Fristlose Kündigung einer Chefredakteurin für erfundenes Interview?

04. März 2025 -

Das Arbeitsgericht München hat mit Urteil vom 29. Februar 2024 zum Aktenzeichen 13 Ca 4781/23 entschieden, dass die Chefredakteurin eines Boulevardmagazins nicht für ein erfundenes Interview gekündigt werden darf.

Die Chefredakteurin eines Boulevardblatts hatte die Verantwortung für die Veröffentlichung eines Interviews übernommen, das angeblich mit dem ehemaligen Rennfahrer Michael Schumacher geführt worden war. In Wirklichkeit jedoch stellte sich heraus, dass dieses Gespräch mit Hilfe künstlicher Intelligenz generiert wurde, was in der Öffentlichkeit für erheblichen Unmut sorgte. Der Verlag reagierte auf diesen Vorfall, indem er die zuständige Redakteurin kündigte. Doch im anschließenden Rechtsstreit um die Kündigung konnte sie triumphieren. Die Entscheidung des Gerichts war besonders bemerkenswert, da es in seiner Begründung erklärte, dass die Chefredakteurin in Anbetracht der üblichen, wenn auch oft fragwürdigen, Verdrehungen und Falschdarstellungen, die in der Boulevardpresse an der Tagesordnung sind, nicht hätte wissen können, dass diese spezielle Geschichte die Grenzen des Erträglichen aus Sicht des Arbeitgebers überschreiten würde. Diese Argumentation beleuchtet das Spannungsfeld zwischen journalistischer Verantwortung und den verbreiteten Praktiken in der Yellow Press.

Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 11. Mai 2023 ist ungültig, da ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben ist. Eine wichtige Kündigungsgrundlage hätte vorliegen müssen, was bedeutet, dass es Tatsachen benötigt, die eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses in der aktuellen Situation unzumutbar machen.

Obwohl die Kammer zu dem Schluss kommt, dass die Klägerin in schwerwiegender Weise gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat und damit ein wichtiger Grund „an sich“ für eine Kündigung vorliegt, war die Entscheidung der Beklagten, die außerordentliche Kündigung auszusprechen, unverhältnismäßig. Insbesondere fehlte es an einer vorherigen Abmahnung, die typischerweise vor einer ordentlichen Kündigung erfolgen sollte.

Die Klägerin, welche als Chefredakteurin agierte, hat mit der Veröffentlichung eines Interview-Artikels über eine Person Grenzen überschritten, was zu einer schweren Irreführung der Leser führte. Diese Irreführung könnte das Vertrauen in die Presse und damit auch in die Beklagte schädigen. Der Presserat hat die unzureichende Transparenz im Artikel gerügt, insbesondere da frühzeitig nicht klar wurde, dass die Antworten von einer Künstlichen Intelligenz stammen. Trotz der Auswirkungen auf das Image der Beklagten, wie etwa durch Reputationsschäden und eventuelle Schmerzensgeldforderungen, war es der Beklagten zumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.

Der Umstand, dass die Klägerin in Kenntnis der möglichen Folgen des Artikels und der damit verbundenen Verantwortung gehandelt hat, hebt ihre persönliche Verantwortlichkeit nicht auf. Allerdings wurde aufgrund der Umstände entschieden, dass die Kündigung nicht gerechtfertigt ist, und es wird im Raum stehen gelassen, ob die Klägerin in ihrer Rolle als leitende Angestellte einer besonderen gesetzlichen Regelung unterlag. Die Entscheidung, die die Kammer getroffen hat, lässt auch die Frage offen, ob der Betriebsrat hätte angehört werden müssen.

Eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz erheblicher Pflichtverletzungen war bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dem Arbeitgeber zumutbar. Dabei wurde eine umfassende Abwägung zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand vorgenommen.

Zentrale Aspekte der Bewertung sind der Grad der Pflichtverletzung, das Verschulden des Arbeitnehmers, die Wahrscheinlichkeit künftiger Pflichtverletzungen sowie die Dauer und der Verlauf des Arbeitsverhältnisses. Eine außerordentliche Kündigung ist nur hinreichend, wenn es keine milderen Reaktionsmöglichkeiten gibt, etwa Abmahnungen oder ordentliche Kündigungen. Es wird betont, dass die außerordentliche Kündigung nicht als Sanktion für vergangenes Fehlverhalten, sondern als Präventivmaßnahme zur Sicherung eines störungsfreien zukünftigen Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist (Prognoseprinzip). Um eine solche Kündigung gerechtfertigt erscheinen zu lassen, ist eine negative Zukunftsprognose erforderlich, die besagt, dass eine vertragskonforme Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten ist.

In Fällen besonders schwerwiegender Verstöße, die dem Arbeitnehmer eindeutig erkennbar sind und die eine Wiederherstellung des Vertrauens unmöglich machen, kann eine Abmahnung entbehrlich sein. Auch fahrlässige Verstöße können in solchen Fällen eine fristlose Kündigung rechtfertigen, sofern das Fehlverhalten hartnäckig und uneinsichtig war. Jedoch wird hier festgestellt, dass eine Abmahnung im vorliegenden Fall nicht entbehrlich war: Die Klägerin, eine Chefredakteurin, wurde nicht wegen eines eindeutigen Zuwiderhandelns gegen belangvolle Vorgaben gekündigt. Es mangelte an klaren Richtlinien bezüglich des Umgangs mit bestimmten Themen, was eine Abmahnung notwendig machte.

Selbst wenn man die Abmahnung als entbehrlich zur Bedingung einer Kündigung ansehen würde, war die ausgesprochene Kündigung überzogen. Der Arbeitgeber hätte alternative Maßnahmen in Betracht ziehen müssen, wie die Versetzung der Klägerin von ihrer Position, bevor er zur Kündigung griff, vor allem in Anbetracht ihrer langen Betriebszugehörigkeit, ihrer Erfolge und ihrer Schwerbehinderung.

Die zweite außerordentliche Kündigung wurde als unbegründet angesehen, weil nach der ersten Kündigung keine weiteren Pflichtverletzungen festgestellt wurden. Der Arbeitgeber beurteilte lediglich die bereits bestehende Pflichtverletzung im Lichte einer neuen Situation, doch dies stellte keinen neuen Kündigungsgrund dar.

Zusätzlich wurde festgestellt, dass die hilfsweise ordentliche Kündigung ungeachtet dessen, dass sie als verhaltensbedingt ausgesprochen wurde, ebenfalls nicht gerechtfertigt war. Da eine vorherige Abmahnung ausblieb, war auch diese Kündigung unverhältnismäßig.