Flexiblere Arbeitszeiten statt Acht-Stunden-Tag? – Was der Koalitionsplan für Arbeitnehmer:innen bedeutet

18. April 2025 -

Wochenarbeitszeit als neue Maßgabe?

Im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD ist eine potenziell tiefgreifende Änderung des Arbeitszeitrechts vorgesehen. Unter der Überschrift „Arbeit und Soziales“ kündigen die Koalitionsparteien an, künftig die Wochenarbeitszeit als Maßstab für die zulässige Höchstarbeitszeit einzuführen – und damit den bisherigen Acht-Stunden-Tag zumindest teilweise abzulösen.

Ziel sei es, so heißt es im Koalitionsvertrag (Rn. 558 ff.), „im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit zu schaffen – auch gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf“.

Doch was bedeutet das konkret für Arbeitnehmer:innen, Arbeitgeber:innen und das deutsche Arbeitszeitrecht? Welche rechtlichen Hürden bestehen – und wer profitiert von der geplanten Reform?


Die bisherige Regelung: Acht-Stunden-Tag mit Ausnahmen

Nach geltendem deutschen Recht darf die werktägliche Arbeitszeit grundsätzlich acht Stunden nicht überschreiten (§ 3 Satz 1 ArbZG – Arbeitszeitgesetz). Eine Verlängerung auf bis zu zehn Stunden ist zulässig, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen im Durchschnitt nicht mehr als acht Stunden werktäglich gearbeitet wird (§ 3 Satz 2 ArbZG).

Wichtig: Bezugspunkt ist immer der einzelne Werktag – also in der Regel Montag bis Samstag. Dabei gilt: Auch Überstunden und Bereitschaftszeiten zählen zur Arbeitszeit.

Von dieser Regelung gibt es tarifvertragliche Ausnahmen (§ 7 ArbZG), insbesondere in Bereichen wie dem Gesundheitswesen oder der Pflege. Dort sind bereits heute flexible Arbeitszeitmodelle möglich – allerdings stets unter Beibehaltung der werktäglichen Maximalgrenzen.


Geplante Neuregelung: Die wöchentliche Höchstarbeitszeit

Mit der geplanten Änderung soll künftig nicht mehr die tägliche, sondern die wöchentliche Arbeitszeit als Maßstab dienen. Im Klartext: Arbeitnehmer:innen könnten zum Beispiel an vier Tagen je zehn Stunden arbeiten – und dafür einen dreitägigen Wochenendblock genießen.

Entscheidend dabei: Die vertraglich vereinbarte Gesamtarbeitszeit ändert sich nicht. Sie wird lediglich flexibler über die Woche verteilt.

Das könnte besonders in Branchen mit wechselnden Belastungsspitzen von Vorteil sein – etwa im Baugewerbe, in der Gastronomie, im Einzelhandel oder im Projektgeschäft.


Europarechtlicher Rahmen: Maximal 48 Stunden pro Woche

Die EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG erlaubt keine täglichen, wohl aber wöchentliche Höchstarbeitszeiten:

Nach Art. 6 der Richtlinie darf die durchschnittliche Arbeitszeit je Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich Überstunden nicht überschreiten.

Eine unbegrenzte tägliche Arbeitszeit ist damit nicht möglich – denn trotz Wegfalls einer Tageshöchstgrenze bleibt eine tägliche Ruhezeit von mindestens elf Stunden gesetzlich vorgeschrieben (Art. 3 RL 2003/88/EG). Diese muss in jedem 24-Stunden-Zeitraum gewährt werden.

Rechnerisch ergibt sich daher eine maximale tägliche Arbeitszeit von ca. 13 Stunden, abzüglich gesetzlicher Pausen. Nach deutschem Recht (§ 4 ArbZG) ist bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden eine Ruhepause von 45 Minuten erforderlich – damit verbleiben faktisch rund 12 Stunden und 15 Minuten als absolute Obergrenze pro Arbeitstag.


Flexibilität ja – aber nur im Rahmen des Gesundheitsschutzes

Die geplante Umstellung auf Wochenhöchstarbeitszeiten verspricht also mehr Flexibilität – etwa:

  • Vier-Tage-Woche bei gleicher Arbeitszeit

  • Längere Schichten bei entlegenen Einsatzorten (z. B. auf Baustellen)

  • Anpassung an betriebliche Spitzenzeiten (z. B. im Einzelhandel oder Hotelgewerbe)

Gleichzeitig bleiben aber auch klare Schranken bestehen:
Die Wochenarbeitszeit darf im Durchschnitt 48 Stunden nicht überschreiten, und die Ruhezeiten müssen auch weiterhin eingehalten werden. Eine völlige Entgrenzung der Arbeitszeit ist damit ausgeschlossen.


