Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 6. Juni 2023 zum Aktenzeichen VI ZR 309/22 entschieden, dass die Filmberichterstattung über eine Kindesentführung wegen Schutzbedürftigkeit des Opfers teilweise unzulässig ist.
Die Klägerin nimmt die beklagte Rundfunkanstalt auf Unterlassung von Teilen einer Filmberichterstattung (Wiedergabe von drei Lichtbildern, eines Briefs und des Audio-Mitschnitts eines Telefongesprächs) in Anspruch.
Im Jahr 1981 wurde die damals acht Jahre alte Klägerin entführt und etwa fünf Monate später nach Zahlung eines Lösegelds freigelassen. Der Journalist T. vermittelte gemeinsam mit F. während der Entführung der Klägerin zwischen deren Eltern und den Entführern. Die Tat ist nicht aufgeklärt und mittlerweile verjährt.
Die Beklagte sendete in ihrem Programm unter anderem am 25. Februar 2018 den Filmbeitrag „Entführte Kinder – Die Fälle K. und v. G.“ und hielt diesen im Internet zum Abruf bereit. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht der Journalist T., der erstmals öffentlich seine Erinnerungen an diese und an eine andere Kindesentführung schildert. Im ersten Teil des Filmbeitrags geht es um den anderen Entführungsfall, in dem T. ebenfalls vermittelte. Der zweite Teil befasst sich mit der Entführung der Klägerin und schildert, wie es zur Vermittlung durch T. kam, wie sich die Entführung aus seiner Sicht darstellte und warum er damit noch nicht abgeschlossen hat. Im Filmbeitrag werden zwei Fotos der Klägerin gezeigt, die einige Wochen vor der Entführung gemacht und den Ermittlungsbehörden übergeben wurden. Sie dienten während der Entführung zur öffentlichen Suche nach der Klägerin. Auf einem weiteren im Filmbeitrag gezeigten Bild ist die Klägerin gemeinsam mit ihrer Mutter auf der Titelseite einer Illustrierten zu sehen. Dieses Foto wurde nach der Freilassung der Klägerin aufgenommen und für einen Artikel der Illustrierten über die Klägerin und ihre Familie verwendet. Im Filmbeitrag werden außerdem ein von der Klägerin während ihrer Entführung geschriebener Brief mit dem Inhalt
„Sehr geehrter Vermittler. […] Die haben mir einfach meine Haare kurz geschnitten. Eine Gemeinheit ist das! HAHA. Ich glaube das es dieses mal klappt! Sie auch? Bitte Grüßen sie meinen Vater, meine Mutter, S., P. und B.“
und der Audio-Mitschnitt eines ebenfalls während der Entführung geführten Telefongesprächs wiedergegeben, in dem die Klägerin zum Ablauf einer geplanten Lösegeldübergabe äußerte
„Autobahn A 1 nach WesthofenKreuz. 1000 Meter vor WesthofenKreuz ist eine Schilderbrücke über der Autobahn.“
Die Beklagte durfte in ihrem Beitrag die Fotos der Klägerin nicht gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG verbreiten.
Die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zuzuordnen ist, erfordert eine revisionsrechtlich voll zu überprüfende Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Medien aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits.
Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Es gehört zum Kern der Freiheit der Medien, dass diese innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzen, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden können, was öffentliches Interesse beansprucht. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Medienerzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt. Bilder können einen Bericht ergänzen und dabei der Erweiterung seines Aussagegehalts dienen, etwa der Unterstreichung der Authentizität des Geschilderten. Auch kann ein von Art. 5 Abs. 1 GG geschütztes Informationsanliegen darin liegen, durch Beigabe von Bildnissen die Aufmerksamkeit des Lesers für den übrigen Bericht zu wecken. Bildaussagen nehmen am verfassungsrechtlichen Schutz des Berichts teil, dessen Bebilderung sie dienen.
Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Es bedarf einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, wobei der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, zu ermitteln ist, insbesondere unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, oder ob sie – ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis lediglich die Neugier der Leser befriedigen.
Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen desto schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist. Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird. Von Bedeutung ist ebenfalls die Rolle des Betroffenen in der Öffentlichkeit. Die von der Freiheit der Meinungsäußerung umfasste Veröffentlichung von Fotos betrifft einen Bereich, in dem der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besondere Bedeutung hat.
Danach handelt es sich bei den Fotos der Klägerin, die die Beklagte in ihrem Beitrag wiedergab, nicht um Bildnisse der Zeitgeschichte.
