Fristlose Kündigung wegen Holocaust-Leugnung auf Dienstreise

23. August 2020 -

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 17.01.2020 zum Aktenzeichen 9 Sa 434/19 entschieden, dass die nach § 241 Abs. 2 BGB bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen beinhaltet für ranghohe Vertriebsmitarbeiter, bei dienstlichen Veranstaltungen mit potentiellen Kunden auf Äußerungen zu verzichten, die nationalsozialistische Verbrechen gegenüber der jüdischen Bevölkerung in Frage stellen oder verharmlosen. Dies gilt unabhängig davon, welche Äußerungen außerhalb dienstlicher Veranstaltungen von der allgemeinen Meinungsfreiheit gedeckt wären. Eine Verletzung dieser Rücksichtnahmepflichten kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein.

Frau Im Schockiert Wegen Kündigun

Der 1966 geborene Kläger ist seit 1. April 2014 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten und seit 1. September 2017 bei der Beklagten als Senior Key Account Manager gegen ein Jahresgrundgehalt von 105.600,00 Euro zuzüglich einer erfolgsabhängigen variablen Vergütung, einem auch zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellten Dienstwagen und einem Mietzuschuss für eine Wohnung im Vertriebsgebiet tätig.

Mit Schreiben vom 12. April 2018, zugestellt am 18. April 2018 erklärte die Beklagte die fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wandte sich an die Beklagte und fragte nach den Gründen für die Kündigung. Die Beklagte führte hierzu am 20. April 2018 aus:

„Herr H. befand sich seit dem 4. April 2018 auf einem Kongress in Barcelona. Am 5. April 2018 fand ein Abendessen statt, an dem außer Herrn H. noch seine Kollegin Frau Sch., seine Vorgesetzte Frau Andrea St. sowie drei Kunden der G. R. Pharma GmbH teilnahmen. Im Rahmen des Abendessens begann Herr H. am Tisch eine politische Diskussion über die Wahlen in Russland, die Bundeskanzlerin, den russischen Präsidenten, geheime Manipulationen und Demokratie. Im Verlauf der angestoßenen Diskussion wechselte Herr H. sodann das Thema und erklärte, es gebe Beweise, dass die historische Darstellung der Judendeportation im dritten Reich in vielen Punkten „mediengesteuert“ sei und es „Beweise“ gebe, dass überhaupt keine Judendeportation stattgefunden habe. Er berief sich in diesem Zusammenhang auf angeblich manipulierte Fotografien von Eisenbahnschienen, die es zum Zeitpunkt der Deportationen nicht gegeben habe und Gutachten über das Alter der Tinte auf den Tagebüchern von Anne Frank, die nach seinen Erklärungen die Berichte über die Deportation von Juden widerlegen. Herr H. machte sich mit seinen Äußerungen diese Verschwörungstheorien zu eigen. Mit seinen Äußerungen traf Herr H. eine der eingeladenen und anwesenden Kundinnen persönlich, da deren Familie nach eigener Aussage von den Deportationen des NS- Regimes unmittelbar betroffen war. Frau St. musste den Redefluss von Herrn H. aktiv unterbrechen, um schlimmeres zu verhindern.“

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht.

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Hier liegt mit einer erheblichen Verletzung vertraglicher Pflichten ein Sachverhalt vor, der an sich als wichtiger Grund geeignet ist.

Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 – 2 AZR 293/09 – Rn. 19; 10. September 2009 – 2 AZR 257/08 – Rn. 20, BAGE 132, 72; BAG, Urteil vom 08. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 -, Rn. 19, juris). Darüber haben die Parteien hier im Arbeitsvertrag ausdrücklich die Verpflichtung des Klägers vereinbart, innerhalb und außerhalb seiner Tätigkeit die berechtigten Interessen der Beklagten und der zugehörigen Firmengruppe zu wahren.

Hiernach ist der Kläger verpflichtet, im Rahmen dienstlicher Veranstaltungen mit potentiellen Kunden auf Äußerungen zu verzichten, die nationalsozialistische Verbrechen gegenüber der jüdischen Bevölkerung in Frage stellen oder verharmlosen. Dies gilt unabhängig davon, welche Äußerungen außerhalb dienstlicher Veranstaltungen von der allgemeinen Meinungsfreiheit gedeckt wären. Zu den Aufgaben des Klägers als einem ranghohen Vertriebsmitarbeiter gehört die Pflege regionaler Meinungsbildner, die Betreuung von Netzwerken und die ebenfalls der Bewerbung der Produkte der Beklagten dienende Teilnahme an Kongressen. Mit dieser Arbeitsaufgabe, Verbindungen und Kontakte zu pflegen und die Beklagte positiv darzustellen sind Erklärungen nicht vereinbar, die ohne weiteres erkennbar geeignet sind, Kunden abzuschrecken und einen künftigen Kontakt mit dem Kläger als Repräsentanten der Beklagten zu vermeiden und darüber hinaus den Ruf der Beklagten schädigen. Bei Äußerungen, die nationalsozialistische Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung in Frage oder in Abrede stellen, und dies ohne dass eine Äußerung zu diesen Fragen durch einen Gesprächszusammenhang geboten gewesen wäre, handelt es sich um eine solche Äußerung.

