Der Europäische Gerichtshof hat am 21.12.2021 zum Aktenzeichen C-243/20 präzisiert den Umfang des Verbraucherschutzes bei einem Vertrag über ein in Fremdwährung rückzahlbares Darlehen.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 229/2021 vom 21.12.2021 ergibt sich:
Die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln steht dem Erlass nationaler Rechtsvorschriften nicht entgegen, die in Bezug auf bestimmte Klauseln außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie ein höheres Schutzniveau für Verbraucher gewährleisten.
Im Jahr 2004 schlossen zwei Verbraucher mit der griechischen Bank Trapeza Peiraios einen Immobiliendarlehensvertrag, der ursprünglich auf Euro lautete. Im Jahr 2007 unterzeichneten die Parteien zwei Zusatzvereinbarungen zu diesem Vertrag, um die zunächst gewählte Währung durch den Schweizer Franken (CHF) zu ersetzen.
Am 17. September 2018 erhoben diese Verbraucher beim Polymeles Protodikeio Athinon (Kollegialgericht erster Instanz Athen, Griechenland) Klage auf Feststellung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln, nach denen die Darlehenstilgung entweder in CHF oder im Gegenwert in Euro zu dem Wechselkurs vorzunehmen war, der zum Zeitpunkt der Zahlung der Monatsraten oder des bei Auflösung des Darlehensvertrags ausstehenden Restbetrags galt.
Die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln1 ist grundsätzlich auf alle Vertragsklauseln anwendbar, die nicht einzeln ausgehandelt wurden. Allerdings gilt die Richtlinie nicht, wenn eine Vertragsklausel auf einer bindenden Rechtsvorschrift beruht.
Das Polymeles Protodikeio Athinon hat ausgeführt, dass zum einen das griechische Gesetz, mit dem die genannte Richtlinie in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sei, diese Ausnahme nicht ausdrücklich übernommen habe, und zum anderen die streitigen Klauseln auf dem Inhalt einer abdingbaren Rechtsvorschrift beruhten. Die griechische Rechtsprechung sei bei der Frage uneins, ob die genannte Ausnahme als umgesetzt angesehen werden könne. Es sei daher nicht möglich, eine Vertragsklausel, die nur eine abdingbare Rechtsvorschrift wiedergebe, auf ihre Missbräuchlichkeit zu überprüfen.
Unter diesen Umständen hat das griechische Gericht den Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht.
Mit seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass der in der betreffenden Richtlinie vorgesehene Ausschluss von auf einer bindenden Vorschrift des nationalen Rechts beruhenden Klauseln dadurch gerechtfertigt ist, dass grundsätzlich die Annahme zulässig ist, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge getroffen hat. Dieser Ausschluss erfasst nicht nur Vorschriften des nationalen Rechts, die zwischen den Vertragsparteien unabhängig von ihrer Wahl gelten, sondern auch solche, die in Ermangelung einer anderen Vereinbarung zwischen den Parteien von Gesetzes wegen gelten.
Daher stellt der Gerichtshof fest, dass diese Richtlinie von ihrem Anwendungsbereich eine Klausel ausschließt, die auf einer Vorschrift beruht, die abdingbar ist und in Ermangelung einer anderen Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien von Gesetzes wegen gilt, selbst wenn diese Klausel nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde.
Anschließend weist der Gerichtshof darauf hin, dass dann, wenn die den Anwendungsbereich dieser Richtlinie festlegende Bestimmung nicht formell in die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats umgesetzt worden ist, die nationalen Gerichte nicht davon ausgehen können, dass diese Bestimmung dadurch mittelbar Eingang in das nationale Recht gefunden hat, dass andere Bestimmungen der Richtlinie umgesetzt worden sind, die nicht denselben Gegenstand haben, wie beispielsweise die Bestimmungen, die den Begriff „missbräuchliche Klauseln“ bzw. den Umfang der Beurteilung der Missbräuchlichkeit solcher Klauseln betreffen.
Schließlich erinnert der Gerichtshof daran, dass mit der betreffenden Richtlinie nur eine teilweise und minimale Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über missbräuchliche Klauseln vorgenommen wird, wobei es den Mitgliedstaaten freigestellt ist, dem Verbraucher einen besseren Schutz als den von ihr vorgesehenen zu gewähren. Folglich können die Mitgliedstaaten auf dem gesamten durch diese Richtlinie geregelten Gebiet, das gegebenenfalls missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern umfasst, strengere Vorschriften als die in dieser Richtlinie enthaltenen beibehalten oder erlassen, sofern diese nationalen Vorschriften ein höheres Schutzniveau für Verbraucher gewährleisten sollen.
Allerdings stellt der Gerichtshof fest, dass Klauseln, die vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind, weil sie auf bindenden Vorschriften des nationalen Rechts beruhen, nicht in das durch die Richtlinie geregelte Gebiet fallen und daher auf solche Klauseln die Bestimmung der Richtlinie, die die oben genannte Möglichkeit eröffnet, nicht anwendbar ist.
Gleichwohl weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Richtlinie auf Sachverhalte anwenden können, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen, sofern dies mit den Zielen der Richtlinie und den Verträgen vereinbar ist.
Daher kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln dem Erlass oder der Beibehaltung innerstaatlicher Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die zur Folge haben, dass das Verbraucherschutzsystem auf Klauseln angewandt wird, die vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind, weil sie auf bindenden nationalen Vorschriften beruhen.
1 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).