Der Europäische Gerichtshof hat am 22.09.2020 zu den Aktenzeichen C-724/18 und C-727/18 im Fall einer französischen Regelung entschieden, dass EU-Staaten die kurzzeitige Vermietung von Wohnungen beispielsweise an Touristen über Online-Plattformen wie Airbnb einschränken dürfen, um dem Wohnungsmangel zu begegnen.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 111/2020 vom 22.09.2020 ergibt sich:
In Frankreich sind Kurzzeitvermietungen in Großstädten mit mehr als 200.000 Einwohnern und rund um die Hauptstadt Paris genehmigungspflichtig. Das verstoße nicht gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie, sofern zwingende Gründe des Allgemeininteresses vorlägen. Die Bekämpfung des Mangels an Wohnungen, die längerfristig vermietet werden, stelle einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, der eine solche Regelung rechtfertige, so der EuGH.
Cali Apartments und HX sind jeweils Eigentümer einer Einzimmerwohnung in Paris. Die Einzimmerwohnungen wurden auf einer Website zur Vermietung angeboten und regelmäßig ohne vorherige Genehmigung der örtlichen Behörden für kurze Zeit an Personen vermietet, die sich lediglich vorübergehend in der Stadt aufhielten.
Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter des Tribunal de grande instance de Paris (erstinstanzliches Zivilgericht Paris, Frankreich) und in der Folge dann auch die Cour d’appel de Paris (Berufungsgerichtshof Paris) verurteilten Cali Apartments und HX gemäß dem französischen Bau- und Wohnungsgesetzbuch zur Zahlung einer Geldbuße und ordneten die Rückumwandlung der betreffenden Räume in Wohnungen an. Das französische Bau- und Wohnungsgesetzbuch sieht vor, dass die Umnutzung von Wohnungen in französischen Gemeinden mit mehr als 200.000 Einwohnern und in den Gemeinden dreier an Paris angrenzender Departements der vorherigen Genehmigung bedarf, dass die Tätigkeit der regelmäßigen Kurzzeitvermietung von möblierten Wohnungen an Personen, die sich lediglich vorübergehend in der betreffenden Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen, eine solche Umnutzung darstellt, dass die Umnutzungsgenehmigung, die vom Bürgermeister der Gemeinde erteilt wird, in der das betreffende Gebäude belegen ist, von einem Ausgleich durch gleichzeitige Umwandlung von anders genutztem Raum in Wohnraum abhängig gemacht werden kann und dass mit einem Beschluss des Stadtrats für jeden Stadtteil bzw. -bezirk im Hinblick auf die Ziele der sozialen Vermischung und unter Berücksichtigung insbesondere der Lage auf den Wohnungsmärkten und der Notwendigkeit, den Wohnungsmangel nicht zu verschärfen, die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigungen und die Festsetzung des Ausgleichs bestimmt werden.
Im Rahmen von Verfahren über Kassationsbeschwerden, die von den Eigentümern der beiden Einzimmerwohnungen gegen die Urteile der Cour d’appel de Paris (Berufungsgerichtshof Paris, Frankreich) eingelegt wurden, hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, um über die Vereinbarkeit der in Rede stehenden nationalen Regelung mit der Richtlinie 2006/123 über Dienstleistungen im Binnenmarkt entscheiden zu können.
Der EuGH hat entschieden, dass die Richtlinie 2006/123 auf eine Regelung eines Mitgliedstaates über gewerblich oder privat ausgeübte Tätigkeiten der regelmäßigen Kurzzeitvermietung von möblierten Wohnungen an Personen, die sich lediglich vorübergehend in der betreffenden Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen, anwendbar ist.
Solche Tätigkeiten fallen unter den Begriff „Dienstleistung“ i.S.v. Art. 4 Nr. 1 der RL 2006/123. Bei ihnen handele es sich um keine der Tätigkeiten, die nach Art. 2 Abs. 2 der RL 2006/123 vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommenen sind. Die in Rede stehende Regelung sei nicht deshalb vom Anwendungsbereich der RL 2006/123 ausgenommen, weil es sich bei ihr um eine allgemeine, unterschiedslos anwendbare Regelung bezüglich der Stadtentwicklung oder Bodennutzung, insbesondere der Stadtplanung handele. Mit der Regelung soll zwar ein ausreichendes Angebot an Wohnungen, die längerfristig zu erschwinglichen Preisen vermietet werden, gewährleistet werden. Sie gelte aber nur für Personen, die eine ganz bestimmte Art von Vermietung anbieten.