Die Beklagte beruft sich auf das Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung, indem sie geltend macht, die Wiedergabe von Behauptungen durch den Kläger, mit denen Kriegsverbrechen gegen die jüdische Bevölkerung in Abrede gestellt werden, sei sowohl im betrieblichen Kontext als auch gegenüber Kunden ein untragbares Verhalten, das den arbeitgeberseitigen Interessen zuwiderlaufe und geeignet sei, einen schwerwiegenden Ansehensverlust herbeizuführen.

Eine solche an sich als wichtiger Grund geeignete Pflichtverletzung liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor.

Bei der Abendveranstaltung am 5. April 2018 handelte es sich für den Kläger um eine dienstliche Veranstaltung. Der Kläger ist arbeitsvertraglich zur Teilnahme an medizinischen Kongressen verpflichtet, zu seinen Aufgaben gehört hierbei auch die Betreuung des Fachpublikums. Das Abendessen wurde sowohl was den Kläger als auch was die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte betrifft von der Beklagten bezahlt. Auch der Kläger macht nicht geltend, er habe sich aus privater Verbundenheit mit anderen Teilnehmenden hier außerhalb seiner Arbeitsbeziehungen zum Abendessen verabredet.

Der Kläger hat im Rahmen dieser Veranstaltung am 5. April 2018 Erklärungen abgegeben, die im o.g. Sinne eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen darstellen.

Dies ergibt sich, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausführt, aus dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme. Da es hier auf die Äußerungen im Einzelnen und den Gesamteindruck ankommt hat die Berufungskammer gemäß § 398 ZPO die Zeugen erneut vernommen, die ausweislich der erstinstanzlichen Beweisaufnahme Aussagen zu dem fraglichen Gespräch machen konnten. Von einer erneuten Vernehmung der Zeugin Anja Sch. wurde abgesehen, da diese im Rahmen der erstinstanzlichen Vernehmung bekundete, es sei im Gespräch am Tisch plötzlich still geworden, sie könne aber nichts zu dem vorherigen Gesprächsablauf sagen, der hierzu führte.

Die Beweisaufnahme vor der Berufungskammer hat zur Begründung dieses Vorwurfs behauptete Äußerungen des Klägers anlässlich dieser Veranstaltung bestätigt. Falls der Vortrag der Beklagten zur Begründung der Kündigung im Sinne einer Behauptung einer ausdrücklichen Erklärung des Klägers, es habe keine Judendeportationen gegeben zu verstehen wäre, hat die Beweisaufnahme dies – wie bereits erstinstanzlich – nicht bestätigt. Die Beweisaufnahme hat aber Äußerungen bestätigt, die im Zusammenhang nationalsozialistische Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung, hier die Deportation von Juden in Vernichtungslager, in Frage stellen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Berufungskammer hat der Kläger im Rahmen der Abendveranstaltung in Barcelona im Gespräch mit der eingeladenen Ärztin und Zeugin Dr. M. und dem eingeladenen Arzt und Zeugen Dr. E. ausgeführt, es habe den Stift, mit dem das Tagebuch der Anne Frank geschrieben worden sei, seinerzeit nicht gegeben, ebenso Schienen zu einem Konzentrationslager.

Die Äußerungen des Klägers sind geeignet, nationalsozialistische Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung in Frage oder in Abrede stellen.

Die Äußerung zu den angeblich seinerzeit nicht vorhandenen Schienen ist geeignet, den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus in Frage zu stellen. Wenn es die Schienen nicht gab, über die Waggons mit Opfern in Konzentrationslager hätten fahren können, gab es diese Transporte nicht. Auch wenn es vordergründig nur um Schienen gehen mag, stellen Schienen nicht nur ein zentrales Element in den Bildern insbesondere vom Konzentrationslager Auschwitz dar, sondern sind Grundlage der Transporte und damit wesentlicher und erforderlicher Teil des Ablaufes der Massenvernichtung. Entsprechend werden mit dem Hinweis auf fehlende Schienen aufgrund seinerzeit so nicht verfügbarer Metalle oder ähnlichem die Abläufe der Judenvernichtung in Frage gestellt. Was sonst mit einer solchen Aussage erklärt werden soll, vermochte auch der Kläger nicht zu erläutern. Insoweit räumt der Kläger ein, er habe die Frage der Schienen angesprochen, erklärt aber nicht, was damit gemeint sein soll.

