Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 02. November 2023 zum Aktenzeichen 2 BvR 441/23 entschieden, unter welchen Voraussetzungen es dem Beschwerdeführer zuzumuten ist, zur Durchführung eines Visumverfahrens in seinem Heimatland die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und damit eine wenigstens vorübergehende Trennung von seinen hier aufenthaltsberechtigten Kindern hinzunehmen.
Der 1984 geborene Beschwerdeführer äthiopischer Staatsangehörigkeit reiste 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und durchlief erfolglos ein Asylverfahren. Seit 2015 war er, zuletzt als Reinigungskraft, erwerbstätig, bis ihm die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Juni 2022 nicht mehr gestattet wurde. Zusammen mit einer im Bundesgebiet als Flüchtling anerkannten und aufenthaltsberechtigten Äthiopierin hat er zwei gemeinsame Kinder äthiopischer Staatsangehörigkeit (geboren 2015 und 2021), die ebenfalls als anerkannte Flüchtlinge aufenthaltsberechtigt sind. Der Beschwerdeführer hat die Vaterschaft für beide Kinder anerkannt und übt mit der Kindsmutter das gemeinsame Sorgerecht aus, wohnt jedoch nicht mir ihr und den Kindern zusammen.
Nach Abschluss des Asylverfahrens erhielt der Beschwerdeführer fortlaufend Duldungen, begründet mit fehlenden Reisedokumenten und zuletzt gültig bis Mitte Mai 2022. Im Oktober 2021 stellte er einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG bei der Regierung von Unterfranken als zuständiger Ausländerbehörde (nachfolgend: Ausländerbehörde) und erbrachte die hierfür von der Ausländerbehörde geforderten Nachweise bis Anfang Juni 2022. Seit April 2022 liegen seine Reisedokumente vor. Über den Antrag wurde noch nicht entschieden. Anfang Mai 2022 reichte der Beschwerdeführer seine Duldungsbescheinigung zwecks Verlängerung der Duldung bei der Ausländerbehörde ein.
Unter dem 8. Juni 2022 übersandte die Ausländerbehörde dem Beschwerdeführer seine mit dem Vermerk „Erloschen“ versehene Duldungsbescheinigung. Sie teilte ferner mit, dass keine Duldungsgründe bestünden und er eine Abschiebung durch eine freiwillige Ausreise verhindern könne. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit wurde fortan nicht mehr gestattet. Der Beschwerdeführer bezieht derzeit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Einen von dem Beschwerdeführer daraufhin gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, gerichtet auf die vorläufige Untersagung der Abschiebung sowie die Erteilung einer Duldung, lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg (nachfolgend: Verwaltungsgericht) mit Beschluss vom 11. August 2022 ab. Eine Ausreise des Beschwerdeführers zwecks Nachholung des Visumverfahrens zum Familiennachzug sei nicht aus Gründen des Schutzes einer bestehenden familiären Bindung zu seinen Kindern gemäß Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK rechtlich unmöglich. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Familiennachzug nicht möglich wäre. Insofern stehe anlässlich der Nachholung des Visumverfahrens grundsätzlich lediglich eine vorübergehende Trennung des Beschwerdeführers von seinen Kindern im Raum. Dem Gericht sei nach Aktenlage auch eine Prognose darüber möglich, welcher Trennungszeitraum zu erwarten sei. Es gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer bei vollständig unterbleibender Vorbereitung vom Inland aus etwa sechseinhalb Monate von seiner Familie getrennt wäre. Anhaltspunkte für eine längere Trennungszeit seien vorliegend nicht ersichtlich. Diese Trennungszeit sei im vorliegenden Einzelfall nicht unzumutbar. Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung bestehe auch nicht in Form einer sogenannten Verfahrensduldung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (nachfolgend: Verwaltungsgerichtshof) mit Beschluss vom 27. Februar 2023 zurück.
Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zum Schutz der Familie nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK sei es mit den genannten Vorschriften vereinbar, den Beschwerdeführer selbst „angesichts der bestehenden einfachrechtlichen Ungewissheiten“ auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen.
