Das Amtsgericht Hannover hat mit Urteil vom 29.07.2020 zum Aktenzeichen 512 C 15505/19 im Streit um Schadenersatz und Schmerzensgeld anlässlich eines Unfalls mit einem sogenannten „Bierbike“ entschieden, dass der Betreiber des Gefährts aufgrund unzulänglicher Sicherheitsvorkehrungen für entstandene Verletzungsfolgen haftet, wenn der in der Mitte des Gefährts stehende „Zapfer“ zu Fall kommt.
Aus der Pressemitteilung des AG Hannover vom 30.07.2020 ergibt sich:
Gleichzeitig sieht das Amtsgericht auch bei dem Kläger ein Mitverschulden, so dass seine Ansprüche um ein Drittel zu kürzen sind.
Der Kläger verlangte von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Vorfalls, der sich am frühen Abend des 18.05.2019 auf einer von der Beklagten veranstalteten Bierbike-Tour am Maschsee in Hannover ereignete. Die Beklagte veranstaltet derartige Touren geschäftsmäßig. Dazu wird den Teilnehmern die Nutzung von Fahrzeugen angeboten, die von 8-15 Personen durch deren Körperkraft über Pedalen angetrieben werden. Dabei sitzen die Teilnehmer an Tresen um einen Ausschank herum. Den Teilnehmern wird zudem ein 20-Liter Bierfass zur Verfügung gestellt, aus dem ein innerhalb des Gefährts stehender Teilnehmer über eine Zapfanlage den Getränkeausschank übernimmt. Dem den Ausschank übernehmenden Teilnehmer stehen keine speziellen Sicherungsgriffe oder Haltevorrichtungen zur Verfügung. Es besteht für ihn jedoch die Möglichkeit, sich an den das Dach des Gefährts abstützenden Metallstreben festzuhalten. Während die übrigen Teilnehmer für den Vortrieb des Gefährts sorgen, wird dieses von einem Mitarbeiter des Beklagten gelenkt und ggf. gebremst. Der Kläger nahm anlässlich eines Junggesellenabschieds an einer solchen Tour teil. Die Fahrt wurde mit insgesamt zehn Teilnehmern angetreten. Der Kläger übernahm während der gesamten Tour den Ausschank an die anderen Teilnehmer, wozu er sich stehend im inneren Bereich des Fahrzeuges aufhielt. Gegen Ende der Tour lenkte die Mitarbeiterin der Beklagten das Gefährt von der Straße über einen abgesenkten Bordstein auf die Einfahrt zum Betriebsgelände. Im Bereich der Einfahrt bremste sie das Gefährt sodann ab. Der im Bereich des Ausschanks stehende Kläger kam zu Fall. Im direkten Anschluss hieran klagte er über Beschwerden, im Anschluss begab er sich in ärztliche Behandlung. Es wurde eine nicht dislozierte Sternumfraktur festgestellt. Der Kläger verlangte von der Beklagten daher ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 1.500 Euro, sowie Fahrtkosten für Arztbesuche und Zuzahlungen für Schmerzmittel, insgesamt weitere 38,90 Euro. Die Beklagte vertrat die Ansicht, den Unfall nicht verschuldet zu haben. Eine Haftung scheide zudem aus, weil der Kläger an der Fahrt auf eigenes Risiko teilgenommen habe. Zumindest treffe den Kläger ein derart grobes Mitverschulden, dass eine Haftung der Beklagten ausscheide.
Das AG Hannover hat entschieden, dass der Betreiber des Gefährts aufgrund unzulänglicher Sicherheitsvorkehrungen für entstandene Verletzungsfolgen haftet, wenn der in der Mitte des Gefährts stehende „Zapfer“ zu Fall kommt.
Nach Auffassung des Amtsgerichts haftet die Beklagte vertraglich wegen einer Pflichtverletzung gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Die Beklagte habe ihr vertraglich auch gegenüber dem Kläger obliegende Schutzpflichten verletzt. Dabei habe der Beklagten die Verpflichtung obliegen, den Kläger vor Körper- und Gesundheitsschäden im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflichten zu schützen. Diese Schutzpflicht ergebe sich ohne weiteres aus den Einwirkungsmöglichkeiten der Beklagten auf den Ablauf der Veranstaltung und die Gestellung des dazu erforderlichen Fahrzeuges. Das den Teilnehmern zur Verfügung gestellte Fahrzeug sei nicht in einer Art und Weise ausgerüstet, die den als Zapfer fungierenden Teilnehmer hinreichend vor Körper- und Gesundheitsschäden schütze. Das Fahrzeug verfüge im hier relevanten Bereich um die Zapfanlage über keine hinreichenden technischen Einrichtungen, die die dort während der Fahrt aufhältige Person vor Stürzen schütze. Insbesondere sei es nicht hinreichend, dass der Zapfer sich an den Streben für die Dachbefestigung oder an der Zapfanlage selbst festhalten konnte.