Arbeitsgericht

Dies wird durch die weitere Äußerung, es habe den Stift, mit dem das Tagebuch der Anne Frank geschrieben worden sei, damals nicht gegeben bestätigt. Auch hiermit wird geltend gemacht, Abläufe betreffend verfolgte Juden im Nationalsozialismus – hier der Jüdin Anne Frank – seien in Wirklichkeit anders abgelaufen, als in der Geschichtsschreibung wiedergegeben. Ungeachtet der vor längerer Zeit hierzu geführten öffentlichen Diskussion werden jedenfalls Abläufe im Zusammenhang mit der Verfolgung von Juden als bisher öffentlich falsch wiedergegeben dargestellt.

Der Kläger hat sich nicht umgehend von seinen Äußerungen distanziert. Entsprechend kann dahingestellt bleiben, ob solchen Äußerungen bei einer sofortigen anderslautenden Erklärung eine andere Bedeutung zukommen könnte. Soweit der Kläger hierzu erstinstanzlich vorgetragen hat, er habe auf die Frage von Frau Dr. M. ob er glaube, es habe die Judendeportationen nicht gegeben, ausdrücklich erklärt, das wolle er in keiner Form in Abrede stellen und habe dies nicht zum Ausdruck bringen wollen, wurde dies durch die Beweisaufnahme widerlegt. Eine solche Erklärung wurde im Rahmen sowohl der erst- als auch der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme von keiner Zeugin und keinem Zeugen bekundet. Im Übrigen läge auch hierin keine Erklärung, was demgegenüber richtigerweise mit den Äußerungen gemeint sein soll. Es mag zutreffen, dass der Kläger „entschuldigendes gemurmelt“ hat, wie Frau Dr. M. in der erstinstanzlichen Beweisaufnahme bekundet hat. Eine Entschuldigung, die auf die erkennbare Betroffenheit von Frau Dr. M. Bezug nimmt, stellt die erfolgte Erklärung als solche nicht in Frage. Mit der Entschuldigung wird zum Ausdruck gebracht, man hätte sich so nicht geäußert, wenn man die Reaktion und die emotionale Betroffenheit vorhergesehen hätte.

(Eine Äußerung zu diesen Fragen war nicht durch einen Gesprächszusammenhang geboten. Es wurde keine Frage an den Kläger gestellt, die er zu beantworten hatte und bei deren Beantwortung auch die Meinungsfreiheit des Klägers eine Rolle spielen könnte. Vielmehr hat der Kläger von sich aus und ohne einen vorgegebenen Gesprächszusammenhang die oben genannten Erklärungen abgegeben.

(Ob Äußerungen im Falle eines erheblichen Alkoholkonsums anders zu bewerten wären, kann dahingestellt bleiben. Nach den Aussagen der Zeuginnen und des Zeugen wurde nicht viel Alkohol konsumiert. In erster Linie käme es hier ohnehin auf den Kläger an. Der Kläger selbst macht nicht geltend, er habe in erheblichem Maße Alkohol konsumiert.

Es handelt sich um rufschädigende Äußerungen, die ohne weiteres erkennbar geeignet sind, Kunden abzuschrecken und diese zu veranlassen, den künftigen Kontakt mit dem Kläger als Repräsentanten der Beklagten zu vermeiden.

Erklärungen, man dürfe nicht alles glauben, was berichtet und gängig als richtig angesehen werde, zu angeblich nicht vorhandenen Gleisen zum Konzentrationslager und dies im weiteren Zusammenhang mit Ausführungen zum ausweislich des verwendeten Schreibwerkzeugs nicht zur damaligen Zeit geschriebenen Tagebuch der Anne Frank sind geeignet, Teilnehmende und potentielle Kunden abzuschrecken. Dies insbesondere, wenn es sich nicht um ein von Teilnehmenden aufgebrachtes Thema handelt, sondern durch einen Vertriebsvertreter ungefragt Ausführungen zu angeblich unzutreffenden Annahmen zur Judenverfolgung gemacht werden. Letztlich werden Teilnehmende bei solchen Erklärungen in die Lage gebracht, entgegen den üblichen Gepflogenheiten eines freundlichen Austauschs und abseits von den Themen des Kongresses Stellung zu nehmen, wenn eine solche Äußerung nicht einfach im Raum stehen bleiben soll. Dies wird an der Reaktion der Ärztin Dr. M. deutlich, gilt aber auch unabhängig hiervon.

