Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 01. September 2022 zum Aktenzeichen 1 BvR 1691/22 entschieden, dass die Vollstreckung eines spanischen Titels zur Herausgabe des Kindes an dessen in Spanien lebenden Vater vorläufig nicht umgesetzt werden darf.
Die Beschwerdeführerin macht als Verfahrensbeiständin die Rechte des minderjährigen Kindes geltend. Sie wurde mit Beschluss vom 8. August 2022 vom Familiengericht zur Verfahrensbeiständin bestellt und hat am 11. August 2022 von den angegriffenen Entscheidungen erstmals Kenntnis erhalten. Sie begehrt im Rahmen ihrer am 31. August 2022 eingegangenen Verfassungsbeschwerde im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG die vorläufige Aussetzung eines Beschlusses zur Vollstreckung eines spanischen Titels zur Herausgabe des Kindes an dessen in Spanien lebenden Vater.
Die Verfahrensbeiständin rügt die Verletzung der Rechte des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie eine Verletzung von Art. 24 GRCh. Das Kind sei im Erkenntnisverfahren vor dem Gericht in Madrid nicht gehört worden und es sei dort nicht berücksichtigt worden, dass es seit nahezu achteinhalb Jahren und somit fast sein gesamtes Leben in Deutschland lebe, den Vater nicht kenne und dessen Muttersprache nicht spreche. Eine Trennung von seinen Hauptbezugspersonen, der Mutter und dem Stiefvater, würde für das Kind auch eine Trennung von seinem Verwandten- und Freundeskreis in Deutschland bedeuten und ihm würde dadurch abverlangt, sich auf ein völlig neues Leben in einem ihm fremden Land mit fremden Menschen einzustellen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Beschluss der Kammer vom 1. August 2022 im Verfahren 1 BvQ 50/22 Bezug genommen, dem derselbe Sachverhalt zugrunde liegt.
Die dem Kind bestellte Verfahrensbeiständin konnte die Rechte des Kindes im eigenen Namen zulässigerweise geltend machen und selbst Verfassungsbeschwerde einlegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. Dezember 2016 – 1 BvR 2569/16 -, Rn. 39). Die Verfassungsbeschwerde ist auch fristgerecht erhoben. Denn wie bei der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde im fremden Namen durch einen Ergänzungspfleger kommt es auch bei Verfahrensbeistandschaft für den Beginn des Fristlaufs grundsätzlich auf deren Kenntnis von den anzugreifenden fachgerichtlichen Entscheidungen an (vgl. jeweils zur Ergänzungspflegschaft BVerfGE 75, 201 <215>; 99, 145 <155 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Juli 2006 – 1 BvR 1465/05 -, Rn. 27). Hier hat die dem Kind am 8. August 2022 bestellte Verfahrensbeiständin am 11. August 2022 von den angegriffenen Beschlüssen Kenntnis erlangt, sodass die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde bis zum Montag, dem 12. September 2022 läuft und die Einlegung am 31. August 2022 fristgerecht war.
Die Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung der sofortigen Herausgabe des Kindes an den Vater wäre – auch unter Berücksichtigung des ausführlichen Vortrags des Vaters im Verfahren 1 BvQ 50/22 – nicht offensichtlich unbegründet. Es ist nicht auszuschließen, dass sowohl das Familiengericht als auch das Oberlandesgericht Art. 42 Brüssel IIa-VO in einer Weise ausgelegt und angewendet haben, mit der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Beeinträchtigungen von Grundrechte des Kindes einhergehen (vgl. näher dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 1. August 2022 – 1 BvQ 50/22 -, Rn. 37 ff.).
Bei einem offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. BVerfGE 131, 47 <55>; 132, 195 <232 Rn. 87>; stRspr). Danach liegen die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung vor. Für die dafür maßgeblichen Gründe wird auf die fortgeltenden Erwägungen der Kammer in ihrem Beschluss vom 1. August 2022 (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 1. August 2022 – 1 BvQ 50/22 -, Rn. 45 ff.) Bezug genommen. Insoweit haben sich weder durch das Vorbringen des Vaters noch durch den Beschluss des Gerichts 1. Instanz Nr. 79 von Madrid vom 13. Juli 2022, in der es sich inhaltlich nicht mit den geäußerten Bedenken gegen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Bescheinigung nach Art. 42 Brüssel IIa-VO befasst, neue für die Folgenabwägung bedeutsame Umstände ergeben.
Dem Vater des betroffenen Kindes wurde in dem auf Antrag der Mutter eröffneten Verfahren 1 BvQ 50/22, das dieselben fachgerichtlichen Entscheidungen zum Gegenstand hat, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, von der er umfangreich Gebrauch gemacht hat. Die Kammer hat das dortige Vorbringen des Vaters im hiesigen Verfahren vor Erlass dieser einstweiligen Anordnung berücksichtigt.