Das Arbeitsgericht Bielefeld hat mit Urteil vom 17.12.2020 zum Aktenzeichen1 Ca 1741/20 entschieden, dass eine fristlose Kündigung wegen einer nicht genehmigten Nebenbeschäftigung rechtswidrig ist.
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen Kündigung geendet hat.
§ 6 Absatz 1 des Arbeitsvertrags lautet:
„Jede Nebentätigkeit, gleichgültig, ob sie entgeltlich oder unentgeltlich ausgeübt wird, ist anzuzeigen und bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Firma. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Nebentätigkeit die Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben zeitlich nicht oder allenfalls unwesentlich behindert und sonstige berechtigte Interessen der Firma nicht beeinträchtigt werden.“
Der Arbeitnehmer übte eine Nebentätigkeit ohne den Arbeitgeber des Haupttätigkeit um Erlaubnis oder Zustimmung zu tragen.
Der Arbeitgeber kündigte dem Arbeitnehmer daraufhin fristlos.
Die streitbefangenen Kündigungen scheitern bereits daran, dass die Arbeitgeber den in ihrem Betrieb gewählten Standortbetriebsrat vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigungen nicht ordnungsgemäß angehört hat.
Die Betriebsratsanhörung ist sowohl inhaltlich wie formal unzulänglich.
Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören.
Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat der Arbeitgeber ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Nach Satz 3 ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam.
Der notwendige Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Diese besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, d. h. gegebenenfalls zugunsten des Arbeitnehmers, auf den Arbeitgeber einzuwirken.
Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie seine eigene Meinung bilden können. Dabei musste die Anhörung so umfassend sein, dass sich der Betriebsrat ohne weitere Aufklärung ein Bild vom Sachverhalt machen kann.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Betriebsratsanhörung grundsätzlich „subjektiv determiniert“. Das heißt, der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben.
Dem kommt der Arbeitgeber jedoch dann nicht nach, wenn er den Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen – und damit irreführenden – Kündigungssachverhalt, der sich bei Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam.
Die Betriebsratsanhörung scheitert im Übrigen aber auch daran, dass die Arbeitgeber, die dem Betriebsrat zur Stellungnahme eingeräumte Frist nicht abgewartet hat, sondern – ohne Not – vor Abschluss des Anhörungsverfahrens den Arbeitnehmer gekündigt hat. Sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung sind bereits gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 und 3 BetrVG unwirksam. Denn sie wurden vor Ablauf der dem Betriebsrat nach dieser Vorschriften eingeräumten 3-Tages- bzw. -Wochen-Frist erklärt, ohne dass der Betriebsrat zuvor eine das Anhörungsverfahren abschließende Stellungnahme abgegeben hätte.
Warum die Arbeitgeber eine Woche braucht, um das Anhörungsverfahren beim Betriebsrat überhaupt erst einzuleiten, dann aber nicht willens ist, zumindest die 3-Tages-Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG einzuhalten, bleibt der Kammer unerfindlich. Dabei könnte man zunächst der Auffassung sein, dem Betriebsrat stünde jedenfalls im Rahmen der Anhörung zur außerordentlichen Kündigung keine starre 3-Tages-Frist zu, weil er nach dem Gesetzeswortlaut „unverzüglich“ zur beabsichtigten Kündigung Stellung nehmen soll. Allerdings ist die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in diesem Punkt eindeutig. Erklärt der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung vor Ablauf von drei Tagen nach Unterrichtung des Betriebsrats bzw. bevor diese abschließend Stellung genommen hat, ist keine ordnungsgemäße Anhörung gegeben. Dies führt zur Unwirksamkeit der Kündigung.
