Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 20.10.2022 zum Aktenzeichen L 16 KR 156/20 entschieden, dass es für die Einhaltung einer gerichtlichen Frist auf den Ort des Gerichtsstandes ankommt.
Aus der Pressemitteilung des LSG Berlin-Brandenburg vom 27.10.2022 ergibt sich:
In dem zugrunde liegenden Verfahren hatte der in Berlin wohnhafte Kläger gegen ein Urteil des Sozialgerichts Berlin Berufung vor dem Landessozialgericht in Potsdam eingelegt. Die Berufung wollte er im Folgenden begründen, legte die Begründung aber sodann nicht vor, obwohl ihn das Gericht wiederholt erinnert hatte. Schließlich forderte das Gericht den Kläger auf, das Verfahren innerhalb von drei Monaten zu betreiben, anderenfalls gelte die Berufung als zurückgenommen. Das entsprechende Schreiben wurde dem Kläger am 8. Dezember 2020 zugestellt. Drei Monate und einen Tag später, am Dienstag, den 9. März 2021, ging die Berufungsbegründung bei Gericht ein.
Der 8. März ist seit dem Jahr 2019 als Frauentag ein gesetzlicher Feiertag in Berlin, nicht aber in Brandenburg. Fällt das Ende einer Frist auf einen gesetzlichen Feiertag, so endet die Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktages.
Der 16. Senat des Landessozialgerichts hat entschieden, dass es für die Einhaltung einer Frist auf die Feiertagsregelungen an dem Ort ankommt, an dem sich das betreffende Gericht befindet. Für das Landessozialgericht in Potsdam ist damit die Regelung im Land Brandenburg maßgeblich. Hier war der 8. März 2021, anders als im Land Berlin, kein gesetzlicher Feiertag, so dass sich der Ablauf der Frist nicht auf den nächsten Werktag verschieben konnte. Die erst am 9. März 2021 eingegangene Berufungsbegründung war mithin verspätet und konnte die gesetzlich vorgesehene Folge, nach der die Berufung als zurückgenommen gilt, nicht mehr verhindern.
Ein kleiner Trost für alle Berlinerinnen und Berliner: Nach der Entscheidung des 16. Senats verschiebt sich ein Fristende, das auf den kommenden 31. Oktober 2022 fällt und ein Brandenburger Gericht betrifft, auf den 1. November 2022 als nächsten Werktag. Anders als in Berlin ist nämlich der 31. Oktober 2022 in Brandenburg ein gesetzlicher Feiertag (Reformationstag).
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der unterlegene Kläger kann bei dem Bundessozialgericht die Zulassung der Revision beantragen.
Zum rechtlichen Hintergrund:
Die Rechtsfolgen einer gerichtlichen Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens ergeben sich aus § 156 Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG): „Die Berufung gilt als zurückgenommen, wenn der Berufungskläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt.“ Zum Fristablauf sieht § 64 Absatz 3 SGG vor: „Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.“
Zum weiteren Hintergrund:
Das Landessozialgericht in Potsdam fungiert seit Juli 2005 als gemeinsames Obergericht der Länder Berlin und Brandenburg. Es entscheidet über Berufungen und Beschwerden gegen die erstinstanzlichen Entscheidungen des Sozialgerichts Berlin sowie der Sozialgerichte des Landes Brandenburg in Cottbus, Frankfurt (Oder), Neuruppin und Potsdam.