Im Mittelpunkt des von der Beklagten verbreiteten Filmbeitrags „Entführte Kinder – Die Fälle K. und v. G.“ steht der Journalist T., der seine Erinnerungen an die Entführung der Klägerin und an eine andere Kindesentführung schildert. Im ersten Teil des Filmbeitrags geht es um den anderen Entführungsfall, in dem T. ebenfalls vermittelte. Der zweite Teil befasst sich mit der Entführung der Klägerin und schildert, wie es zur Vermittlung durch T. kam, wie sich die Entführung aus seiner Sicht darstellte und warum er damit noch nicht abgeschlossen hat.
Zwar besteht im Ausgangspunkt ein nicht unerhebliches Berichterstattungsinteresse. Denn eine Straftat gehört zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung begründet grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über die Tat. Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise, Schwere oder wegen anderer Besonderheiten von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Die Entführung der Klägerin im Alter von acht Jahren über den Zeitraum von fünf Monaten war im Jahr 1981 ein ganz außergewöhnlicher, spektakulärer Kriminalfall und bleibt es auch rückblickend aus heutiger Sicht. Es war den Ermittlungsbehörden nicht gelungen, die Klägerin zu finden oder die Tat im Nachhinein aufzuklären. Aktualität gewinnt der Filmbeitrag dadurch, dass sich T. erstmals vor der Kamera zu den Ereignissen äußerte und seine Perspektive dargestellt wird.
Außerdem beschränkt sich der Filmbeitrag der Beklagten nicht auf die Berichterstattung über die Entführung der Klägerin. Zu Beginn werden Kindesentführungen als früher vergleichsweise häufigeres Phänomen dargestellt. Vor dem Bericht über die Entführung der Klägerin wird eine weitere Kindesentführung nachgezeichnet. Das verbindende Element beider Fälle ist die Vermittlungstätigkeit des Journalisten T., dessen Schilderung und Sichtweise den roten Faden des Filmbeitrags bilden sowie dessen Charakter bestimmen. Dies vermittelt sowohl besondere Einblicke als auch eine Perspektive, die sich nicht auf einen einzelnen Fall beschränkt, sondern diesen in Zusammenhänge einordnet.
Die Beklagte verwendet die Bilder in ihrem Filmbeitrag auch kontextgerecht. Zwei Fotos der Klägerin, die einige Wochen vor der Entführung gemacht und den Ermittlungsbehörden übergeben wurden, dienten während der Entführung zur öffentlichen Suche nach der Klägerin. Das Foto auf der Titelseite einer Illustrierten, auf dem die Klägerin gemeinsam mit ihrer Mutter zu sehen ist, wurde nach der Freilassung der Klägerin aufgenommen und mit Zustimmung der Eltern der Klägerin für einen Artikel der Illustrierten über die Klägerin, ihre Familie und die Entführung verwendet. Der Filmbeitrag der Beklagten stellt insoweit auch optisch keine neuen Zusammenhänge her, sondern zeichnet ausschließlich das frühere Geschehen authentisch nach.
Daraus ergibt sich zugleich, dass sowohl die Bildnisse als auch die damit im Zusammenhang stehenden Ereignisse bereits früher einer breiten Öffentlichkeit bekannt waren, was das Gewicht des Eingriffs mindert. Entsprechendes gilt für das Einverständnis der Eltern der Klägerin, wenngleich jedenfalls die vor der Entführung aufgenommenen Fotos in der Notsituation der Entführung zum Zweck der Suche nach der Klägerin veröffentlicht wurden.
Im Übrigen weist die Revisionserwiderung zutreffend darauf hin, dass es sich bei den von der Beklagten verwendeten Fotos um Bilder der damals acht bzw. neun Jahre alten Klägerin aus den Jahren 1981 und 1982 handelt und dass der Filmbeitrag über deren Vor sowie damaligen Familiennamen hinaus keine aktuellen Bezüge zur Klägerin (wie etwa aktuelles Aussehen, aktueller Familienname, Wohnort oder Beruf) enthält, weshalb die Möglichkeit der aktuellen Identifizierung und Zuordnung stark eingeschränkt ist.
Dennoch überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Beklagten nicht diejenigen der Klägerin.
Die Klägerin wendet sich vorliegend, wie sie auch in der Revisionsverhandlung verdeutlicht hat, nicht generell dagegen, durch die Berichterstattung als Opfer einer Straftat identifiziert werden zu können. Es geht ihr vielmehr um den Schutz davor, dass ihre Bildnisse Jahrzehnte nach der Entführung dazu verwendet werden, sie in sehr persönlicher Weise in ihrer Opferrolle darzustellen.