Stimmen aus Wirtschaft und Gesellschaft: Zwischen Euphorie und Warnung

Zustimmung aus der Wirtschaft:
Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe begrüßt die neue Flexibilität: Wer montags auf einer abgelegenen Baustelle arbeite, solle dort auch länger bleiben dürfen – wenn dafür das Wochenende früher beginnt. Auch der Handelsverband sowie der Arbeitgeberverband Gesamtmetall sprechen sich für wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeiten aus, da diese auf betriebliche Anforderungen und individuelle Bedürfnisse der Beschäftigten besser reagieren könnten.

Kritik von Gewerkschaften und Sozialverbänden:
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hingegen warnt vor einer „Entgrenzung der Arbeitszeit“ und sieht die Gefahr einer gesundheitlichen Überlastung in vielen Berufen – etwa in der Pflege, bei Hausärzt:innen oder Lehrer:innen. Auch der Philologenverband lehnt eine solche Regelung mit Verweis auf die Eigenheiten des Lehrerberufs ab.


Arbeitsrechtliche Bewertung: Was würde sich wirklich ändern?

Pro:

  • Mehr Selbstbestimmung für Arbeitnehmer:innen bei der Gestaltung ihrer Wochenarbeitszeit

  • Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, z. B. durch freie Freitage bei längeren Arbeitstagen

  • Effizientere Projekt- und Einsatzplanung für Arbeitgeber:innen

  • Rechtsangleichung an das europäische Arbeitszeitmodell

Contra:

  • Erhöhtes Risiko der Selbstausbeutung, wenn keine wirksamen Schutzmechanismen greifen

  • Gefahr gesundheitlicher Belastung durch lange Arbeitstage, v. a. bei psychisch fordernden Tätigkeiten

  • Abgrenzungsprobleme bei der Arbeitszeiterfassung, vor allem in hybriden Arbeitsmodellen


Fazit: Wochengrenze statt Tagesschranke – ein Paradigmenwechsel mit Tücken

Der klassische Acht-Stunden-Tag könnte mit der Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit als gesetzlicher Maßstab bald der Vergangenheit angehören. Doch eine völlige Freigabe der Arbeitszeiten wird es nicht geben – europarechtlich sind der Flexibilisierung klare Grenzen gesetzt.

Die neue Regelung würde primär eine größere Verteilungsspielraum für die ohnehin bestehende Arbeitszeit schaffen – unter Einhaltung der Wochenhöchstgrenzen und Mindestruhezeiten. Arbeitnehmer:innen könnten davon profitieren, wenn sie selbst über die Einteilung mitbestimmen können.

Gleichzeitig müssen Arbeitsschutz, Mitbestimmung und tarifliche Regelungen weiterhin gewährleistet bleiben – damit Flexibilität nicht zur Überforderung führt. Der Gesetzgeber steht also vor der Herausforderung, einen modernen, flexiblen und gleichzeitig schützenden Arbeitszeitrahmen zu schaffen.


FAQ zur geplanten Wochenarbeitszeit

Was bedeutet die Umstellung konkret für Arbeitnehmer:innen?
Die tägliche Arbeitszeit könnte flexibler gestaltet werden – etwa vier Tage mit zehn Stunden statt fünf Tage mit acht Stunden, ohne dass die Wochenarbeitszeit steigt.

Ändert sich dadurch die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit?
Nein. Die Gesamtsumme bleibt gleich – es geht um die Verteilung der Arbeitszeit innerhalb der Woche.

Ist eine tägliche Arbeitszeit von mehr als 10 Stunden künftig erlaubt?
Grundsätzlich ja – sofern die Ruhezeiten (elf Stunden) eingehalten werden und die durchschnittliche Wochenarbeitszeit 48 Stunden nicht überschreitet.

Welche Branchen profitieren besonders?
Vor allem Bau, Einzelhandel, Gastronomie und Industrie könnten flexibler auf Auftragsschwankungen oder Außeneinsätze reagieren.

Wo liegen die Risiken?
Lange Arbeitstage können zu gesundheitlicher Überlastung führen – besonders in sozialen, pädagogischen oder medizinischen Berufen. Hier sind Schutzmaßnahmen und Mitbestimmung entscheidend.