Einer Äußerung des Betriebsrats während des Anhörungsverfahrens nach dem § 102 BetrVG kommt nur fristverkürzende Wirkung zu, wenn ihr der Arbeitgeber unzweifelhaft entnehmen kann, dass es sich um eine abschließende Stellungnahme handelt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn es sich um ein Formular des Arbeitgebers handelt, aufgrund dessen der Betriebsrat eine „abschließende“ Stellungnahme durch Ankreuzen des entsprechenden Kästchens abgibt. Erklärt der Betriebsrat dies – wie im vorliegenden Fall – nicht ausdrücklich, ist der Inhalt seiner Mitteilung durch Auslegung entsprechend den §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Diese Auslegung muss eindeutig ergeben, dass der Betriebsrat sich bis zum Ablauf der Anhörungsfrist nicht noch einmal – und sei es „nur“ zur Ergänzung der Begründung seiner bereits eröffneten Entschließung – äußern möchte. Der Arbeitgeber muss aufgrund der bisherigen Äußerungen des Betriebsrats davon ausgehen können, dieser werde unter keinen Umständen mehr tun als bereits geschehen. Die Annahme einer vorfristig abgegebenen verfahrensbeendenden Äußerung bedarf nach diesen Ausführungen „besonderer Anhaltspunkte“. Derartige besondere Anhaltspunkte ergeben sich aus der Stellungnahme des Betriebsrats nicht. Derartige besondere Anhaltspunkte für eine abschließende Stellungnahme liegen regelmäßig vor, wenn der Betriebsrat dem Arbeitgeber mitteilt, er stimme der beabsichtigten Kündigung ausdrücklich und vorbehaltslos zu (dies ist hier nicht der Fall) oder erklärt, von einer Äußerung zur Kündigungsabsicht abzusehen (dies ist hier ebenfalls nicht der Fall).
Die streitbefangene Kündigung scheitert im Übrigen hinsichtlich der fristlosen Kündigung an § 626 Abs. 1 BGB.
Die Arbeitgeber hat zutreffend darauf hingewiesen, dass zunächst ein Kündigungssachverhalt vorliegen muss, der „an sich“ geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die Arbeitgeber hat vorliegend auf § 241 Abs. 2 BGB abgestellt. Danach kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt zur gegenseitigen Rücksichtnahme auch auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Die Arbeitgeber hat aber zutreffend auch darauf hingewiesen, dass es sich bei der Verletzung der Rücksichtnahmepflicht durch den Arbeitnehmer dadurch, dass dieser die Arbeitgeber nicht über seine sonntägliche Nebentätigkeit auf dem Betriebsgelände der Firma V unterrichtet hat, um eine Nebenpflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis handelt.
Die Kammer steht jedenfalls auf dem Standpunkt, dass es sich um ein abmahnfähiges Verhalten handelt. Hierauf hat der Betriebsrat zutreffend hingewiesen. Eine Kündigung ist nicht möglich, solange ein milderes Mittel möglich ist. Eine Abmahnung ist vor jeder Kündigung wegen steuerbaren Verhaltens des Arbeitnehmers, dass dieser in Zukunft beseitigen kann, erforderlich, wenn eine Wiederherstellung der Vertragstreue wahrscheinlich ist.
Die Kammer teilt nicht die Auffassung, der Arbeitnehmer habe vorwerfbar die Vertrauensbasis zwischen den Parteien zerstört. Mit dieser Argumentation wäre das „Ultima ratio-Prinzip“ entwertet. Die Behauptung des Arbeitgebers, das Verhalten des Arbeitnehmers habe gezeigt, dass er auch künftig seinen Pflichten nicht nachkommen wird, sondern letztlich selbst entscheidet, ob er informiert oder nicht, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen und nicht zu teilen. Der Arbeitnehmer hat auch in der mündlichen Verhandlung ein Fehlverhalten eingeräumt. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum sich der Arbeitnehmer eine Abmahnung nicht zur Warnung dienen lassen sollte. Für die Kammer ist nicht ersichtlich, dass das Verhalten des Arbeitnehmers durch grobe Rücksichtslosigkeit geprägt ist, der Gestalt, dass er seine Interessen einseitig über die Interessen des Arbeitgebers setzt. Der Arbeitnehmer hatte vielmehr in einer „Grauzone“ agiert und vor dem Hintergrund der medialen Ereignisse nicht den Mut gehabt, sich dem Arbeitgeber zu offenbaren.