Während die im Filmbeitrag der Beklagten behandelten Themen auch heute noch von Interesse sind (Kindesentführungen, Vermittlung durch T. in zwei Fällen) und der Filmbeitrag zudem einen aktuellen Bezug herstellt (erstmalige Äußerung des T.), hat das öffentliche Interesse gerade an der Person der Klägerin und erst recht an ihrer sehr individualisierten und persönlichen Darstellung erheblich an Bedeutung verloren. Seit der Entführung der Klägerin sind bis zur Veröffentlichung des Films 35 Jahre und bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht 40 Jahre vergangen. Weder aus dem Kontext des Filmbeitrags der Beklagten noch aus sonstigen Feststellungen ergibt sich eine gleichwohl fortdauernde Bedeutung gerade der Person und vor allem der Persönlichkeit der Klägerin. Abweichendes folgt auch nicht aus dem von der Revisionserwiderung in Bezug genommenen Instanzvortrag, wonach über die Entführung der Klägerin in einer Vielzahl von Rückblicken berichtet worden sei und in späteren Entführungsfällen Parallelen gezogen worden seien. Denn auch dies zeigte lediglich ein öffentliches Interesse an der Tat, nicht aber auch gerade an der Person und an der Persönlichkeit der Klägerin. Entsprechendes gilt für den Hinweis der Revisionserwiderung auf ein im Jahr 2021 erschienenes Buch, das sich in einem Kapitel auf über 22 Seiten mit der Entführung der Klägerin befasse und ebenfalls ein von der Beklagten in ihrem Filmbericht verwendetes Foto enthalte.
Die Klägerin ist als damals minderjähriges Opfer einer schweren Straftat in ganz besonderem Maße schutzwürdig. Sie wurde im Alter von acht Jahren entführt und erst fünf Monate später nach Lösegeldzahlung freigelassen. Entgegen der Revisionserwiderung umfasst der gebotene Schutz nicht nur die Verhinderung einer erstmaligen Identifikation eines bis dahin in der Öffentlichkeit unbekannten Opfers. Denn nach der Zielrichtung des Rechts am eigenen Bild soll die Persönlichkeit davor geschützt werden, gegen ihren Willen in Gestalt der Abbildung für andere verfügbar zu werden. Dies gilt im Grundsatz unabhängig davon, in welchem Maße aufgrund der Berichterstattung eine Konfrontation des Opfers mit der Tat und darüber hinaus psychische Beeinträchtigungen zu befürchten sind. Diese Gesichtspunkte sind zwar abwägungsrelevant. Aber auch unabhängig davon kann das Opfer einer Straftat nach einem gewissen Zeitablauf Anspruch darauf haben, selbst zu entscheiden, ob sein Bildnis noch zur Illustration und erneuten Vergegenwärtigung seiner damaligen Opferrolle verwendet werden darf. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Fotos der Klägerin aus Kindertagen ohne die an ihr verübte Straftat nicht in die Öffentlichkeit gelangt wären. Bei den Fotos, die den Ermittlungsbehörden übergeben wurden, kommt hinzu, dass sie in einer damals ausweglosen Zwangssituation veröffentlicht wurden, um die Chancen der Klägerin auf ihre Befreiung zu erhöhen. Angesichts des erheblichen Zeitablaufs und des nachlassenden öffentlichen Interesses an ihrer Person und ihrer Persönlichkeit hat die Klägerin nunmehr einen Anspruch darauf, die Verfügungsgewalt über ihre Kinderfotos zurückzuerlangen und die in die Öffentlichkeit getragene Verknüpfung zwischen der schweren Straftat, deren Opfer sie als Kind geworden ist, und den Abbildungen ihrer Person aufzulösen.
Hinsichtlich der Wiedergabe des von der Klägerin während ihrer Entführung geschriebenen Briefes und der Aufnahme des von ihr während der Entführung geführten Telefonats hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
Im Filmbeitrag der Beklagten wird folgender Inhalt eines von der Klägerin während der Entführung als Lebenszeichen geschriebenen Briefes wiedergegeben:
„Sehr geehrter Vermittler. […] Die haben mir einfach meine Haare kurz geschnitten. Eine Gemeinheit ist das! HAHA. Ich glaube das es dieses mal klappt! Sie auch? Bitte Grüßen sie meinen Vater, meine Mutter, S., P. und B.“
Gezeigt wird sowohl der Ausschnitt einer Pressekonferenz, in der dieser Teil des Briefs vorgelesen wurde, als auch der nach Schriftbild und farblicher Aufmachung auf den ersten Blick als Schreiben eines Kindes erkennbare Brief in Nahaufnahme.
