Ein 15-jähriger Schüler fährt demnächst auf Klassenfahrt. Er ist schwul und hat sich in der Schule geoutet. Er möchte gern mit seinen „Freundinnen“ auf ein Zimmer in der Unterkunft der Klassenfahrt. Mit den männlichen Schulkameraden kommt der – vermutlich der Pubertät geschuldet – nicht klar und fühlt sich von diesen gemobbt.
Die Lehrer und der Schulleiter haben dies abgelehnt.
Daraufhin hat der Schüler von seinen Eltern und den Eltern der betreffenden Schülerinnen eine Einverständniserklärung eingeholt. Alle waren damit einverstanden, dass der schwule Schüler mit den Schülerinnen auf ein Zimmer darf.
Doch der Schulleiter lehnte weiterhin ab.
Daraufhin nahm der Schüler Kontakt zur Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf, die ihm insoweit Unterstützung anbot, als dass man von dort ein Gespräch mit dem Schulleiter führte.
Doch der Schulleiter lehnte weiterhin ab.
Daraufhin nahm der Schüler Kontakt zum Schulministerium auf. Zunächst gab es auch einen E-Mail-Kontakt, der brach sodann aber ab. Das Schulministerium stellt sich dabei hinter den Schulleiter und dessen Entscheidung. In einer Stellungnahme erklärt das Schulministerium:
„Bei der Unterbringung während Klassenfahrten wird nach Geschlechtern getrennt und nicht nach sexueller Orientierung.“
Der Schüler gibt nicht auf und startet medienwirksam eine Petition, die derzeit bereits über 4.000 Unterstützer gefunden hat.
Da das Ganze in Mecklenburg-Vorpommern stattfindet, ist das dortige Schulgesetz maßgeblich.
Dort ist in § 2 Abs. 3 SchulG MV geregelt:
Die Verbundenheit der Schülerinnen und Schüler mit ihrer natürlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Umwelt (…) sind zu fördern.
Daraus könnte sich ergeben, dass die natürliche und freundschaftliche Verbundenheit des homosexuellen Schülers zu seinen weiblichen Mitschülerinnen gefördert werden muss und deshalb ein Anspruch besteht, in ein Zimmer auf der Klassenfahrt zu dürfen.
Aus § 6 Satz 1, Satz 2 SchulG MV ergibt sich:
Ziel der Sexualerziehung ist es, die Schülerinnen und Schüler altersgemäß mit den biologischen, ethischen, kulturellen und sozialen Tatsachen und Bezügen der Geschlechtlichkeit des Menschen vertraut zu machen. Die Sexualerziehung soll das Bewusstsein für eine persönliche Intimsphäre und für partnerschaftliches Verhalten in persönlichen Beziehungen sowie in Ehe, Familie und eingetragenen Lebenspartnerschaften entwickeln und fördern.
Auch daraus ergibt sich die Pflicht der Schule, die offen gelebte sexuelle Orientierung des Jungen tolerant zu fördern und die Mitschüler auch auf derartige Lebens- und Liebesformen zu schulen.
Aus dem Sinn und Zweck des § 1 Abs. 2 Satz 2 SchulG MV, der auf Behinderungen abstellt, ergibt sich:
In diesem Zusammenhang wirkt Schule darauf hin, dass Benachteiligungen von behinderten Schülerinnen und Schülern, die aus individuellen Beeinträchtigungen durch die Behinderung resultieren, möglichst weitgehend ausgeglichen werden.
Selbstverständlich ist Homosexualität keine Behinderung, aber dennoch – gerade bei pubertierenden Jugendlichen – auch im Jahr 2017 noch oft eine Beeinträchtigung.
Umgeschrieben würde die Regelung lauten:
In diesem Zusammenhang wirkt Schule darauf hin, dass Benachteiligungen von homosexuellen Schülerinnen und Schülern, die aus der individuellen Lebensform resultieren, möglichst weitgehend ausgeglichen werden.
