Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 15.10.2020 zum Aktenzeichen IX ZR 243/19 entschieden, dass ein Rechtsanwalt eine Handakte 3 Jahre nach Mandatsbeendigung nicht mehr an den Mandanten herausgeben muss, auch wenn die Aufbewahrungsfrist X Jahre beträgt.
Der Anspruch auf Herausgabe der die anwaltliche Tätigkeit der Beklagten betreffenden Akten folgt aus § 667 BGB in Verbindung mit § 50 BRAO.
Die Verjährung des Herausgabeanspruchs aus § 667 BGB begann zum Schluss des Jahres der Mandant-Beendigung zu laufen.
Der Anspruch unterliegt der dreijährigen Verjährung gemäß § 195 BGB. Die Frist beginnt nach § 199 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit haben muss. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass der Anspruch fällig ist.
Die Bestimmungen des § 50 BRAO zur Aufbewahrungspflicht bei Handakten haben auf den Lauf der Verjährung des Herausgabeanspruchs aus § 667 BGB keinen Einfluss. Die von § 50 BRAO vorgesehenen Aufbewahrungsfristen stellen für den Herausgabeanspruch weder eine die Verjährung verdrängende materiellrechtliche Ausschlussfrist dar noch führen sie dazu, dass der Herausgabeanspruch des Mandanten aus § 667 BGB als verhaltener Anspruch einzuordnen ist, bei dem die Verjährung erst mit dem Herausgabeverlangen zu laufen beginnt.
Weder aus § 50 Abs. 2 Satz 3 BRAO noch aus § 50 Abs. 3 BRAO ergibt sich ein hinreichender Grund, den Herausgabeanspruch des Mandanten als verhaltenen Anspruch oder die Aufbewahrungsfrist als die Verjährung verdrängende materiellrechtliche Ausschlussfrist einzuordnen. Auch wenn diese Bestimmungen über ihren berufsrechtlichen Regelungsgehalt hinaus die materiellrechtliche Rechtslage zwischen Mandant und Anwalt beeinflussen, folgt daraus nicht, dass der Lauf der Verjährung des Herausgabeanspruchs abweichend von § 199 BGB zu bestimmen ist.
Dass die von § 50 BRAO vorgesehene Aufbewahrungspflicht unter bestimmten Voraussetzungen vor Ablauf der gesetzlichen Fristen erlischt (§ 50 Abs. 2 Satz 3 BRAO), betrifft nicht den Herausgabeanspruch des Mandanten, sondern die Aufbewahrungspflicht des Rechtsanwalts. Der Herausgabeanspruch aus § 667 BGB besteht unabhängig davon, ob den Rechtsanwalt eine Aufbewahrungspflicht trifft. Unter welchen Voraussetzungen der Rechtsanwalt von der Pflicht zur Herausgabe der Handakten frei wird, richtet sich daher nach den allgemeinen Regeln. So ist etwa der Anspruch auf Herausgabe gemäß § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, wenn dem Rechtsanwalt die Herausgabe der Handakten unmöglich ist. Jedoch haftet der Rechtsanwalt gemäß §§ 280 ff BGB, wenn er sich nicht entlasten kann. Eine solche Entlastung kann sich nach § 50 Abs. 2 Satz 3 BRAO ergeben, wenn der Rechtsanwalt den Auftraggeber aufgefordert hat, die Dokumente in Empfang zu nehmen, und der Auftraggeber dieser Aufforderung binnen sechs Monaten nach Zugang nicht nachgekommen ist.
Ebenso wenig zwingt § 50 Abs. 3 Satz 1 BRAO dazu, die Verjährung des Herausgabeanspruchs besonderen Regeln zu unterwerfen. Das Zurückbehaltungsrecht nach § 50 Abs. 3 BRAO ist ein Sonderrecht des Rechtsanwalts, das weitergeht als das allgemeine Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB und es dem Anwalt ermöglichen soll, seine berechtigten Ansprüche gegen den Auftraggeber auch ohne Prozess und ohne Anrufung der Gerichte durchzusetzen. Hieraus folgt jedoch nicht, dass die von § 50 BRAO bestimmte Dauer, während derer der Rechtsanwalt die Handakten aufzubewahren hat, zugleich den Lauf der Verjährung beeinflusst. Da die Interessen des Mandanten durch die verjährungsrechtlichen Regeln ausreichend geschützt sind, hat die Länge der berufsrechtlichen Aufbewahrungsfrist keinen Einfluss auf den Lauf der Verjährung.
Auch wenn die von § 50 BRAO bestimmten Aufbewahrungsfristen nicht mit der Verjährung des Herausgabeanspruchs abgestimmt sind, behält die gegenüber der regelmäßigen Verjährung längere berufsrechtliche Aufbewahrungspflicht eine eigenständige Bedeutung. Dies beschränkt sich nicht nur auf die berufsrechtlichen Belange. So beeinflusst die Länge der Aufbewahrungspflicht etwa datenschutzrechtliche Ansprüche des Mandanten. Da die Handakte bei einem Haftungsprozess gegen den Anwalt ein wichtiges Beweismittel darstellen kann, berührt die Länge der Aufbewahrungspflicht neben der Beweisführung weiter die Frage, wie sich der Anwalt in tatsächlicher Hinsicht im Haftungsprozess einlassen kann.