Außerdem wird im Filmbeitrag der Beklagten der Audio-Mitschnitt eines ebenfalls während der Entführung geführten Telefongesprächs wiedergegeben, in dem die Klägerin zum Ablauf einer geplanten Lösegeldübergabe sagte:
„Autobahn A 1 nach WesthofenKreuz. 1000 Meter vor WesthofenKreuz ist eine Schilderbrücke über der Autobahn.“
Die Klägerin ist in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf Achtung der Privatsphäre betroffen. Thematisch umfasst der Schutz der Privatsphäre insbesondere Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsgehalts typischerweise als “privat“ eingestuft werden. Dazu können auch Situationen großer emotionaler Belastung wie das Bangen um das Leben eines nahen Angehörigen gehören, erst recht das Bangen um die eigene Person. In einer solchen Situation sind Brief und Audio-Mitschnitt entstanden. Die Klägerin wurde von ihren Entführern veranlasst, unter deren Kontrolle einen Brief zu schreiben und Anweisungen für die Lösegeldübergabe zu sprechen. Dieses Geschehen war wie die gesamte Entführungssituation geprägt durch die gewaltsame Trennung der Klägerin als achtjähriges Kind von ihrer Familie und von der damaligen Ungewissheit, ob sie diese je wiedersehen oder die Entführung überhaupt überleben würde. Die Entführungssituation war mit einer enormen emotionalen Belastung verbunden und bleibt dies auch in der Rückschau. Hinzu kommt die persönliche Prägung des Briefes durch dessen Gestaltung und die persönliche Prägung des Telefon-Mitschnitts insofern, als die Stimme der Klägerin wiedergegeben wird.
Die Wiedergabe des Briefes und des Telefon-Mitschnitts im Filmbeitrag der Beklagten verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin.
Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.
Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse der Klägerin am Schutz ihres Persönlichkeitsrechts mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungsfreiheit abzuwägen. Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erstreckt sich auch auf die Äußerung von Tatsachen, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können. Zum Kern der Presse und Meinungsfreiheit gehört es, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für werthalten und was nicht. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu. Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen umso schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist. Stets abwägungsrelevant ist auch die Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Diese ist als gering zu werten, wenn es sich um zutreffende Tatsachen handelt, die entweder belanglos sind oder sich allenfalls oberflächlich mit der Person des Betroffenen beschäftigen, ohne einen tieferen Einblick in seine persönlichen Lebensumstände zu vermitteln und ohne herabsetzend oder gar ehrverletzend zu sein.
Das Schutzinteresse der Klägerin überwiegt die schutzwürdigen Belange der Beklagten.
Zwar besteht ein nicht unerhebliches Berichterstattungsinteresse. Der Filmbeitrag der Beklagten zeichnet das frühere Geschehen authentisch nach. Brief und Audio-Mitschnitt belegen die Authentizität und veranschaulichen das Geschehen. Außerdem waren der Brief und der Audio-Mitschnitt sowie die damit im Zusammenhang stehenden Ereignisse bereits früher einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Der Brief wurde zudem mit Zustimmung der Eltern der Klägerin öffentlich verlesen und an die Illustrierte verkauft (siehe oben B.I.5.b.bb).
Allerdings hat das öffentliche Interesse gerade an der Person der Klägerin und erst recht an ihrer persönlichen Darstellung erheblich an Bedeutung verloren. Die Klägerin ist als damals minderjähriges Opfer einer schweren Straftat in ganz besonderem Maße schutzwürdig. Das Opfer einer Straftat hat nach einem gewissen Zeitablauf Anspruch darauf, nicht mehr in sehr persönlicher Weise in seiner Opferrolle dargestellt zu werden. Die Entführer instrumentalisierten das gewaltsam von der Außenwelt abgeschottete achtjährige Kind in einer emotional enorm belastenden Zwangssituation, um Lebenszeichen und die Modalitäten der Lösegeldübergabe zu übermitteln. Sie bedienten sich dazu besonders persönlicher Ausdrucksformen der Klägerin, wie sie sich in der kindlichen Schrift und Gestaltung des Briefs sowie in ihrer Stimme manifestierten. Die so gewonnenen und festgehaltenen persönlichen Ausdrucksformen der Klägerin werden durch die Einblendung des Briefs und des Telefon-Mitschnitts in der streitgegenständlichen Berichterstattung (erneut) der Öffentlichkeit präsentiert. Dies vermittelt einen noch persönlicheren und unmittelbareren Bezug zur Person und Persönlichkeit der Klägerin in der Entführungssituation als die Wiedergabe der für sich genommen neutralen Lichtbilder. Angesichts des erheblichen Zeitablaufs und des nachlassenden öffentlichen Interesses an ihrer Person und ihrer Persönlichkeit hat die Klägerin nunmehr einen Anspruch darauf, die in die Öffentlichkeit getragene Verknüpfung zwischen der schweren Straftat, deren Opfer sie als Kind geworden ist, und dem Brief sowie dem Telefon-Mitschnitt als persönlichen Ausdrucksformen aufzulösen.
Die für den Unterlassungsanspruch (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog) erforderliche Wiederholungsgefahr wird aufgrund der erfolgten Rechtsverletzung vermutet; diese Vermutung hat die Beklagte nicht entkräftet.