Das Landesarbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 26.10.2023 zum Aktenzeichen 8 Sa 107/23 über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen des Vorwurfs einer angekündigten Erkrankung, beleidigender Äußerungen, sowie dem unberechtigten Abstellen eines LLWs mit Tank- und Mautkarte auf einem Autohof entschieden,
Die Parteien streiten im Rahmen des Berufungsverfahrens noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der Beklagten.
Das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.06.2022 aufgelöst worden, da ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegt.
Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG 25. Januar 2018 – 2 AZR 382/17 – Rn. 26; 14. Dezember 2017 – 2 AZR 86/17 – Rn. 27, BAGE 161, 198; BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 –, Rn. 15, juris).
Ein wichtiger Grund „an sich“ liegt nicht in Form einer angekündigten, (tatsächlich aber nicht vorliegenden) Erkrankung des Klägers vor, da eine solche nicht feststellbar ist. Der Kläger hat schlüssig dargelegt, dass er sich bereits im Laufe der Fahrt krankgefühlt habe (Übelkeit, Unwohlsein) und – was unstreitig ist – am Montag nach seiner Rückkehr ein Arzt aufgesucht habe, der ihn zunächst für eine Woche und anschließend eine weitere Woche, krankgeschrieben habe. Die entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sind der Beklagten zugegangen. Diesen Darlegungen ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Insbesondere bietet die Erklärung des Klägers, dass mindestens einen Monat keiner mehr mit ihm sprechen solle, keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Annahme einer angekündigten Erkrankung, da diese bereits nicht die Aussage beinhaltet, den nächsten Monat nicht mehr zu erscheinen oder „krank zu feiern“. Soweit die Beklagte geltend macht, wenn der Kläger tatsächlich so schwer erkrankt gewesen sei, dass er habe abgeholt werden müssen, hätte er auch das Konzert nicht besuchen können und somit kein Anlass für seine Verärgerung bestanden, lässt sich hieraus ebenfalls nicht die Annahme einer angekündigten Erkrankung ableiten. Denn tatsächlich liegt kein Widerspruch darin begründet, wenn der Kläger am 25.06.2022 zunächst von der Möglichkeit des geplanten Konzertbesuchs ausging, er bei sich abzeichnender verkehrstechnischer Unmöglichkeit, rechtzeitig zum Konzert zurück zu sein, seine Verärgerung hierüber kundtat, und sich parallel hierzu sein Gesundheitszustand verschlechterte.
Demgegenüber sind die beleidigenden Äußerungen des Klägers grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.
Als wichtiger Grund „an sich“ im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB kommen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grobe Beleidigungen oder ehrverletzende Äußerungen zum Nachteil des Arbeitgebers, seiner Repräsentanten oder von Arbeitskollegen in Betracht (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08 – NZA 2010, S. 698 ff; BAG, Urteil vom 24. November 2005 – 2 AZR 584/04 – NZA 2006, S. 650 ff; ErfK-Niemann, 22. Auflage 2022, § 626 BGB Rn 86 m. w. N.), die einen groben Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers darstellen können (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 aaO; BAG, Urteil vom 24. November 2005, aaO). Zwar dürfen Arbeitnehmer – auch unternehmensöffentlich – Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. zur außerordentlichen Kündigung: BAG 27. September 2012 – 2 AZR 646/11 – aaO; 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08 – aaO; zur ordentlichen Kündigung: BAG 19. November 2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 37; 12. Januar 2006 – 2 AZR 21/05 – Rn. 45; BAG, Urteil vom 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19 –, Rn. 77, juris).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind die in den Sprachnachrichten des Klägers getätigten Äußerungen „an sich“ geeignet, eine grobe Pflichtverletzung des Klägers und einen wichtigen Grund „an sich“ darzustellen. Denn der Kläger hat durch seine Äußerungen gegenüber dem Sohn des Geschäftsführers via WhatsApp-Sprachnachrichten am 25.06.2022, mit denen er nicht näher bezeichnete Mitarbeiter der Beklagten, mutmaßlich den Geschäftsführer und dessen Sohn, u.a. als „Ausbeuter“, „Menschenausbeuter“ und „geistesgestörte Leute“ bezeichnete, diese unsachlich angegriffen und beleidigt.