Weiterhin hat der EuGH entschieden, dass eine nationale Regelung, die die Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Wohnraumvermietung von einer vorherigen Genehmigung abhängig macht, unter den Begriff „Genehmigungsregelung“ i.S.v. Art. 4 Nr. 6 der RL 2006/123 fällt, und nicht unter den der Anforderungen i.S.v. Nr. 7 dieser Vorschrift. Eine Genehmigungsregelung unterscheide sich von Anforderungen darin, dass der Dienstleistungserbringer eine förmliche Entscheidung erwirken müsse, mit der die zuständigen Behörden seine Tätigkeit genehmigen, was bei der in Rede stehenden Regelung der Fall sei.
Eine Genehmigungsregelung wie die durch die in Rede stehende Regelung eingeführte müsse den Anforderungen gemäß Kapitel III Abschnitt 1 der RL 2006/123 entsprechen, insbesondere Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie, so dass in einem ersten Schritt nach Art. 9 der Richtlinie zu prüfen sei, ob die Einführung der Regelung als solche gerechtfertigt sei, und in einem zweiten Schritt nach Art. 10 der Richtlinie, ob die für die Erteilung der Genehmigungen gemäß der Regelung maßgeblichen Kriterien die entsprechenden Anforderungen erfüllen.
Zu den Voraussetzungen gemäß Art. 9 Abs. 1 der RL 2006/123, insbesondere zu der Voraussetzung, dass die Genehmigungsregelung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müsse, und der Voraussetzung, dass das angestrebte Ziel nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden könne (Verhältnismäßigkeit), hat der EuGH zum einen festgestellt, dass mit der in Rede stehenden Regelung ein System zur Bekämpfung des Mangels an Wohnungen, die längerfristig vermietet werden, geschaffen werden soll, um der Verschlechterung der Bedingungen für den Zugang zu Wohnraum und der Verschärfung der Spannungen auf den Immobilienmärkten Rechnung zu tragen, was einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstelle. Zum anderen hat der EuGH festgestellt, dass die in Rede stehende nationale Regelung in Bezug auf das angestrebte Ziel verhältnismäßig sei. Sie sei sachlich auf eine ganz spezielle Tätigkeit der Vermietung beschränkt, sie schließe von ihrem Anwendungsbereich Wohnungen aus, die den Hauptwohnsitz des Vermieters bilden, und die Genehmigungsregelung, die mit ihr eingeführt werde, sei räumlich nur begrenzt anwendbar. Das angestrebte Ziel könne auch nicht durch ein milderes erreicht werden, insbesondere, weil eine nachträgliche Kontrolle, etwa ein Meldesystem mit Sanktionen, es nicht ermöglichen würde, die Fortsetzung des schnellen Umwandlungsprozesses, durch den der Mangel an Wohnungen, die langfristig vermietet werden, herbeigeführt werde, sofort und wirksam zu verlangsamen.
Zu den Anforderungen, die nach Art. 10 Abs. 2 der RL 2006/123 für die von der in Rede stehenden Regelung vorgesehenen Genehmigungskriterien gelten, hat der EuGH erstens zu dem Erfordernis, dass die Kriterien durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müssen, festgestellt, dass bei den betreffenden Kriterien grundsätzlich davon auszugehen sei, dass sie durch denselben Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien wie den, durch den die Regelung gerechtfertigt ist, mit der die Genehmigungen auf nationaler Ebene vorgesehen worden seien. Mit ihnen werden nämlich lediglich die Modalitäten der Festlegung der Voraussetzungen für die Erteilung dieser Genehmigungen auf örtlicher Ebene festgelegt.
