Ansprüche gegen die Beklagte geltend zu machen. Das bloße Unterlassen oder „Nichtstun“ der Klägerin konnte bei der Beklagten nur dann die begründete Erwartung hervorrufen, sie werde nicht mehr in Anspruch genommen werden, wenn es eine von der Klägerin wahrnehmbare Pflicht zum Handeln gab. Eine vertragliche Nebenpflicht, einen etwaigen Anspruch auf Karenzentschädigung zeitnah geltend zu machen, wie die Beklagte meint, kann die Kammer nicht sehen. Etwaige Unsicherheiten der Beklagten während der Verjährungsfrist dahingehend, ob oder in welcher Höhe sie von der Klägerin in Anspruch genommen werden wird sowie das damit einhergehende Erfordernis bilanzieller Rückstellungen begründen eine solche nicht. Da der Anspruch des Arbeitnehmers auf Karenzentschädigung allein voraussetzt, dass der Arbeitnehmer den ihm verbotenen Wettbewerb unterlässt, wozu er sich nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet hat, kann der Arbeitgeber davon ausgehen, in Anspruch genommen zu werden. Mit der gesetzlich bestimmten Anrechnung des Erwerbs aus einer anderweitigen Verwertung der Arbeitskraft will das Gesetz nur verhindern, dass der Arbeitnehmer Karenzentschädigung erhält, obwohl er durch das Wettbewerbsverbot keine wesentlichen beruflichen Nachteile erleidet und damit einer „Übersicherung“ des Arbeitnehmers entgegenwirken (s.o.). Ziel der Regelung ist es hingegen nicht, den Arbeitgeber zu entlasten. Die Interessen des Arbeitsgebers werden zudem durch § 75 a HBG ausreichend geschützt. Er kann durch schriftliche Erklärung auf das Wettbewerbsverbot verzichten. Er wird dann mit Ablauf eines Jahres seit der Erklärung von der Verpflichtung zur Zahlung einer Karenzentschädigung frei. Will er hingegen am Wettbewerbsverbot festhalten, hat er ebenso die Möglichkeit der Vereinbarung von Ausschlussfristen, um schneller Sicherheit zu bekommen.
Der Umstand, dass die Klägerin „kleinere“ Ansprüche gegen die Beklagte bereits zu früheren Zeitpunkten gerichtlich geltend gemacht hat, begründet ebenfalls kein berechtigtes Vertrauen der Beklagten darauf, die Klägerin werde die Karenzentschädigung nicht mehr geltend machen. Es wäre der Beklagten unbenommen gewesen, sie danach zu befragen oder aber ihren Auskunftsanspruch aus § 74 c Abs. 2 HGB früher geltend zu machen.