Der Kläger hat des Weiteren seine Pflichten verletzt, indem er den LKW der Beklagten auf dem Autohof W abgestellt und entgegen der Dienstanweisung die Tank- und Mautkarten in diesem belassen hat. Soweit die Beklagte dem Kläger das Abstellen des LKWs auf dem Autohof vorwirft, hat sie die von diesem vorgetragenen Rechtfertigungsgründe, die eingetretenen Erkrankung sowie die Überschreitung der Lenk- und Ruhezeiten, nicht widerlegt.
Die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung erweist sich jedoch aufgrund der gem. § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung als unverhältnismäßig.
Bei der Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der – fiktiven – Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen (BAG 14. Dezember 2017 – 2 AZR 86/17 – Rn. 54, BAGE 161, 198; 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 26, BAGE 159, 267). Hierfür hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel – etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung – gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 235/18 – Rn. 40; 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 27, BAGE 159, 267). Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Je höher er ist, desto größer ist diese (BAG 16. August 1991 – 2 AZR 604/90 – zu III 3 e bb der Gründe).
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 –, Rn. 28 – 30, juris m.w.N.)
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hätte es vor Ausspruch der Kündigung einer Abmahnung bedurft.
Sowohl bei den streitgegenständlichen Äußerungen als auch bei dem Zurücklassen der Tank- und Mautkarten in dem abgestellten LKW handelt es sich um steuerbares Verhalten, bei dem keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass eine Abmahnung im Hinblick auf die Unterlassung künftiger gleichgelagerter Pflichtverletzungen ohne Erfolg geblieben wäre. Zwar verkennt die Kammer nicht, dass der Kläger bezüglich der ehrverletzenden Äußerungen kein Reueverhalten an den Tag gelegt und auch eine Entschuldigung hat vermissen lassen. Dieser Umstand alleine lässt allerdings nicht den Umkehrschluss zu, dass der Kläger im Falle er erfolgten Abmahnung auch zukünftig keine Verhaltensänderung vorgenommen hätte.
Die Pflichtverletzungen des Klägers sind auch nicht von solcher Schwere, dass selbst eine einmalige Hinnahme für die Beklagte unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Kläger erkennbar – ausgeschlossen war. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Kläger situationsbedingt in einem Zustand großer Verärgerung und Aufregung befand, da absehbar war, dass er ein seiner Verlobten gegebenes Versprechen eines lange geplanten Konzertbesuchs, nicht würde halten können. Der Annahme eines emotionalen Ausnahmezustands steht entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht entgegen, dass es sich um mehrere Sprachnachrichten handelte, da sich die Situation des Klägers weder verbesserte, noch zu erwarten war, dass sich der Zustand emotionaler Aufregung unmittelbar legen würde, nachdem der Kläger seiner Verärgerung einmalig Ausdruck verliehen hatte.
Auch das Belassen der Tank- und Mautkarten in dem abgestellten LKW begründete zwar ein Risiko, dass diese entwendet und der Beklagten hierdurch wirtschaftlicher Schaden entstehen konnte; dennoch war auch diese Pflichtverletzung nicht so schwerwiegend, dass der Beklagten selbst eine einmalige Hinnahme der Beklagten offensichtlich unzumutbar gewesen wäre. Das Arbeitsgericht hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass der LKW nicht „auf freiem Feld“, sondern bestimmungsgemäß auf einem videoüberwachten Autohof ca. eine Stunde vom Betriebssitz der Beklagten entfernt, abgestellt und die Beklagte hierüber informiert wurde.