Was zweitens das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der Kriterien geht, hat der EuGH festgestellt, dass die in Rede stehende nationale Regelung die Befugnis vorsehe, die beantragte Genehmigung mit der Verpflichtung zum Ausgleich durch gleichzeitige akzessorische Umwandlung anders genutzter Räume in Wohnraum zu verbinden, dessen Umfang vom Gemeinderat festgesetzt werde, und zwar im Hinblick auf das Ziel der sozialen Vermischung und unter Berücksichtigung insbesondere der Lage auf den Wohnungsmärkten und der Erforderlichkeit, den Wohnungsmangel nicht zu verschärfen. Eine solche Befugnis stelle grundsätzlich ein geeignetes Mittel dar, um diese Ziele zu erreichen, da sie es den örtlichen Behörden überlasse, zu entscheiden, ob sie eine solche Ausgleichspflicht auferlegen oder nicht, und ggf. deren Umfang zu bestimmen.
Das nationale Gericht habe aber zu prüfen, ob mit der Befugnis tatsächlich einem in den betreffenden Gebieten festgestellten Mangel an Wohnungen, die längerfristig vermietet werden, Rechnung getragen werde. Außerdem habe es sich zu vergewissern, dass die Befugnis nicht nur der Lage auf dem Mietmarkt in den betreffenden Gemeinden angepasst, sondern auch mit der in Rede stehenden Vermietungstätigkeit vereinbar sei. Dabei habe es zu berücksichtigen, dass diese Tätigkeit, wie allgemein festgestellt werde, rentabler sei als die Vermietung von Wohnungen zur Begründung eines Wohnsitzes. Es habe ferner zu berücksichtigen, wie der Ausgleichspflicht an dem betreffenden Ort in der Praxis nachgekommen werden könne. Es müsse sich vergewissern, dass der Ausgleichspflicht durch eine Vielzahl von Ausgleichsmechanismen nachgekommen werden könne, die angemessenen, transparenten und zugänglichen Marktbedingungen entsprechen.
Was drittens die Erfordernisse der Klarheit, der Unzweideutigkeit und der Objektivität angehe, hat der EuGH festgestellt, dass nicht bereits deshalb ein Verstoß gegen diese Erfordernisse vorliege, weil der Begriff der „regelmäßigen Kurzzeitvermietung einer möblierten Wohnung an Personen, die sich lediglich vorübergehend in der betreffenden Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen“, in der in Rede stehenden Regelung nicht definiert sei, insbesondere nicht durch Schwellenwerte, solange die betreffenden örtlichen Behörden klar, eindeutig und objektiv bestimmen, was mit dem Begriff gemeint ist. Die Voraussetzungen für die Erteilung der in einer Regelung vorgesehenen Genehmigungen sind grundsätzlich auch nicht bereits deshalb als nicht hinreichend klar und objektiv anzusehen, weil der nationale Gesetzgeber die Frage, auf welche Weise sie von den örtlichen Behörden zu bestimmen seien, lediglich insoweit geregelt habe, als er auf die Ziele verwiesen habe, die die Behörden zu berücksichtigen haben. Dies gelte insbesondere dann, wenn die nationale Regelung nicht nur die Ziele vorgebe, die von den betreffenden örtlichen Behörden zu verfolgen seien, sondern darüber hinaus auch die objektiven Gesichtspunkte, nach denen die örtlichen Behörden die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigungen festzulegen haben.
Was schließlich viertens die Erfordernisse der vorherigen Bekanntmachung, der Transparenz und der Zugänglichkeit der Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigungen angeht, hat der EuGH festgestellt, dass es insoweit genüge, dass jeder Eigentümer, der beabsichtigt, eine möblierte Wohnung an Personen zu vermieten, die sich lediglich vorübergehend in der betreffenden Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen, vor Aufnahme einer solchen Tätigkeit in vollem Umfang wissen könne, welche Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung und welche Ausgleichspflicht von den betreffenden örtlichen Behörden festgelegt worden seien, was durch den Aushang der Protokolle der Sitzungen des Gemeinderats im Rathaus und die Veröffentlichung dieser Protokolle auf der Website der Gemeinde erreicht werden könne.