Wenn Vertreter eines Arzneimittelherstellers anlässlich von Veranstaltungen und Kongressen Ausführungen machen, Abläufe im Zusammenhang der Judenverfolgung seien so unzutreffend, schädigt dies auch den Ruf eines Unternehmens. Das Unternehmen wird wahrgenommen als auf der Seite von Verschwörungstheorien aus dem rechten Spektrum stehend.

Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist der Beklagten unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls nicht, auch nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat.

Die Kontakt- und Imagepflege ist eine zentrale Aufgabe des Klägers. Die Pflichtverletzung betrifft diese zentrale Aufgabe und wiegt deshalb besonders schwer.

Bei dem Kläger handelt es sich um einen gehobenen Vertriebsmitarbeiter („Senior Key Account Manager“), dessen Aufgabe wesentlich darin besteht, die Produkte der Beklagten und die Beklagte durch Beziehungen zu Kunden und Meinungsbildern in ein positives Licht zu stellen. In diesem Sinne soll der Kläger gemäß der Stellenbeschreibung durch Aufbau und Pflege regionaler Meinungsbildner, Betreuung von Netzwerken und Teilnahme an bundesweiten und internationalen Kongressen und Veranstaltungen wirken. Äußerungen des Klägers werden angesichts seiner Position der Beklagten zugerechnet. Im Hinblick hierauf sind Äußerungen, die geeignet sind, die Beklagte als Pharmahersteller in ein schlechtes Licht zu stellen und einen weiteren Kontakt eher zu vermeiden, auch nicht vorübergehend hinnehmbar. Um solche Äußerungen geht es hier. Die erfolgten Erklärungen sind nicht nur für etwaige jüdische Teilnehmerinnen und Teilnehmer geeignet eine deutliche Abwehrreaktion hervorzurufen. Dies wird durch die Reaktion von Frau Dr. M. bestätigt. Dass der Kläger vermutlich nicht wusste, dass sich unter seinen Zuhörern jemand mit Beziehungen zu Opfern des Holocaust befindet, ändert hieran nichts. Die Äußerungen werden dadurch nicht hinnehmbar.

Es handelt sich hier um eine Pflichtverletzung deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist, weshalb eine vorherige Abmahnung entbehrlich ist (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 -, BAGE 150, 109-116, Rn. 22). Dem Kläger musste bekannt sein, dass er die Beklagte als Senior Key Account Manager gegenüber Meinungsbildnern und eingeladenen Kongressteilnehmern vertritt und hierbei Äußerungen zu unterlassen hat, die ohne Veranlassung zu einer Stellungnahme zu solchen Fragen Abläufe der Judenvernichtung im Nationalsozialismus in Frage stellen. Es ist ohne weiteres erkennbar, dass solche Äußerungen nicht nur im Falle Teilnehmender mit Beziehungen zu Opfern der Judenvernichtung abschreckend wirken und keine Grundlage für eine künftige gute Kontaktpflege bieten können.

Es liegt keine besonders lange Betriebszugehörigkeit vor, die zugunsten des Klägers zu berücksichtigen wäre. Es handelt sich um ein Arbeitsverhältnis mit einer überschaubaren Betriebszugehörigkeit von vier Jahren. Das Arbeitsverhältnis war nicht unbelastet, sondern durch eine Abmahnung aufgrund nicht erfüllter Dokumentationspflichten belastet. Es handelt sich bei der mit dieser Abmahnung angemahnten Dokumentation der Arbeitsleistungen auch um keine offensichtlich unberechtigte Anforderung. Vielmehr ist nachvollziehbar, dass die Beklagte vom Kläger als Vertriebsmitarbeiter solche Angaben erwartet. Soweit der Kläger hierzu geltend macht, er habe diese Dokumentationspflichten mangels geeigneter Systemvorgaben nicht erfüllen können, erscheint dies angesichts von Freifeldern schwer nachvollziehbar. Auch die nachgereichten Angaben erscheinen eher rudimentär. Es mag zutreffen, dass die Beklagte im Hinblick auf die eher lückenhaften Angaben zu Arbeitsleistungen – auch gegenüber eher lückenlos angesetzten Verpflegungspauschalen – oder auch aus sonstigen Gründen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses anstrebte. Dies hindert die Beklagte aber nicht daran, sich zur Begründung der Kündigung vom 12. April 2018 auf die streitgegenständlichen Äußerungen des Klägers zu berufen, die nicht von der Beklagten veranlasst wurden.