Auch unter Berücksichtigung der Ausgestaltung der schützenswerten Vater-Kind-Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinen beiden Töchtern erweise sich eine Nachholung des Visumverfahrens vorliegend als zumutbar. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend (wenn auch „ohne vertiefte Begründung“) die grundsätzliche Möglichkeit eines Familiennachzugs bejaht. Vorliegend komme ein Aufenthaltstitel nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Betracht. Die Ausländerbehörde gehe in Kenntnis davon, dass der Nachzug sonstiger Familienangehöriger nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auf Fälle einer außergewöhnlichen Härte, das heiße auf seltene Ausnahmefälle beschränkt sei, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit im Lichte des Art. 6 Absätze 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre, ausweislich seiner Ausführungen im Beschwerdeverfahren von einer solchen Härte im vorliegenden Fall aus. Der Beschwerdeführer trage insoweit keine durchgreifenden Einwände vor, die diese Auffassung der Ausländerbehörde in Zweifel ziehen könnten, selbst in Anbetracht des Umstands, dass die Erteilung eines Visums auf Grundlage von § 36 Abs. 2 AufenthG grundsätzlich an hohe Hürden gebunden sei. Soweit der Beschwerdeführer anführe, man könnte es als Wertungswiderspruch sehen, den Nachzug eines Elternteils zu einem anerkannten Flüchtling auf der Grundlage des § 36 Abs. 2 AufenthG auch dann zu gewähren, wenn sich der weitere Elternteil schon in Deutschland befinde, obwohl der Gesetzgeber gerade für diese Konstellation den Anspruch auf Nachzug in § 36 Abs. 1 AufenthG ausgeschlossen habe, könne der Senat diesen Wertungswiderspruch nicht erkennen. Der Beschwerdeführer sei im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sonstiger Familienangehöriger seiner leiblichen Töchter. Folglich könne bei Annahme einer außergewöhnlichen Härte auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG in Betracht kommen. Eine Herstellung der Familiengemeinschaft im (gemeinsamen) Heimatland sei angesichts der Aufenthaltsrechte der Töchter des Beschwerdeführers und deren Mutter nicht zumutbar.
Die vom Beschwerdeführer benannte Unwägbarkeit im Hinblick auf das Wohnraumerfordernis des § 29 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG „dürfte im vorliegenden Fall keine Rolle spielen, da der [Beschwerdeführer] derzeit allein eine Wohnung bewohne (er lebt von der Kindsmutter getrennt) und daher kein Wohnraum für die gesamte Familie erforderlich“ sei. Zudem sei „angesichts der überschaubaren Abwesenheitsdauer des Beschwerdeführers nicht zwingend davon auszugehen, dass er seine derzeitige Wohnung aus finanziellen Gründen aufgeben“ müsste. Auch die vom Beschwerdeführer benannte Unwägbarkeit im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bestehe nicht. Unabhängig davon, ob die Prognose zur Lebensunterhaltssicherung bereits positiv ausfallen könnte (die bisherige Arbeitgeberin habe mitgeteilt, dass sie den Beschwerdeführer sofort wieder einstellen würde), gelte die Regelerteilungsvoraussetzung der Unterhaltssicherung nicht in atypischen Ausnahmefällen. Zwar sei in einem Fall, in dem die in § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit der hohen Hürde der „außergewöhnlichen Härte“ zum Ausdruck kommenden einwanderungspolitischen Belange durch Art. 6 GG zurückgedrängt würden und sich das Ermessen der Ausländerbehörde verdichte, nicht automatisch auch eine Ausnahme von dem Regelerfordernis der Lebensunterhaltssicherung vorgezeichnet. Ein atypischer Ausnahmefall sei aber anzunehmen, wenn sich – „wie hier“ – ergeben sollte, dass die Verweigerung eines Aufenthaltstitels eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG darstelle.
Die konkrete Berechnung der prognostischen Dauer des Visumverfahrens des Beschwerdeführers im Herkunftsland durch das Verwaltungsgericht – Trennungszeit von etwa sechseinhalb Monaten – habe der Beschwerdeführer nicht substantiiert angegriffen. Ebenso sei die verwaltungsgerichtliche Auffassung, die angenommene Trennungszeit sei im vorliegenden Einzelfall nicht unzumutbar, nicht zu beanstanden.
Die Versagung einer Verfahrensduldung im Hinblick auf den noch nicht beschiedenen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG begegne ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken.
Die Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 6 Absätze 1 und 2 GG.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt zwecks Nachzugs zu bereits im Bundesgebiet lebenden Angehörigen (vgl. BVerfGE 76, 1 <47>; BVerfGK 7, 49 <54 f.>). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 <49 ff.>; 80, 81 <93>).
Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juni 2013 – 2 BvR 586/13 -, Rn. 12 m.w.N.). Die Belange der Bundesrepublik Deutschland überwiegen das durch Art. 6 Absätze 1 und 2 GG geschützte private Interesse eines Ausländers und seines Kindes an der Aufrechterhaltung der zwischen ihnen bestehenden Lebensgemeinschaft nicht ohne weiteres schon deshalb, weil der Ausländer vor Entstehung der zu schützenden Lebensgemeinschaft gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen hat, wenn durch das nachträgliche Entstehen der von Art. 6 Absätze 1 und 2 GG grundsätzlich geschützten Lebensgemeinschaft eine neue Situation eingetreten ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. August 1994 – 2 BvR 1542/94 -, juris, Rn. 11; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2021 – 2 BvR 1333/21 -, Rn. 45).
Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (vgl. BVerfGK 7, 49 <56>; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 -, Rn. 17, vom 5. Juni 2013 – 2 BvR 586/13 -, Rn. 13 und vom 9. Dezember 2021 – 2 BvR 1333/21 -, Rn. 46).
Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es zwar grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines für den begehrten Aufenthaltstitel erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. BVerfGK 13, 26 <27 f.>). Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 AufenthG) zu überprüfen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerfGK 13, 562 <567>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2021 – 2 BvR 1333/21 -, Rn. 47). Das Aufenthaltsrecht trägt dabei jedoch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung, indem es zum einen bestimmte, insbesondere humanitäre Aufenthaltstitel vorsieht, die ein vorangehendes Visumverfahren nicht erfordern, des Weiteren indem nach § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV die Nachholung des Visumverfahrens nicht erforderlich ist, wenn ein geduldeter Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grund einer Eheschließung (oder Begründung einer Lebenspartnerschaft) oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet hat, und schließlich indem es unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Einzelfall erlaubt, von dem grundsätzlichen Erfordernis einer Einreise mit dem erforderlichen Visum (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) abzusehen.
Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes umfassend zu berücksichtigen. Dementsprechend ist im Einzelfall zu würdigen, in welcher Form die Elternverantwortung ausgeübt wird und welche Folgen eine endgültige oder vorübergehende Trennung für die gelebte Eltern-Kind-Beziehung und das Kindeswohl hätte. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen (vgl. BVerfGE 56, 363 <384>; 79, 51 <63 f.>). Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine gültige Prognose darüber anstellt, welchen Trennungszeitraum der Betroffene realistischerweise zu erwarten hat. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht können die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere dann haben, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfGK 14, 458 <465>; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 – und vom 9. Dezember 2021 – 2 BvR 1333/21 -, Rn. 48).
Von Verfassungs wegen erforderlich ist es, eine gültige Prognose darüber anzustellen, ob die Verweisung des Beschwerdeführers auf die Nachholung des Visumverfahrens vom Ausland aus eine lediglich vorübergehende und keine dauerhafte Trennung für diesen und seine Kinder zur Folge hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2021 – 2 BvR 1333/21 -, Rn. 51 ff.). Die Fachgerichte können von einer solchen Prognose lediglich absehen, wenn es im konkreten Fall mit Art. 6 Absätze 1 und 2 GG vereinbar ist, dem Ausländer und seinem Kind die Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer zu verwehren, etwa weil die Familiengemeinschaft auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in zumutbarer Weise gelebt werden kann (vgl. BVerfGK 13, 562 <567 f.> sowie BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. August 2003 – 2 BvR 1064/03 -, juris, Rn. 6 f.) oder weil die dauerhafte Trennung der Familie ausnahmsweise zumutbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. August 1994 – 2 BvR 1542/94 -, juris, Rn. 11 f.; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Dezember 2021 – 2 BvR 1432/21 –, Rn. 48).
Für die Annahme, dass eine Trennung nicht dauerhaft sei, ist auch eine belastbare Prognose zu der Frage erforderlich, ob der Ausländer das Visumverfahren mit Erfolg durchlaufen wird. Allein der Umstand, dass im Grundsatz die Erteilung eines Visums generell in Betracht kommt, reicht dafür nicht hin. Insbesondere dann, wenn die Erteilung eines Visums – wie im Fall des § 36 Abs. 2 AufenthG – an hohe tatbestandliche Hürden gebunden ist oder der Auslandsvertretung ein Ermessen eingeräumt ist, ergeben sich Unwägbarkeiten für den Ausländer. Diese verringern die Wahrscheinlichkeit, dass ihm auch tatsächlich ein Visum erteilt wird, und müssen daher Eingang in die anzustellende Prognose finden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Dezember 2021 – 2 BvR 1432/21 –, Rn. 49 ff.).
Die Dichte der verfassungsgerichtlichen Kontrolle muss dem Rang und der Bedeutung Rechnung tragen, die das Grundgesetz der Familie in ihren verschiedenen Gestaltungsformen und Funktionen als einem gegen den Staat abgeschirmten und die Vielfalt der Freiheitskonkretisierungen schützenden Autonomiebereich beimisst (vgl. BVerfGE 76, 1 <51 ff.>; 80, 81 <93 f.>). Bei der Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen prüft das Bundesverfassungsgericht daher, ob die notwendige Abwägung stattgefunden hat und ob Grundlage und Abwägungsergebnis dem sich aus Art. 6 Absätze 1 und 2 GG ergebenden Gebot gerecht werden, die ehelichen und familiären Bindungen in angemessener Weise zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 <50 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2021 – 2 BvR 1333/21 -, Rn 49).