Natürlich gibt es eine solche Regelung nicht.
Es gibt auch keine Regelung dazu, wie Schüler und Schülerinnen auf einer Klassenfahrt unterzubringen sind.
Nach sämtlichen Schulgesetzen der Bundesländer werden Schüler und Schülerinnen gemeinsam unterrichtet und gemeinsam erzogen.
Auf Klassenfahrten werden Schüler und Schülerinnen in der Regel nach Geschlechtern getrennt untergebracht – eine gesetzliche Regel dafür gibt es aber nicht.
In Bezug auf Sportunterricht wird der einer Schule eingeräumte Beurteilungsspielraum, ob Schüler und Schülerinnen nach Geschlechtern getrennt unterrichtet werden sollten, in der Fachwissenschaft kontrovers diskutiert
vgl. dazu z. B. Stürzer, Monika, Zur Debatte um Koedukation, Monoedukation und reflexive Koedukation, in: Stürzer, Monika/Roisch, Henrike et al., Geschlechterverhältnisse in der Schule, 2003, S. 171, insbes. S. 176 ff.; Waburg, Wiebke, Zwischen Legitimationszwang und Normalitätserleben, Weiblichkeitskonstruktionen von Schülerinnen monoedukativer Schulen, in: Herwartz-Emden, Leonie et al., Mädchen in der Schule, 2010, S. 85 ff., insbes. S. 114 ff.; ebenso BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 – 6 C 6.12 -, juris Rn. 32 m.w.N..
Gleiches gilt für die Beantwortung der Frage, ob bzw. ggf. ab welcher Klasse der Sportunterricht nach Geschlechtern getrennt oder gemeinsam erteilt werden sollte, um eine gleichberechtigte Entwicklungsförderung von Mädchen und Jungen zu erreichen und Geschlechtergrenzen zu überwinden.
Hierzu finden sich ebenfalls unterschiedliche Auffassungen mit beachtlichen Argumenten sowohl für als auch gegen eine koedukative Ausrichtung des Sportunterrichts, ohne dass verlässlich festgestellt werden könnte, welche dieser Meinungen in wissenschaftlicher Hinsicht eindeutig vorzuziehen ist
vgl. dazu z. B. Grupe, Ommo/ Krüger, Michael, Einführung in die Sportpädagogik, 2. Aufl. 2007, S. 39 ff.; Prohl, Robert, Grundriss der Sportpädagogik, 2. Aufl., 2006, S. 289 ff.; Küpper, Doris/ Stibbe, Günter, Grundsätze und Realisierungsmöglichkeiten reflektierter Koedukation im Sportunterricht, in: Wuppertaler Arbeitsgruppe; Schulsport in den Klassen 5-10, 2004. S. 130 ff.; Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Mädchen und Jungen im Sportunterricht, 1. Aufl. 2001, S. 5 ff..
Es stellt sich die Frage, ob der homosexuelle Schüler sich auf den in Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG normierten besonderen Gleichheitsgrundsatz berufen kann, wonach Männer und Frauen gleichberechtigt sind und niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf.
Dass hierdurch tradierte Rollenbilder verstärkt und homosexuelle Schüler und Schülerinnen diskriminiert werden, lässt sich angesichts der dargelegten kontroversen Diskussion wissenschaftlich nicht belegen.
Die von dem Schüler aufgeworfenen Fragen sind neu und bislang nicht kommentiert.
Aber in der Tat ist es fraglich, warum in einer toleranten, offenen und aufgeklärten Gesellschaft Schüler und Schülerinnen nicht mehr nach Sympathie die Zimmerbelegung auf einer Klassenfahrt wählen sollen dürfen, sondern eine strikte (altmodische) Zimmeraufteilung nach Geschlechtern erfolgen soll.
Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. bearbeitet schwerpunktmäßig das Diskriminierungsrecht, Gleichstellungsrecht und Schulrecht und steht Ihnen für Rückfragen gern per E-Mail, per Telefon oder auf der Webseite zur Verfügung!