Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 27.09.2023 zum Aktenzeichen 5 Sa 15/23 entschieden, dass die Fortzahlung der vormaligen Vergütung an ein freigestelltes Betriebsratsmitglied die Gleichbehandlung herstellt und das Betriebsratsmitglied nicht nach § 78 Satz 2 BetrVG unzulässig begünstigen kann. Die Ermöglichung eines „Vorortverzehrs“ von Getränken und die Ausgabe von Getränkemarken an Arbeitnehmer stellen die Leistung von Arbeitsentgelts dar, wenn im Unternehmen keine Tätigkeiten anfallen, die mit einem erhöhten Flüssigkeitsbedarf verbunden sind. Erhalten Außendienstmitarbeiter zusätzliche Getränkemarken, weil sie aus tatsächlichen Gründen regelmäßig nicht in der Lage sind, den „Vorortverzehr“ in Anspruch zu nehmen, hat ein freigestelltes Betriebsratsmitglied, das vor der Freistellung im Außendienst gearbeitet hat, ebenfalls Anspruch auf die zusätzlichen Getränkemarken. Dies gilt auch dann, wenn das Betriebsratsmitglied wegen der Freistellung
Der Kläger macht als freigestelltes Betriebsratsmitglied zusätzliche Getränkemarken geltend.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Verkaufsberater im Außendienst beschäftigt. Er ist als Mitglied des Betriebsrats vollständig von der Arbeitspflicht freigestellt.
Die Beklagte produziert und vertreibt Erfrischungsgetränke. Sie ermöglicht ihren Mitarbeitern deren kostenfreien Verzehr nach den folgenden Vorgaben:
Alle Mitarbeiter sind berechtigt, während der Arbeitszeit am jeweiligen Standort Getränke aus sogenannten Kühlern zu entnehmen und zu konsumieren. Tatsächlich sind Außendienstmitarbeiter wegen ihrer Tätigkeit regelmäßig nicht in der Lage, diese Möglichkeit zu nutzen.
Darüber hinaus stehen allen Mitarbeitern gemäß § 3 Abs. 1 der Gesamtbetriebsvereinbarung „Haustrunk“ vom 09.11.2020 (GBV) 376 Haustrunkmarken jährlich zu. Die ihnen zur Verfügung gestellten Marken können die Mitarbeiter im Einzelhandel zum Erwerb von Getränken nutzen. Für einen Kasten mit 12 Einliterflaschen C sind sieben Marken aufzuwenden.
§ 4 Satz 1 der GBV bestimmt, dass Außendienstmitarbeitende ein zusätzliches Guthaben von 90 Marken pro Quartal erhalten. Nach § 4 Satz 2 GBV dient das zusätzliche Guthaben der Unterwegsversorgung der Außendienstmitarbeiter während der Arbeitszeit. Ausdrücklich ist klargestellt, das „Vorortverzehr damit nicht ausgeschlossen“ ist (§ 4 Satz 3 GBV).
Vor Abschluss der GBV hatten Außendienstmitarbeiter aufgrund eines Aushangs der Beklagten vom 23.06.2015 (Bl. 97 d. A.) monatlich 32 zusätzliche Getränkemarken „ausschließlich für den Verzehr während der Arbeitszeit“ erhalten.
Die Beklagte händigte dem Kläger nach seiner Freistellung die für die Außendienstmitarbeiter vorgesehenen Getränkemarken nicht mehr aus. Mit seiner Klage macht er die Herausgabe von Marken geltend.
Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Herausgabe von 270 Haustrunkmarken für die ersten drei Quartale des Jahres 2021 aus § 611a Abs. 2 BGB i. V. m § 37 Abs. 2 BetrVG. Zu dem nach § 37 Abs. 2 BetrVG fortzuzahlenden Arbeitsentgelt zählt auch die Herausgabe der zusätzlichen Getränkemarken für Außendienstmitarbeiter. Diese Frage konnte entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht offengelassen werden, weil eine unzulässige Begünstigung des Betriebsratsmitglieds zwingend ausscheidet, wenn Arbeitsentgelt vorliegt. Das Betriebsratsmitglied ist nach § 37 Abs. 2 BetrVG in Bezug auf das Arbeitsentgelt so zu stellen, als ob es keine Betriebsratstätigkeit verrichtet hätte. Diese Vorgabe könnte nicht erfüllt werden, wenn ein Betriebsratsmitglied unter Berufung auf § 78 Satz 2 BetrVG eine Minderung des Arbeitsentgelts erfahren würde. Dem Anspruch steht auch nicht entgegen, dass der Kläger leichter als aktive Außendienstmitarbeiter die Möglichkeit des Vorortverzehrs nutzen kann.
Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. § 37 Abs. 2 BetrVG begründet keinen eigenständigen Vergütungsanspruch, sondern sichert den Entgeltanspruch des Betriebsratsmitglieds aus § 611a Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag sowie dem ggf. anzuwendenden Tarifvertrag, indem er dem Arbeitgeber den Einwand des nicht erfüllten Vertrags nimmt. Das Verbot der Entgeltminderung soll die Bereitschaft des Arbeitnehmers zur Übernahme eines Betriebsratsamts fördern, indem es ihm die Befürchtung nimmt, Einkommenseinbußen durch die Wahrnehmung eines Ehrenamts zu erleiden. Diese Vorschrift, die für alle Betriebsratsmitglieder unabhängig von einer etwaigen Freistellung nach § 38 BetrVG gilt, konkretisiert hinsichtlich der Vergütung das allgemeine Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG. Das Arbeitsentgelt ist nach dem Lohnausfallprinzip fortzuzahlen. Die Berechnung der geschuldeten Vergütung nach dem Lohnausfallprinzip erfordert eine hypothetische Betrachtung, welches Arbeitsentgelt das Betriebsratsmitglied ohne die Arbeitsbefreiung verdient hätte (BAG 14.10.2020 – 7 AZR 286/18 – Rn. 40).
Das Betriebsratsmitglied hat keinen Anspruch darauf, sämtliche Zahlungen und Zuwendungen zu erhalten, die er ohne die Betriebsratstätigkeit erhalten hätte. Der Anspruch ist auf die Fortzahlung des Arbeitsentgelts beschränkt. Daher erstreckt er sich nicht auf die Auszahlung von Leistungen, die als Aufwendungsersatz anzusehen sind (BAG 18.05.2016 – 7 AZR 401/14 – Rn. 15).
Vor diesem Hintergrund kann die Frage, ob es sich bei der begehrten Leistung um Arbeitsentgelt oder Aufwendungsersatz handelt, nicht offengelassen werden, weil die sich aus § 37 Abs. 2 BetrVG ergebende Vorgabe, das Betriebsratsmitglied in Bezug auf das Arbeitsentgelt so zu stellen, als ob es keine Betriebsratstätigkeit verrichtet hätte, nur erfüllt werden kann, wenn geklärt worden ist, welche Leistungen des Arbeitgebers zu dem fortzuzahlenden Arbeitsentgelt zählen. Eine gegen § 37 Abs. 2 BetrVG verstoßende Minderung des Arbeitsentgelts kann nicht unter Berufung auf § 78 Satz 2 BetrVG erfolgen. Die Fortzahlung der Vergütung stellt die Gleichbehandlung her und kann das Betriebsratsmitglied nicht unzulässig begünstigen.
Zum Arbeitsentgelt i. S. d. § 37 Abs. 2 BetrVG gehören nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts neben der Grundvergütung alle Zuschläge und Zulagen, die das Betriebsratsmitglied ohne die Arbeitsbefreiung verdient hätte, insbesondere Zuschläge für Mehr-, Über-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, Erschwernis- und Sozialzulagen. Dagegen sind nach § 37 Abs. 2 BetrVG nicht fortzuzahlen Aufwandsentschädigungen, die solche Aufwendungen abgelten sollen, die dem Betriebsratsmitglied infolge seiner Befreiung von der Arbeitspflicht nicht entstehen (BAG 05.04.2000 – 7 AZR 213/99 – Rn. 15).
