Haftung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts für Umweltschäden

11. Juli 2020 -

Der Europäische Gerichtshof hat am 09.07.2020 zum Aktenzeichen C-297/19 entschieden, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts für Umweltschäden haftbar sein können, die durch Tätigkeiten verursacht werden, die aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübt werden, wie etwa der Betrieb eines Schöpfwerks zur Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen.

Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 84/2020 vom 09.07.2020 ergibt sich:

In den Jahren 2006 bis 2009 wurde ein Teil der Halbinsel Eiderstedt, die im westlichen Teil des Bundeslands Schleswig-Holstein liegt, u.a. aufgrund des Vorkommens der Trauerseeschwalbe, eines geschützten Wasservogels, als „Schutzgebiet“ ausgewiesen. Nach dem Managementplan wird das Schutzgebiet für diese Art noch immer überwiegend als Grünlandgebiet großflächig traditionell bewirtschaftet. Die Halbinsel Eiderstedt bedarf zur Besiedlung und landwirtschaftlichen Nutzung der Entwässerung. Zu diesem Zweck betreibt der Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt, ein Wasser- und Bodenverband in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, ein Schöpfwerk, das das gesamte Verbandsgebiet entwässert. Die eine Reduzierung des Wasserstands bewirkenden Pumpvorgänge dieses Schöpfwerks gehören zur Aufgabe der Unterhaltung oberirdischer Gewässer, die diesem Verband als öffentlich-rechtliche Verpflichtung übertragen ist. Da eine Umweltvereinigung, der Naturschutzbund Deutschland – Landesverband Schleswig-Holstein, der Ansicht war, dass der Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt durch den Betrieb dieses Schöpfwerks Umweltschäden zulasten der Trauerseeschwalbe zu vertreten habe, stellte sie beim Kreis Nordfriesland einen Antrag auf Anordnung von Maßnahmen zur Begrenzung und Sanierung dieser Schäden, der jedoch abgelehnt wurde. Zur Stützung ihres Antrags berief sich die Vereinigung auf die zur Umsetzung der Richtlinie 2004/35 über Umwelthaftung erlassenen deutschen Rechtsvorschriften (RL 2004/35/EG über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl. 2004, L 143, 56). Mit dieser Richtlinie wird ein Rahmen für die Umwelthaftung geschaffen, um u.a. Umweltschäden zu vermeiden und zu sanieren, die den insbesondere in der Habitatrichtlinie (RL 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. 1992, L 206, 7) und in der Vogelschutzrichtlinie (RL 2009/147/EG über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABl. 2010, L 20, 7) genannten Arten und natürlichen Lebensräumen entstehen. Nach Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der RL 2004/35 können die Mitgliedstaaten jedoch eine Haftungsbefreiung zugunsten der Eigentümer und der Betreiber vorsehen, wenn die Schädigungen von Arten und natürlichen Lebensräumen auf einer „normalen Bewirtschaftung“ des betreffenden Gebiets beruhen. Von dieser Möglichkeit hat Deutschland Gebrauch gemacht. Vor diesem Hintergrund hat das BVerwG, das mit dem abgelehnten Antrag der Umweltvereinigung befasst ist, beschlossen, dem EuGh die Frage vorzulegen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Tätigkeit wie der Betrieb eines Schöpfwerks zur Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen als zur „normalen Bewirtschaftung eines Gebiets“ im Sinne der RL 2004/35 gehörend angesehen werden kann. Das vorlegende Gericht hat den EuGH außerdem darum ersucht, klarzustellen, ob eine solche Tätigkeit als „berufliche Tätigkeit“ im Sinne der RL 2004/35 angesehen werden kann, wenn sie aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübt wird.

Der EuGH hat entschieden, dass der Begriff „normale Bewirtschaftung eines Gebiets“ dahin zu verstehen ist, dass er jede Maßnahme erfasst, die eine gute Verwaltung bzw. Organisation der Gebiete, in denen geschützte Arten oder natürliche Lebensräume vorhanden sind, u.a. im Einklang mit der allgemein anerkannten landwirtschaftlichen Praxis ermöglicht.

Die Bewirtschaftung eines Gebiets, in dem geschützte Arten und natürliche Lebensräume im Sinne der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie vorhanden seien, könnten nur dann als „normal“ angesehen werden, wenn sie die Ziele und Verpflichtungen, die in diesen Richtlinien vorgesehen seien, und insbesondere sämtliche Bewirtschaftungsmaßnahmen achte, die die Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie ergreifen, wie diejenigen, die in den Aufzeichnungen über den Lebensraum und den Dokumenten über die Erhaltungsziele gemäß Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der RL 2004/35 enthalten seien. Unter diesen Umständen könne die normale Bewirtschaftung eines Gebiets u.a. landwirtschaftliche Tätigkeiten, die in dem Gebiet ausgeübt werden, einschließlich ihrer notwendigen Ergänzungen wie die die Be- und Entwässerung und damit den Betrieb eines Schöpfwerks, umfassen.

Ein Gericht, das aufgerufen sei, zu beurteilen, ob eine Bewirtschaftungsmaßnahme normal sei oder nicht, könne die Bewirtschaftungsdokumente zu diesem Gebiet, sollten diese keine ausreichenden Angaben enthalten, unter Bezugnahme auf die in der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie festgelegten Ziele und Verpflichtungen sowie mit Hilfe von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung dieser Richtlinien erlassen wurden oder mit dem Sinn und Zweck dieser Richtlinien in Einklang stehen, beurteilen.

Nach Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der RL 2004/35 könne sich die normale Bewirtschaftung eines Gebiets auch aus einer früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber ergeben. Unter diese Regel fielen Bewirtschaftungsmaßnahmen, die zum Zeitpunkt des Schadenseintritts über einen hinreichend langen Zeitraum praktiziert worden seien sowie allgemein anerkannt seien und feststehen, um als für das betreffende Gebiet üblich angesehen werden zu können, allerdings unter dem Vorbehalt, dass sie die Erfüllung der in der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie vorgesehenen Ziele und Verpflichtungen nicht in Frage stellen.

Was die Frage anbelange, ob eine von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübte Tätigkeit wie der Betrieb eines Schöpfwerks zur Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen eine „berufliche Tätigkeit“ im Sinne der RL 2004/35 darstellen könne, hat der EuGH bestätigt, dass dieser Ausdruck sämtliche in einem beruflichen Rahmen – im Gegensatz zu einem rein persönlichen oder häuslichen Rahmen – ausgeübten Tätigkeiten erfasse, unabhängig davon, ob diese Tätigkeiten einen Bezug zum Markt oder Wettbewerbscharakter hätten.