Nach den Anpreisungen der Beklagten sollte während der Fahrt aus dem zur Verfügung gestellten Fass Bier gezapft und getrunken werden. Die Beklagte habe deshalb davon ausgehen müssen, dass die zum Zapfen des Bieres eingesetzte Person nicht stets spontan in der Lage sein würde, bei plötzlichen Fahrmanövern sogleich die Hände frei zu haben und sicheren Halt zu finden. Immerhin werde die Tätigkeit des Bierzapfens – dies sei allgemeinkundig – regelmäßig beidhändig ausgeführt, indem mit einer Hand der Zapfhahn bedient während mit der anderen Hand das Trinkbehältnis gehalten werde. Die auf den Lichtbildern abgebildete Zapfanlage des Gefährts zeige, dass es auch hier nicht anders ging. Zudem sei auch aus Sicht der Beklagten naheliegend und ohne weiteres zu erwarten, dass sich auch die zum Zapfen eingesetzte Person am Bierkonsum beteiligen und aufgrund der im Lauf der Veranstaltung eintretenden Wirkungen des Alkohols in seiner Aufmerksamkeit und seiner Steuerungsfähigkeit zunehmend beeinträchtigt sein und dadurch die zu beachtende Vorsicht vernachlässigen werde.
Die Beklagte habe auch ohne weiteres damit rechnen müssen, dass es während der Veranstaltungen zu plötzlichen Fahrmanövern kommen würde, die geeignet waren, die zum Zapfen eingesetzte Person aus dem Gleichgewicht zu bringen. Immerhin liege das Einsatzgebiet der Fahrzeuge der Beklagten im Umfeld des hannoverschen Maschsees. Dort gingen – auch dies sei jedenfalls regional allgemeinkundig – eine Vielzahl von Menschen ihren Freizeitaktivitäten zu Fuß, auf Fahrrädern oder auf Skateboards nach, sodass eine spontan erforderliche Lenk- oder Bremsreaktion auf deren Verhalten durch den Führer des Bierbikes naheliegend sei.
Unter diesen Umständen hätte die Beklagte das Bierbike mit einem Sicherungssystem – etwa einem Gurt – für den Zapfer ausstatten müssen. Dies wäre der Beklagten auch ohne weiteres zumutbar gewesen, schon weil der Aufwand für die Installation einer entsprechenden Einrichtung doch recht gering sei. Deshalb sei es für die Frage der Verletzung der Verkehrssicherungspflichten der Beklagten zunächst unerheblich, warum die Mitarbeiterin der Beklagten hier das Bremsmanöver unternommen habe. Die Beklagte habe nämlich auch damit rechnen müssen, dass die Teilnehmer der Veranstaltung alkoholbedingt übermütig werden und das Fahrzeug beschleunigen könnten. Die Mitarbeiterin der Beklagten habe auf derartiges Verhalten über den gesamten Ablauf der Veranstaltung jederzeit vorbereitet sein müssen. Dies gelte auch für die hier gegebene Situation kurz vor Erreichen des Ziels. Die Mitarbeiterin habe sich nicht darauf verlassen dürfen, dass sich die Teilnehmer aufgrund der Anstrengungen der Fahrt und aufgrund alkoholbedingt eingetretener Müdigkeit nicht mehr anstrengen würden.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestehe kein Zweifel, dass der Sturz des Klägers jedenfalls auch auf die fehlenden technischen Einrichtungen – etwa die fehlende Möglichkeit seinen Stand sich mittels eines Gurtes zu sichern – zurückzuführen sei. Soweit die Bekundungen der Zeugen hier ergiebig waren, hätten sie doch übereinstimmend und glaubhaft ergeben, dass der Kläger hier im Zuge des Bremsmanövers ins Straucheln geraten sei und keinen Halt gefunden habe. Es sei schließlich davon auszugehen, dass sich der Kläger einer technischen Sicherung im Falle ihres Vorhandenseins und bei entsprechender Einweisung regelrecht verhalten und dieser Möglichkeit bedient hätte.