Da das Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG nicht zur Disposition der Arbeits- oder Tarifvertragsparteien steht, ist nicht entscheidend, ob diese in den von ihnen vereinbarten oder auch einseitig ausgestalteten Zahlungsrichtlinien einen bestimmten Bestandteil der Bezüge als Aufwendungsersatz oder als Arbeitsentgelt bezeichnet haben. Vielmehr kommt es auf die inhaltliche Ausgestaltung und den objektiven Zweck der Leistung an. Maßgeblich ist, ob es sich der Sache nach um Aufwendungsersatz handelt. Dies setzt voraus, dass in den Fällen, für welche die Leistung vorgesehen ist, typischerweise besondere Aufwendungen anfallen, die jedenfalls in der Regel den Umfang der gewährten Leistung erreichen. Nicht erforderlich ist hingegen, dass diese Aufwendungen bei jedem Arbeitnehmer anfallen, der die Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt. Denn eine Pauschalierung des typischen Mehraufwands ist zulässig. Sinn der Pauschalierung ist gerade, vom Nachweis des tatsächlich entstandenen Aufwands im Einzelfall abzusehen und stattdessen die Gewährung der Pauschalleistung an leicht feststellbare objektive Umstände zu knüpfen, bei deren Vorliegen nach der Lebenserfahrung eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Entstehen derartiger Aufwendungen gegeben ist (BAG 05.04.2000 – 7 AZR 213/99 – Rn. 15).
Ist der Arbeitnehmer typischerweise weder rechtlich verpflichtet noch faktisch darauf angewiesen, entsprechende Mehraufwendungen zu tätigen, sondern steht es in seinem freien Belieben, die Leistung zur Verbesserung seines Lebensstandards zu verwenden, so fehlt regelmäßig der für den Aufwendungsersatz erforderliche enge sachliche Zusammenhang mit wirklichen Mehraufwendungen. Es handelt sich dann um ein zusätzliches Arbeitsentgelt. Dient eine Leistung nicht vorwiegend der Abgeltung eines wirklichen Mehraufwandes, sondern sollen jedenfalls auch besondere Belastungen ausgeglichen, insbesondere die körperliche und nervliche Beanspruchung abgegolten werden und ist insoweit eine hinreichend klare Aufspaltung der Leistung nicht möglich, so ist sie insgesamt kein von der Entgeltfortzahlung nach § 37 Abs. 2 BetrVG ausgenommener Aufwendungsersatz (BAG 05.04.2000 – 7 AZR 213/99 – Rn. 15).
Danach ist der geltend gemachte Anspruch gegeben. Die Überlassung von Getränkemarken an die Mitarbeiter stellt keine Aufwandsentschädigung, sondern die Leistung von Arbeitsentgelt i. S. v § 37 Abs. 2 BetrVG dar. Der Kläger wird durch den Erhalt der 90 Getränkemarken nicht unzulässig begünstigt. Der Anspruch ist schließlich nicht durch Erfüllung erloschen.
Die Überlassung von Getränkemarken und die Gewährung des Vorortverzehrs an die Mitarbeiter stellen keine Aufwandsentschädigung, sondern die Leistung von Arbeitsentgelt iSv § 37 Abs. 2 BetrVG dar, weil sie nicht dazu bestimmt sind, besondere Aufwendungen der Arbeitnehmer zu ersetzen. Sie haben keinen Bezug zu tatsächlich beim Arbeitnehmer anfallenden Aufwendungen und erst recht nicht zu besonderen Aufwendungen.
Dies gilt zunächst für die jährlich gewährten 376 Marken, die alle Arbeitnehmer völlig unabhängig von ihrer Tätigkeit erhalten. Es ist nicht geltend gemacht worden, dass Arbeitnehmer der Beklagten wegen Besonderheiten ihrer Tätigkeiten einen erhöhten Getränkebedarf hätten. Ein solcher ist auch nicht ansatzweise ersichtlich.
Diese Überlegungen gelten auch für den Freitrunk der am jeweiligen Standort tätigen Mitarbeiter. Sie haben keinen besonderen Bedarf an Getränken.