Daran gemessen haben der Verwaltungsgerichtshof (1) und das Verwaltungsgericht (2) bei der Frage, ob dem Beschwerdeführer eine einstweilige Duldung auf der Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen ist, die möglichen Beeinträchtigungen von Art. 6 Absätze 1 und 2 GG jeweils nicht hinreichend berücksichtigt.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs erweist sich schon deshalb als im Hinblick auf Art. 6 Absätze 1 und 2 GG verfassungsrechtlich unzureichend, weil sie nicht darlegt, warum zur Durchsetzung der aufenthaltsrechtlichen Belange die Nachholung des Visumverfahrens für einen Familiennachzug erforderlich ist. Mit der Erteilung der hier von dem Beschwerdeführer beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG stand im vorliegenden Einzelfall eine konkrete andere Möglichkeit als die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug im Raum, für die das Visumerfordernis nicht gilt. Insoweit hätte es näherer Erläuterung bedurft, ob und weshalb es gleichwohl im Lichte des Art. 6 Absätze 1 und 2 GG notwendig war, den Beschwerdeführer auf das Visumverfahren für den von ihm begehrtem Familiennachzug und die damit verbundene Beeinträchtigung seiner schützenswerten familiären Belange einschließlich der schützenswerten Belange seinen erst zweijährigen Kindes, für das eine mehrmonatige Abwesenheit des Vaters besonders schwer wiegt, zu verweisen.
Außerdem beruht die Entscheidung nicht auf einer tragfähigen Prognose. Sie begründet bereits nicht hinreichend, warum die Verweisung des Beschwerdeführers auf die Nachholung des Visumverfahrens vom Ausland aus eine lediglich vorübergehende und keine dauerhafte Trennung für den Beschwerdeführer und seine Kinder zur Folge habe. Der Beschluss zeigt nicht belastbar auf, dass dem Beschwerdeführer ein Visum wegen eines Aufenthaltsrechts nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen sein wird.
Der Verwaltungsgerichtshof führt lediglich aus, dass die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis „in Betracht“ komme. Die darüber hinaus erfolgende Feststellung, dass die Ausländerbehörde vom Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgehe und der Beschwerdeführer dies nicht durchgreifend infrage gestellt habe, genügt nicht, zumal nicht die Ausländerbehörde über die Erteilung des Visums zu entscheiden hätte, sondern die Auslandsvertretung. Ob der Verwaltungsgerichtshof selbst vom Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte ausgeht, lässt sich dem Beschluss nicht eindeutig entnehmen. Es ist mangels näherer Subsumtion auch nicht erkennbar, worauf der Verwaltungsgerichtshof diese Annahme stützen würde.
Infolgedessen begründet der Verwaltungsgerichtshof auch nicht hinreichend, weshalb die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG – Sicherung des Lebensunterhalts – der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht entgegenstehen wird. Der Verwaltungsgerichtshof lässt letztlich offen, ob die für die Sicherung des Lebensunterhalts erforderliche günstige Prognose im Falle des Beschwerdeführers gestellt werden kann, und verweist vielmehr auf die Möglichkeit einer Ausnahme von dieser Voraussetzung bei atypischen Ausnahmefällen. Ein solcher sei anzunehmen, wenn die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts „wie hier“ eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG darstelle. Das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte hat der Verwaltungsgerichtshof selbst aber nicht aufgezeigt.
Überdies fehlt es im Hinblick auf das Wohnraumerfordernis des § 29 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AufenthG an einer hinreichenden Begründung der Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass „nicht zwingend“ davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer seine derzeitige Wohnung aus finanziellen Gründen aufgeben müsse. Der schlichte Verweis auf die „überschaubare […] Abwesenheitsdauer“ genügt hierfür nicht. Es liegt im Gegenteil nahe, dass für den Beschwerdeführer die Monatsmiete während der angenommenen Abwesenheitszeit von sechseinhalb Monaten ohne entsprechende laufende Einkünfte eine nicht nur geringfügige finanzielle Belastung darstellen würde, die er nicht tragen kann, wenn er derzeit auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen ist.
Auch der Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt hinter den verfassungsrechtlichen Anforderungen von Art. 6 Absätze 1 und 2 GG zurück, da es jedenfalls ebenso wenig hinreichend begründet, weshalb die Verweisung des Beschwerdeführers auf die Nachholung des Visumverfahrens erforderlich ist und eine nur vorübergehende Trennung von seinen Kindern nach sich zöge. Es hält hinsichtlich der möglichen Erteilung eines Visums an den Beschwerdeführer wegen eines Aufenthaltsrechts nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lediglich fest, dass „vorliegend keine Anhaltspunkte“ bestünden, „dass ein Familiennachzug nach §§ 27 ff. AufenthG nicht möglich wäre“.