Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat Beschluss vom 26.7.2022 zum Aktenzeichen 2 Rv 21 Ss 262/22 dem Bundesgerichtshof die Rechtsfrage vorgelegt, ob das Vorzeigen eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke bereits vor dem 24. November 2021 strafbar war.
Aus der Pressemitteilung des OLG Karlsruhe Nr. 12/22 vom 28.07.2022 ergibt sich:
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat dem Bundesgerichtshof die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob das Vorzeigen eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke bereits vor einer Änderung des Strafgesetzbuchs (StGB) zum 24. November 2021 strafbar gewesen ist. Zu dieser Rechtsfrage gibt es derzeit unterschiedliche Entscheidungen verschiedener deutscher Oberlandesgerichte.
Beim 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe ist ein Revisionsverfahren anhängig, in dem einem 32 Jahre alten Mann vorgeworfen wird, am Nachmittag des 3. November 2021 in einer Apotheke in Weil am Rhein einen gefälschten Impfpass vorgelegt zu haben. Dadurch wollte er eine doppelte Schutzimpfung gegen COVID-19 vortäuschen, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten. Mit diesem Vorhaben war er allerdings gescheitert. Eine Mitarbeiterin der Apotheke hatte die Fälschung erkannt. Das Amtsgericht Lörrach verurteilte den Angeklagten deswegen mit Urteil vom 8. Februar 2022 wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150 Euro, insgesamt also zur Zahlung von 6.000 Euro. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision zum Oberlandesgericht eingelegt.
Nach Auffassung des 2. Strafsenats erfüllt das Verhalten des Angeklagten den Tatbestand der Urkundenfälschung, der – unter anderem – das Gebrauchen einer unechten Urkunde zur Täuschung im Rechtsverkehr unter Strafe stellt. Für die Entscheidung, ob die Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Lörrach bestätigt werden kann, ist jedoch die rechtliche Frage von maßgeblicher Bedeutung, ob der Annahme einer strafbaren Urkundenfälschung im Falle der Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke bei vor dem 24. November 2021 begangenen Taten eine „Sperrwirkung“ des Straftatbestands über den Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 279 StGB) entgegensteht. Gemäß dieser Vorschrift war der Gebrauch eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses bis zum 23. November 2021 nur gegenüber eine Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft strafbar. Diese Einschränkung hat der Gesetzgeber erst mit Wirkung zum 24. November 2021 aufgehoben.
Das Bayerische Oberste Landesgericht hat hierzu in einer Revisionsentscheidung vom 3. Juni 2022 (Aktenzeichen: 207 StRR 155/22) die Ansicht vertreten, dass § 279 StGB in seiner bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung eine umfassende Privilegierung im Falles des Umgangs mit gefälschten bzw. unrichtigen Gesundheitszeugnissen darstelle. Die Vorlage eines nachgemachten Impfpasses in einer Apotheke, die nicht gemäß § 279 StGB strafbar war, könne daher auch nicht als Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB geahndet werden. Diese Auffassung hatten außerhalb von Revisionsverfahren bereits das Oberlandesgericht Bamberg sowie mehrere Landgerichte vertreten.
Demgegenüber ist der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe der Auffassung, dass dem Straftatbestand des § 279 StGB bereits in seiner alten Fassung keine Sperrwirkung gegenüber dem allgemeinen Delikt der Urkundenfälschung zukam. Er hat sich in seiner ausführlichen Begründung auf den Gesetzeswortlaut, den Zweck der Strafnorm und die Systematik des Gesetzes sowie den Willen des historischen Gesetzgebers und die Gesetzgebungsgeschichte gestützt. Der Senat schließt sich damit einem Revisionsurteil des Oberlandesgerichts Celle vom 31. Mai 2022 (Aktenzeichen: 1 Ss 6/22) sowie Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamburg, Stuttgart und Schleswig sowie mehrerer Landgerichte, die außerhalb von Revisionsverfahren ergangen sind, an.
Einer sofortigen Entscheidung über die Revision des Angeklagten steht jedoch entgegen, dass zu der maßgeblichen Rechtsfrage eine abweichende Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts, nämlich des Bayerischen Obersten Landesgerichts, in einem Revisionsverfahren vorliegt. In einem solchen Fall sieht § 121 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) vor, dass die Sache zunächst dem Bundesgerichtshof vorzulegen ist, damit die maßgebliche Rechtsfrage geklärt werden kann. Hierdurch soll die Einheitlichkeit der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte im Bundesgebiet in ihrer Funktion als Revisionsgerichte in denjenigen Strafsachen, die im Instanzenzug bei einem Amtsgericht beginnen, gesichert werden.
Der Senat hat dem Bundesgerichtshof daher mit Beschluss vom 26. Juli 2022 die folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt: „Entfalten die §§ 277 bis 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung eine Sperrwirkung (privilegierende Spezialität), die bei Vorlage eines Impfausweises mit gefälschten Eintragungen über den Erhalt von Covid-19 Schutzimpfungen in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Covid-19-Impfzertifikats einen Rückgriff auf § 267 Abs. 1 StGB ausschließt und einer Verurteilung nach dieser Vorschrift entgegensteht?“