Schließlich ist die Gewährung von 120 Marken zusätzlich an die Mitarbeiter des Außendienstes ebenfalls als Leistung von Arbeitsentgelt anzusehen. Sie haben entgegen der Annahme der Beklagten wegen der Nutzung der Klimaanlage in den Fahrzeugen keinen erhöhten Flüssigkeitsbedarf. Hierfür sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte vorgetragen worden. Unabhängig hiervon ist darauf zu verweisen, dass die zusätzlichen Marken an die Außendienstmitarbeiter nicht wegen eines erhöhten Flüssigkeitsbedarfs, sondern zur Kompensation der vermeintlichen Benachteiligung der Außendienstmitarbeiter gegenüber den am Standort tätigen Arbeitnehmern gewährt werden. Zudem steht es in dem freien Belieben des jeweiligen Arbeitnehmers, die Leistung zur Verbesserung seines Lebensstandards zu verwenden. Damit fehlt der für den Aufwendungsersatz erforderliche enge sachliche Zusammenhang mit wirklichen Mehraufwendungen.
Schließlich verdeutlicht die Anzahl der Marken, die ein Arbeitnehmer jährlich erhält, dass es auch bei den Marken für die Außendienstmitarbeiter nicht um Aufwendungsersatz geht. Von den 376 Getränkemarken, die jeder Arbeitnehmer erhält, können ca. 636 Einliterflaschen C o.ä. gekauft werden (376 : 7 = 53,71; 53 x 12 = 636). Bei geschätzten 220 Arbeitstagen erhält jeder Mitarbeiter – auch der Außendienstmitarbeiter – die Möglichkeit, ca. 2,9 Liter Flüssigkeit kostenfrei zu sich zu nehmen (636: 220 = 2,9). Angesichts dieser Zahlen kann nicht angenommen werden, dass die für die Außendienstmitarbeiter vorgesehenen zusätzlichen Marken einen Bezug zu einem tatsächlichen Flüssigkeitsbedarf haben.
Die getroffene Entscheidung steht nicht in Widerspruch zu den rechtlichen Ausführungen des 7. Senats in der Entscheidung vom 18.05.2016 (7 AZR 401/14). Der 7. Senat hat einem Betriebsratsmitglied die geltend gemachten Nachtarbeitszuschläge, die es vor der Amtsübernahme erhalten hatte, nicht zugesprochen, weil sich die Parteien anlässlich der Amtsübernahme auf eine Verschiebung der Arbeitszeiten des Arbeitnehmers verständigt hatten. Eine vergleichbare Vereinbarung zum Einsatzort des Klägers haben die Parteien nicht geschlossen.
Das Ergebnis verstößt nicht gegen § 78 Satz 2 BetrVG. Die Gewährung der für die Außendienstmitarbeiter bestimmten Marken stellt für den Kläger die Gleichbehandlung her und begünstigt ihn nicht unzulässig. Ohne die zusätzlichen Marken erhielte der Kläger ein geringeres Arbeitsentgelt als die mit ihm vergleichbaren Außendienstmitarbeiter.
Zutreffend ist allerdings, dass das hier gefundene Ergebnis den Kläger im Vergleich mit den anderen Außendienstmitarbeitern faktisch besserstellt. Die Begünstigung besteht nicht darin, dass er zusätzliche Getränkemarken erhält. Er erhält vielmehr die gleiche Menge an Getränkemarken wie die anderen Außendienstmitarbeiter. Einen Vorteil gegenüber den vergleichbaren Kollegen hat der Kläger in Bezug auf den Vorortverzehr. Es handelt sich nicht um einen rechtlichen Vorteil, weil alle Arbeitnehmer das Recht haben, den Vorortverzehr in Anspruch zu nehmen. Der Kläger wird vielmehr faktisch gegenüber den anderen Außendienstmitarbeitern bessergestellt, weil diese wegen ihrer Außendiensttätigkeit zumeist nicht in der Lage sind, sich an den Kühlern mit Getränken zu versehen. Wenn überhaupt Maßnahmen zur Herstellung der faktischen Gleichbehandlung zu ergreifen sein sollten, könnten diese nur an dem freien Zugang des Klägers zu den Kühlern ansetzen. Es bedarf indes keiner Klärung, ob und ggf. wie dieser faktische Vorteil dem Kläger genommen werden kann. Diese Frage ist nicht vom Streitgegenstand des Verfahrens umfasst (§ 308 Abs. 1 ZPO).
Mit der Einräumung des faktischen Vorteils hat die Beklagte den Anspruch des Klägers auch nicht erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Es handelt sich nicht um die geschuldete Leistung.