Schließlich habe auch die Führerin des Fahrzeuges schuldhaft zu dem Unfall beigetragen. Dieses Verschulden müsse sich die Beklagte im Rahmen der hier gegebenen vertraglichen Haftung gemäß § 278 BGB zurechnen lassen. Die Führerin des Fahrzeuges habe nämlich die Pflicht, sich auf das Verhalten der für den Vortrieb des Gefährts sorgenden Teilnehmer einzustellen. Sie habe insbesondere damit rechnen müssen, dass die Teilnehmer aus alkoholbedingtem Übermut das Gefährt auch unaufgefordert beschleunigen könnten. Sie hätte das Fahrzeug rechtzeitig und vorsichtig abbremsen müssen. Die Bekundungen der gehörten Zeugen zeigen jedoch auf, dass sie ein stärkeres Bremsmanöver unternommen habe. Der Kläger müsse sich jedoch hier gemäß § 254 BGB auch im Rahmen des gegebenen vertraglichen Haftungsgefüges ein Mitverschulden entgegenhalten lassen, das bei der Bemessung des Schmerzensgeldes anspruchsmindernd zu berücksichtigen sei und bei der Frage des Schadensersatzes zu einer Haftungsquote (von einem Drittel) führe.
Der Kläger habe sich hier unvorsichtig verhalten und dadurch zur Entstehung des Schadens nicht unmaßgeblich beigetragen. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung bestehe kein Zweifel, dass der Kläger die konkrete Gefahr voraussehen konnte und hierauf hätte einstellen können. Dies ergebe sich schon aus seinem eigenen Vortrag in der mündlichen Verhandlung, wonach das Fahrzeug kurz vor dem Bremsmanöver von den Teilnehmern – aus welchen Gründen auch immer – beschleunigt wurde. Dies hatte der Kläger wahrgenommen, wie seine Angaben in der mündlichen Verhandlung ohne weiteres ergeben. Zudem sei es auch für den Kläger durch das kurz zuvor vollzogene Abbiegemanöver von der Straße in die Einfahrt offensichtlich gewesen, dass die Fahrt ihrem Ende entgegenging. Es sei deshalb auch für ihn naheliegend, dass es – aus welchen Gründen auch immer – in der gegebenen Situation zu Fahrmanövern kommen könnte, die geeignet waren, sich auf seine Standsicherheit auszuwirken. Gleichwohl habe er sich nicht um seine Eigensicherung gekümmert, sondern den Zapfvorgang fortgesetzt.
Nach alledem habe der Kläger einen Anspruch auf Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB, da er durch den Sturz in seiner Gesundheit verletzt wurde. Nach dem Ergebnis von mündlicher Verhandlung und Beweisaufnahme bestehe kein Zweifel, dass der Kläger auf das Bierfass – und nicht auf die Lehne des Fahrersitzes – gestürzt sei und sich dadurch den attestierten Bruch des Brustbeins zugezogen habe. An dem Sturz auf das Bierfass bestünden keine Zweifel. Der Kläger habe das Geschehene glaubhaft geschildert. Es werde durch die glaubhaften Bekundungen der gehörten Zeugen, soweit deren Angaben ergiebig seien, bestätigt.
Dieses Beweisergebnis werde nicht dadurch erschüttert, dass der Kläger sich nicht sogleich, sondern erst zwei Tage später in ärztliche Behandlung begeben habe. Es sei durchaus plausibel, dass der Kläger hier zunächst, etwa in der Annahme es liege lediglich eine schmerzhafte Prellung vor, zunächst nach Hause begeben und abgewartet habe. Es bestehe kein Anhalt, dass sich der Kläger den Bruch erst im Anschluss an das hier gegenständliche Ereignis zugezogen habe.
Die danach gebotene Abwägung der gegebenen Umstände begründe ein Schmerzensgeld in Höhe von 1000 Euro. Der Kläger habe glaubhaft geschildert, durch den gegebenen Bruch des Sternums über einen Zeitraum von gut sechs Wochen permanent deutliche Schmerzen gehabt zu haben. Dies sei ohne weiteres nachvollziehbar, da dieser die Rippen verbindende Knochen beim Atmen ständig bewegt werde und jeder Knochenbruch Zeit zur Heilung brauche. Auch würden die Beeinträchtigungen durch die Bekundungen seines damals mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Sohnes glaubhaft bestätigt.
Gleichwohl sei angesichts des Mitverschuldens des Klägers ein über 1000 Euro hinausgehendes Schmerzensgeld nicht gerechtfertigt, zumal die Verletzungen folgenlos ausgeheilt seien. Zwar liege das überwiegende Verschulden bei der Beklagten, deren fahrlässiges Handeln im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit liege. Das Mitverschulden des Klägers sei jedoch nicht unbeträchtlich. Er habe sich während der zweistündigen Fahrt mit den Eigenheiten des Gefährts vertraut machen können. Er habe von Anbeginn um seine körperlichen Fähigkeiten müssen. Es sei auch seine Sache, sich stets Gewissheit über bevorstehende Fahrmanöver zu verschaffen und für einen sicheren Halt zu sorgen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.