Das Amtsgerichts München hat mit Urteil vom 28.07.2020 zum Aktenzeichen 813 Ds 256 Js 151985/19 entschieden, dass ein Biss durch einen HIV-Infizierten keine gefährliche Körperverletzung darstellt.
Aus der Pressemitteilung des AG München Nr. 43 vom 25.09.2020 ergibt sich:
Am 28.07.2020 verurteilte die zuständige Strafrichterin am Amtsgericht München einen 25jährigen Verkäufer aus dem Raum Dillingen wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 35 Euro.
Der Angeklagte beleidigte am 21.03.2019 gegen 02:00 Uhr in einer Bar der Münchner Müllerstraße den Geschädigten als „Hurensohn“ und „Wichser“.
Anschließend kam es zu einer im Einzelnen nicht mehr näher aufklärbaren körperlichen Auseinandersetzung zwischen ihm, seinem Begleiter und dem Geschädigten und dessen Freund. Dabei wurde der Geschädigte vom HIV-positiven Angeklagten so in das Handgelenk gebissen, dass er eine Bisswunde erlitt. Eine Infektion mit dem HI-Virus entstand jedoch nicht.
Der im Frühjahr 2020 kurzzeitig in Haft genommene, weil zum ersten Verhandlungstermin im Herbst 2019 unentschuldigt nicht erschienene Angeklagte bestritt die Tat. Er sei lediglich bei dem von den Anderen begonnenen Streit dazwischen gegangen, um seinen Begleiter zurückzuhalten. Er habe aber nicht gebissen, zumal auf eine Zahnprothese wartend sein Gebiss unvollständig gewesen sei. Er habe als HIV-Infizierter gewusst, dass er seit 2018 unter der Nachweisgrenze sei und damit sein Biss keine Gefahr darstelle.
Der Zeuge erklärte, dass er den Angeklagten schon zuvor kannte. „Da hat er schon fast stolz erzählt, dass er HIV-positiv ist und dass er Medikamente nimmt. Die seien super, da kann man keinen mehr anstecken.“ Er habe nach dem Biss wegen der Angst vor Ansteckung Panikattacken gehabt, sei suizidal gewesen und befinde sich seitdem in Psychotherapie. Er habe sich zweimal einem HIV-Test unterzogen, der beide Male negativ gewesen sei.
Der rechtsmedizinische Sachverständige gab an, dass bei der Wunde zwar untypisch angeordnete Bissverletzungen zu erkennen seien. Die fehlende Bogenform lasse sich mit einem Biss bei gleichzeitigem Wegziehen des Armes erklären. Die von den Zeugen erst in nachfolgenden Vernehmungen geschilderten wuchtigen Schläge und Tritte am Begleiter des Geschädigten hätten sichtbare Spuren hinterlassen müssen, die nicht festgestellt worden seien. Bei nicht nachweisbarer HI-Virenlast könne man davon ausgehen, dass keine Infektionsgefahr bestehe. Gänzlich ausschließen könne man eine Infektion freilich nicht.
Die Strafrichterin begründete ihr Urteil u.a. so:
„Eine Infektion mit dem HI-Virus entstand (…) nicht und war auch nicht zu erwarten, da der Angeklagte (…) (wie er selbst wusste) konstant in medikamentöser Behandlung ist und seine Virenlast dauerhaft unterhalb der Nachweisgrenze liegt. Der Geschädigte (…) hatte jedoch große Angst hinsichtlich einer etwaigen Ansteckung und unterzog sich insofern auch zwei Tests sowie einer medikamentösen Akut-Behandlung.
Zwar hat der Angeklagte teils vehement bestritten den Geschädigten (…) gebissen zu haben und hat hier angegeben, er habe diesen lediglich festgehalten bzw. weggezogen (…), diese Aussage ist jedoch widerlegt durch das Ergebnis der übrigen Beweisaufnahme. (…)
Soweit den Angeklagten auch zur Last gelegt wurde, den (weiteren Zeugen, Einfügg.d.V.) (…) gemeinschaftlich geschlagen und getreten zu haben, konnte ein Tatnachweis (…) nicht geführt werden.“
Die Strafrichterin wertete zugunsten des Angeklagten, dass er die Beleidigungen nicht abgestritten und seine Anwesenheit am Tatort sowie den Umstand, dass es überhaupt eine Auseinandersetzung gab, eingeräumt habe. Zu Lasten des Angeklagten wertete sie zwei allerdings nicht einschlägige Vorstrafen im niedrigeren Geldstrafenbereich, die massiven psychischen Folgen für den Geschädigten, den Biss trotz bestehender, wenn auch in Behandlung befindlicher HIV-Infektion und den Umstand, dass der Angeklagte hier gleich mehrere Delikte tateinheitlich begangen habe.