Der Europäische Gerichtshof hat am 03.12.2020 zum Aktenzeichen C-352/19 entschieden, dass das EuG zu Recht die Klage der Region Brüssel-Hauptstadt auf Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung der Kommission zur Erneuerung der Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat als unzulässig abgewiesen hat.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 150/2020 vom 03.12.2020 ergibt sich:
Die Region habe nicht nachgewiesen, dass sie von dieser Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen sei, so der EuGH.
Die Region Brüssel-Hauptstadt erhob am 08.03.2018 beim EuG Klage auf Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung 2017/2324 (ABl. 2017, L 333, 10) der Kommission zur Erneuerung der Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat. Mit Erlass vom 10.11.2016 hatte die Region Brüssel-Hauptstadt die Verwendung glyphosathaltiger Pestizide verboten.
Das EuG erklärte die Klage mit dem vor dem EuGH angefochtenen Beschluss vom 28.02.2019 (T-178/18) wegen fehlender Klagebefugnis für unzulässig. Das EuG stellte insbesondere fest, dass die Region Brüssel-Hauptstadt von der angefochtenen Verordnung nicht unmittelbar betroffen sei. Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Region Brüssel-Hauptstadt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, die Nichtigkeitsklage für zulässig zu erklären und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen.
Der EuGH hat das von der Region Brüssel-Hauptstadt eingelegte Rechtsmittel insgesamt zurückgewiesen.
Nach Auffassung des EuGH muss die Klage einer regionalen oder lokalen Einheit den in Art. 263 Abs. 4 AEUV genannten Zulässigkeitskriterien genügen. Darin werde die Zulässigkeit einer Klage einer natürlichen oder juristischen Person gegen eine Entscheidung, die nicht an sie gerichtet sei, unter die Bedingung gestellt, dass sie unmittelbar und individuell von dieser Entscheidung betroffen sei oder – soweit es sich um einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter handele – sie unmittelbar davon betroffen sei und dieser Rechtsakt keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehe.
In Entgegnung auf das Vorbringen der Region Brüssel-Hauptstadt, ihre Klage falle in den Anwendungsbereich des „Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten“ (unterzeichnet am 25.06.1998 in Aarhus)und die im AEUV vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen seien daher unter Beachtung von dessen Bestimmungen über den Zugang zu den Gerichten auszulegen, führt der EuGH aus, dass internationale Übereinkünfte keinen Vorrang gegenüber dem primären Unionsrecht beanspruchen können. Somit könnten die Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus keine Änderung der vom AEUV aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen für Nichtigkeitsklagen bewirken. Der EuGH hat daher den hierauf gestützten Antrag der Region Brüssel-Hauptstadt zurückgewiesen.
Die Region Brüssel-Hauptstadt macht außerdem geltend, aufgrund der angefochtenen Durchführungsverordnung hätten Zulassungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff Glyphosat weiterhin ihre Wirkungen entfalten können, während die Zulassungen ohne eine Erneuerung der Genehmigung dieses Wirkstoffs obsolet geworden wären. Insoweit sei darauf hinzuweisen, dass die Erneuerung der Genehmigung eines Wirkstoffs nicht dazu führe, dass die Zulassungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln mit diesem Wirkstoff bestätigt bzw. verlängert werden oder weiterlaufen, da ihre Inhaber innerhalb von drei Monaten nach der Genehmigung des Wirkstoffs eine Erneuerung der Zulassung beantragen müssten. Über diesen Antrag haben die Mitgliedstaaten binnen zwölf Monaten zu entscheiden. Außerdem obliege die Pflicht, die Zulassung um den notwendigen Zeitraum zu verlängern, wenn vor Ablauf der Zulassung keine Entscheidung über deren Erneuerung getroffen wurde, in Belgien der Föderalbehörde, da diese nach nationalem Recht für „die Festlegung von Produktnormen“ zuständig sei, und nicht Regionen wie der Region Brüssel-Hauptstadt. Nach belgischem Recht seien die Regionen zwar „an der Ausarbeitung von föderalen Regelungen im Bereich von Produktnormen beteiligt“ und dürften das Inverkehrbringen und die Verwendung eines Pestizids für landwirtschaftliche Zwecke vom zuständigen föderalen Minister nur nach Stellungnahme eines Ausschusses genehmigt werden, in dem die Region Brüssel-Hauptstadt durch einen Sachverständigen vertreten sei. Diese beratende Zuständigkeit stelle jedoch keine unmittelbare Wirkung der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. 2009, L. 309, 1) dar.
Zu der Voraussetzung der „unmittelbaren Betroffenheit“ sei darauf hinzuweisen, dass diese u. a. bedeutet, dass sich die fragliche Maßnahme unmittelbar auf die Rechtsstellung der natürlichen oder juristischen Person auswirken müsse, die eine Klage nach Art. 263 Abs. 4 AEUVzu erheben gedenke. Die Region Brüssel-Hauptstadt mache geltend, dass der angefochtene Rechtsakt ein Risiko für die Gültigkeit des mit dem Erlass vom 10.11.2016 verfügten Verbots der Verwendung von glyphosathaltigen Pestizide bilde. Nach der Auffassung des EuGH sind die Zweifel an der Gültigkeit der Regelung zum Verbot der Verwendungglyphosathaltiger Pestizide in Ansehung der belgischen Verfassung, deren Verbindung mit dem angefochtenen Rechtsakt die Rechtsmittelführerin nicht genauer darstellt, nicht für den Nachweis geeignet, dass sie unmittelbar betroffen wäre. In Erwiderung auf das Vorbringen der Region Brüssel-Hauptstadt, dass die Verabschiedung des Erlasses vom 10.11.2016 trotz der ungünstigen rechtlichen Rahmenbedingungen von politischen Bedenken von allgemeinen Interesse geleitet gewesen sei, und nicht nur von rechtlichen Erwägungen, sei festzustellen, dass die Voraussetzung der „unmittelbaren Betroffenheit“ ausschließlich anhand der Rechtswirkungen der fraglichen Maßnahme zu beurteilen sei, wohingegen sich ihre etwaigen politischen Auswirkungen nicht auf die Beurteilung auswirkten. Daher sei das von der Region Brüssel-Hauptstadt eingelegte Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.