Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 14.01.2021 zum Aktenzeichen 5 Sa 267/19 entschieden, dass ein Arbeitgeber einen schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht auf Zusatzurlaub hinweisen muss, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung nichts weiß.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Bei einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG trifft den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Erfüllung der hieraus in richtlinienkonformer Auslegung abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ist grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes des § 7 Abs. 3 BUrlG.
Nach § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nF, § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX aF haben schwerbehinderte Menschen Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von fünf Arbeitstagen im Urlaubsjahr. Auf diesen Zusatzurlaub sind die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden. Der Zusatzurlaubsanspruch nach § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nF, § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX aF teilt das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs.
Im Streitfall ist die Beklagte ihren Mitwirkungsobliegenheiten für den gesetzlichen Mindesturlaub nicht nachgekommen. Entgegen der Ansicht des Klägers bedeutet dies nicht, dass deshalb der Verfall des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen nicht eingetreten ist.
Mitwirkungsobliegenheiten wegen des Zusatzurlaubs bestanden nicht deshalb, weil die Beklagte bereits bei der Einstellung im August 2016 wusste, dass der Kläger schwerbehindert ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Kläger nicht zu beweisen vermocht, dass der Beklagten seit August 2016 seine Schwerbehinderung bekannt gewesen sei, weil ihr Geschäftsführer bei der Agentur für Arbeit einen Eingliederungszuschuss für schwerbehinderte Menschen beantragt hat. Der vom Kläger benannte Zeuge X., ein Sachbearbeiter Reha/Schwerbehinderung des Arbeitgeberservices der Arbeitsagentur, hat in seiner schriftlichen Aussage vom 3. August 2020 ausgeführt, er könne die Frage, ob der Beklagten vor Einstellung des Klägers im August 2016 dessen Schwerbehinderung bekannt gewesen sei, nicht beantworten. Er habe bei dieser Förderanfrage keinerlei Kontakt zur Beklagten gehabt. Auch die vom Kläger benannte Zeugin P., eine Reha-SB-Vermittlerin der Arbeitsagentur, konnte die Beweisfrage nicht beantworten. Sie hat in ihrer schriftlichen Zeugenaussage vom 31. Juli 2020 ausgeführt, der Kläger habe im Herbst 2019 seine Akte einsehen wollen. Sie könne sich erinnern, dass ein Telefonat mit der Beklagten stattgefunden habe. An den Inhalt könne sie sich jedoch nicht erinnern. Damit ist dem beweisbelasteten Kläger der Beweis nicht gelungen.
Im zur Akte gereichten Bewilligungsbescheid der Agentur für Arbeit zum Antrag der Beklagten auf Eingliederungszuschuss vom 5. September 2016. ist der Förderungsgrund nicht genannt. Im Fragebogen zur Prüfung der Förderungsvoraussetzungen für die Gewährung eines Eingliederungszuschusses hat die Beklagte in der dafür vorgesehenen Rubrik fachliche Defizite des Klägers aufgeführt. Eine Schwerbehinderung des Klägers, die nach § 90 SGB III eine höhere Förderung und eine längere Förderungsdauer ermöglicht hätte, wird in keinem Dokument erwähnt.
In der Literatur wird angenommen, dass der Arbeitgeber einen Zusatzurlaub nicht anzubieten braucht, solange er nicht weiß, dass der Arbeitnehmer ein schwerbehinderter Mensch ist. Der Arbeitgeber muss zwar im Anschluss an die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einen schwerbehinderten Arbeitnehmer auf dessen Zusatzurlaub nach § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nF hinweisen und konkret und in völliger Transparenz dafür sorgen, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen Urlaub zu nehmen. Er ist jedoch nicht verpflichtet, jeden Arbeitnehmer – anlasslos und gleichsam prophylaktisch – auf den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen hinzuweisen. Die Berufungskammer schließt sich dem an.
Die Beklagte hat die Nichtgewährung des Zusatzurlaubs mangels Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers nicht zu vertreten. Bei Kenntniserlangung von der Schwerbehinderung im Januar 2019 war der Zusatzurlaubsanspruch aus den Vorjahren bereits verfallen.