Der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg in Stuttgart hat am 21.07.2020 zum Aktenzeichen 1 GR 82/20 entschieden, dass der Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner nach Provokationen im Plenum an der geplanten Landtagssitzung am 22.07.2020 nicht teilnehmen darf und auch von den geplanten Sitzungen am 23.07.2020 und 30.09.2020 ausgeschlossen bleibt.
Aus der Pressemitteilung des VerfGH BW vom 21.07.2020 ergibt sich.
Der Antragsteller wurde in der Landtagssitzung am 24.06.2020 von der Präsidentin des Landtags aus der Sitzung ausgeschlossen. Die Präsidentin stellte im Einvernehmen mit dem Präsidium des Landtags fest, dass der Antragsteller auch an fünf weiteren Landtagssitzungen nicht teilnehmen darf. Die ersten beiden betroffenen Sitzungen fanden am 25.06. und 15.07.2020 statt. Die weiteren drei Sitzungen sind für den 22. und 23.07.2020 und den 30.09.2020 geplant. Der Antragsteller hat am 29.06.2020 beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem er erreichen möchte, dass er vorerst an allen Landtagssitzungen teilnehmen darf. Der Verfassungsgerichtshof hatte mit Beschluss vom 06.07.2020 entschieden, dass der Antragsteller jedenfalls nicht an den geplanten Landtagssitzungen am 15. und 22.07.2020 teilnehmen darf. Der Antragsteller hat gegen diesen Beschluss Widerspruch erhoben.
Der VerfGH Stuttgart hat den Widerspruch zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes besteht keine Veranlassung, den Beschluss vom 06.07.2020 zu ändern. In dem Beschluss hatte der Verfassungsgerichtshof aufgrund einer Interesseabwägung entschieden: Diese falle, soweit über den Antrag entschieden werde, schon deshalb zulasten des Antragstellers aus, weil dieser ohnehin nach § 92 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 LTGO für die nächsten drei Sitzungstage von der Sitzung ausgeschlossen gewesen wäre.
Der im Verfahren über den Widerspruch vorgetragenen Auffassung des Antragstellers, § 92 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 LTGO sei verfassungswidrig, folge der Verfassungsgerichtshof nicht. Er halte an seiner im Verfahren der Landtagsabgeordneten Stefan Räpple und Dr. Wolfgang Gedeon entwickelten Rechtsprechung fest, dass der automatische Sitzungsausschluss allenfalls in ganz außergewöhnlichen Konstellationen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne, fest. Beachtliche Einwände gegen diese Rechtsprechung habe der Antragsteller nicht vorgebracht.
Der Verfassungsgerichtshof hat ebenfalls entschieden, dass der Antragsteller auch nicht an den geplanten Sitzungen am 23.07.2020 und 30.09.2020 teilnehmen darf. Die bezogen auf diese Tage gebotene Interessenabwägung falle zulasten des Antragstellers aus.
Lehne der Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch bezogen auf den vierten und den fünften Sitzungstag ab, stelle sich im Hauptsacheverfahren aber heraus, dass der Sitzungsausschluss insoweit nicht verfassungsgemäß sei, wäre der Antragsteller zu Unrecht von zwei weiteren Landtagssitzungen ausgeschlossen gewesen. Darin läge eine schwerwiegende Beeinträchtigung seines Abgeordnetenrechts. Allerdings habe der Antragsteller das grundsätzliche Risiko einer solchen Beeinträchtigung bewusst in Kauf genommen, als er sich nach dem Ausschluss aus der laufenden Sitzung erneut weigerte, den Sitzungssaal zu verlassen, und – anders als bei seinem früheren Ausschluss am 29.04.2020 – sogar von Polizeivollzugsbeamten aus dem Sitzungssaal getragen werden musste. Ihm habe zudem bewusst sein müssen, dass er in dem hier gegebenen Wiederholungsfall wahrscheinlich für mehr als die in § 92 Abs. 1 Satz 4 LTGO vorgesehenen drei Sitzungstage ausgeschlossen werden würde und er für einen ganz erheblichen Zeitraum seine Aufgabe als Parlamentarier im Wesentlichen nicht würde wahrnehmen können.
Erlasse der Verfassungsgerichtshof antragsgemäß eine einstweilige Anordnung des Inhalts, dass der Antragsteller an den Sitzungen des Landtags am 23.07.2020 und 30.09.2020 teilnehmen dürfe, stelle sich im Hauptsacheverfahren aber heraus, dass der Sitzungsausschluss für diese Sitzungstage verfassungsgemäß sei, so hätte der Antragsteller zu Unrecht an den Sitzungen teilgenommen. Zwar könnte der Sitzungsausschluss dann nach der Hauptsacheentscheidung vollzogen werden. Beeinträchtigt wäre insoweit allerdings das Interesse des Landtags an einem zeitnahen Vollzug des Sitzungsausschlusses.
Bei der Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an einer ununterbrochenen Teilnahme an den Landtags- und Ausschusssitzungen einerseits und dem Interesse des Antragsgegners zu 1. und der Antragsgegnerin zu 2. an einer sofortigen Umsetzung des Sitzungsausschlusses andererseits müsse berücksichtigt werden, dass die Ordnungsmaßnahmen dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Landtags und damit gerade auch dem Schutz der Rechte der übrigen Abgeordneten dienen. Demgegenüber müsse das Interesse des einzelnen Abgeordneten, soweit keine besonderen Umstände vorliegen, zurücktreten; ihm sei es – in den Fällen, in denen die Ordnungsmaßnahme sich nicht bereits im Eilverfahren als offensichtlich verfassungswidrig erweise – grundsätzlich zumutbar, die Ordnungsmaßnahme zunächst hinzunehmen und die Überprüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit in dem Hauptsacheverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof abzuwarten.
Umstände, die im konkreten Fall die Folgenabwägung über diese generellen Gesichtspunkte hinaus beeinflussen könnten, seien von den Beteiligten nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich.