Das Amtsgericht München hat mit Urteil vom 08.06.2020 zum Aktenzeichen 191 C 4038/17 entschieden, dass eine Digitalkamera, die bei der Benutzung über eine sehr lange Zeit (mehr als 12 Stunden) bei niedrigen Temperaturen im Freien gelegentliche Störungen aufweist, nicht mangelhaft ist.
Aus der Pressemitteilung des AG München Nr. 40/2020 vom 04.09.2020 ergibt sich:
Die Beklagte betreibt u.a. einen Internethandel mit Fotoapparaten. Der Kläger bestellte bei ihr eine Digitalkamera mit Objektiv für 1.799 Euro. Die Ware wurde am 25.07.2016 geliefert. Der Kläger behauptet, dass bei niedrigen Temperaturen nach Antippen des Auslöseknopfes ein Pfeifen ertöne und das Objekt vibriere, begleitet von einem Wackeln in Sucher und Display. Die Probleme würden nur dann nicht auftreten, wenn der Bildstabilisator deaktiviert sei. Er habe die Kamera aber gerade auch für winterliche Wildtieraußenaufnahmen gekauft. Die Beklagte bestreitet, dass die verkaufte Kamera mangelhaft sei.
Das AG München hatte zunächst nach Vorschlag der Industrie- und Handelskammer einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zu den vom Kläger behaupteten Mängeln beauftragt. Nach dessen Feststellungen trat der behauptete Fehler auch nach Lagerung der Kamera im Kühlschrank bei 6 Grad Celsius von 3, 5, 7, 9 und 12 Stunden und insgesamt 50 Tests nicht auf. Nach Vorlage des schriftlichen Gutachtens, dessen Kosten sich auf 869,70 Euro bei angesetzter Arbeitszeit von 9,5 Stunden beliefen, lehnte der Kläger den Sachverständigen, dessen Gutachten er inhaltlich und methodisch in Zweifel zog, wegen Besorgnis der Befangenheit erfolgreich ab. Der Sachverständige hatte nämlich nach Erstellung seines schriftlichen Gutachtens, aber noch vor seiner ergänzenden gerichtlichen Anhörung, sein Fotobedarfsgeschäft an die Beklagte veräußert. Der daraufhin bestellte zweite Sachverständige, der wegen Krankheit und besonders großem Arbeitsanfall an der Bearbeitung länger gehindert war, erstattete am 02.03.2020 sein schriftliches Gutachten, dessen Kosten sich nun bei einer Arbeitszeit von 20 Stunden auf 2.395,55 Euro beliefen.
Das AG München hat der Beklagten Recht gegeben und die Klage auf Rückabwicklung des Kaufvertrages abgewiesen.
Nach Auffassung des Amtsgerichts weist die vom Kläger erworbene Digitalkamera keinen Sachmangel (§ 434 BGB) auf. In tatsächlicher Hinsicht gehe das Amtsgericht davon aus, dass die vom Sachverständigen in dessen schriftlichen Gutachten vom 02.03.2020 festgestellten „Effekte“/“Fehlerbilder“ (Pfeifen, Summen und Vibrieren) beim Gebrauch der Kamera bei niedrigen Temperaturen in unregelmäßigen Fällen zufällig und nicht vorhersehbar auftreten. Eine besondere Verwendungseignung wurde im Vertrag nicht vereinbart. Insbesondere wurden weder die Naturfotografie noch die bevorzugte Verwendung im Freien bei niedrigen Temperaturen als Anforderungen an das Produkt angesprochen. Allein aus dem Preis lasse sich auch keine „professionelle“ Verwendung ableiten, da auch Laien oder Hobbyphotografen sich solche Produkte kauften. Zudem stehe eine lange Verwendung der Kamera im Freien bei niedrigen Temperaturen in keinem Zusammenhang mit dem Preis, da Kameras auch nur zur Nutzung in Räumen (z.B. für Studioaufnahmen) erworben werden könnten.
Das Fehlerbild war nur (teilweise) reproduzierbar, nachdem die Kamera mit Objektiv über einen Zeitraum von 14 Stunden auf 4 Grad Celsius oder über 24 Stunden auf 3 Grad Celsius abgekühlt wurde. Keinen Nachweis der Effekte konnte der Sachverständige dagegen bei einer Kühlungsdauer von 17 Stunden feststellen. Die Einsatzbedingungen unter denen überhaupt Fehlerbilder erzeugt werden konnten, gehören nach Auffassung des Amtsgerichts aber nicht mehr zu den „gewöhnlichen Nutzungsbedingungen“, denen das Produkt gewachsen sein müsse. Eine Einschränkung der Nutzung bei „kalten Orten“ ergebe sich schon aus dem Bedienungshandbuch, das auf allgemeine Probleme in diesem Temperaturbereich hinweise. Die Beklagte habe auch unbestritten vorgetragen, dass es üblich ist und empfohlen werde, eine Kamera nicht über lange Zeit bei kalten Außentemperaturen zu benutzen, diese im Winter über Nacht im Auto liegen zu lassen und bei Nutzung in Kälte warm zu halten. Nach den Feststellungen des Sachverständigen könne die Kamera auch bei Temperaturen um 3 Grad Celsius benutzt werden; erst wenn sie dieser Temperatur mehr als 14 Stunden ausgesetzt sei, könne es zu den Auffälligkeiten kommen. Eine jederzeitige problemlose Verwendung der Kamera unter diesen Bedingungen könne ein Käufer aber nicht mehr erwarten. Für das Amtsgericht sei nicht erkennbar, dass sich ein durchschnittlicher Käufer in unseren Breiten und den damit verbundenen Lichtverhältnissen im Winter ohne Unterbrechung länger als 12 Stunden im Freien zum Zweck von Fotoaufnahmen aufhalten werde. Dies gelte auch, wenn er ein technisch und preislich hochwertiges Produkt verwende.
Das Urteil ist aufgrund der vom Kläger eingelegten Berufung nicht rechtskräftig.