Welche Möglichkeiten zur Stärkung der Tarifbindung der Unternehmen in Deutschland geeignet sind, ist unter Sachverständigen umstritten.
Aus hib – heute im bundestag Nr. 755 vom 07.06.2021 ergibt sich:
Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag deutlich. Grundlage waren Anträge der Fraktion Die Linke (BT-Drs. 19/28772 – PDF, 236 KB, BT-Drs. 19/28775 – PDF, 237 KB) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drs. 19/27444 – PDF, 303 KB) in denen unter anderem die Erleichterung der Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, die Untersagung einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung in einem Arbeitgeberverband und die Vergabe öffentlicher Aufträge nur an tarifgebundene Unternehmen gefordert werden.
Dass die Tarifbindung zurückgegangen ist bestätigte Susanne Kohaut vom Institut für Arbeits- und Berufsforschung (IAB). Strukturelle Faktoren, wie die Veränderung der Branchenstruktur hin zu Dienstleistungen und die Gründung neuer Betriebe, seien aber nur zu einem Teil für die Erosion der Branchentarifbindung verantwortlich. Für einen nicht unbeträchtlichen Teil des Rückgangs könnten ihrer Aussage nach veränderte Einstellungen und Verhaltensweisen betrieblicher Akteure – von Eigentümern oder Management – verantwortlich sein.
Aus Sicht von Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sind die Ursachen vielfältig, hätten aber nichts mit einer sogenannten „Tarifflucht“ zu tun. Gerade jungen Unternehmen müsse die Attraktivität der Tarifbindung erklärt werden. Um diese Attraktivität zu steigern seien Öffnungsklauseln sinnvoll.
Diese Forderung unterstützte auch Jan Dannenbring vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Oftmals seien es restriktive und überkommene Arbeitszeitregelungen, die zum einen nicht mehr der Lebenswirklichkeit der Arbeitnehmer entsprächen und andererseits auch die Betriebe davon abhielten, einem Flächentarifvertrag beizutreten. Das Handwerk sei an einer Tarifbindung interessiert, betonte er. Die in den Anträgen zu findenden Forderungen lehne der ZDH aber ab.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) indes unterstützte die Vorschläge von Grünen und Linken. Es sei zu begrüßen, wenn öffentliche Aufträge nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden, sagte DGB-Vertreter Stefan Körzell. Es gehe dabei um Aufträge im Umfang von 400 bis 500 Milliarden Euro jährlich. Dieses Geld sollte nicht an Unternehmen gehen, die durch Dumpinglöhne den Auftragszuschlag bekommen.
Der Einzelsachverständige Professor Franz Josef Düwell sieht ebenfalls den Bedarf eines Bundesgesetzes zur Tariftreue. Öffentliche Aufträge des Bundes, der Länder sowie der Kommunen für Bau- und Dienstleistungen dürften nur vergeben werden, wenn die Auftragsfirmen ihren Belegschaften tarifvertragliche Entlohnungsbedingungen gewähren, sagte er. Gleichzeitig forderte er, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tariferträgen zu erleichtern, in dem das in der entsprechenden gesetzlichen Regelung geforderte „öffentliche Interesse“ weiter gefasst wird.
Ähnlich sah dies Professor Wolfgang Däubler. Die Allgemeinverbindlicherklärung sei das wohl wichtigste Mittel, um die Tarifwirkung auch auf solche Unternehmen zu erstrecken, deren Inhaber keinem Arbeitgeberverband angehört. Würde sie zu einem häufig benutzten Mittel, wäre überdies für viele Unternehmen eine Rückkehr in die Arbeitgeberverbände von erheblichem Interesse, befand Däubler. Wenn die Unternehmen damit rechnen müssten, dem Branchentarifvertrag unterworfen zu werden, „ist es vorzuziehen, durch Mitgliedschaft im tarifschließenden Verband wenigstens ansatzweise auf den Inhalt der künftigen Regeln Einfluss nehmen zu können“.
Die bisherigen Hürden für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung hinsichtlich der Zahl tarifgebundener Betriebe mit der Anforderung einer Mindestzahl von Beschäftigten müsse künftig flexibler gehandhabt werden, forderte der Einzelsachverständige Kurt Schreck. Das Tarifvertragsgesetz und entsprechende Richtlinien seien dahingehend zu ändern, wonach die Bewertung eines öffentlichen Interesses zur Anwendbarkeit von Tarifverträgen an erster Stelle im Fokus möglicher Entscheidungen zur Allgemeinverbindlichkeit stehen muss.
Gegen eine „weitere Erosion“ der Voraussetzungen für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung, wandte sich Jens Dirk Wohlfeil vom Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie. Das Tarifvertragsgesetz sehe für den Einsatz von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen Hürden vor, die dem Missbrauch dieses Instruments Grenzen setzen können. Diese Hürden dürften in ihrer Substanz nicht erneut weiter angetastet werden, forderte er. Je „schwammiger“ der Begriff des öffentlichen Interesses ausgestaltet werde, desto größer sei die Gefahr eines Grundrechtseingriffes.
Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke kam zu der Feststellung, dass generell die Bereitschaft von Arbeitgeberverbänden, Tarifverträge als allgemeinverbindlich zu erklären, gesunken sei. Das habe damit zu tun, dass der Einfluss der OT-Mitglieder (Unternehmen ohne Tarifbindung) in den Verbänden in den vergangenen Jahren deutlich angewachsen sei, „und die OT-Mitglieder zunehmend das tarifpolitische Geschehen in den Arbeitsgeberverbänden beherrschen“.
Mehr Gestaltungsspielräume für Arbeitgeber und Arbeitnehmer forderte der Einzelsachverständige Professor Gregor Thüsing. Ein „tarifdispositives Gesetzesrecht“ stelle einen Beitrag zur Dezentralisierung dar und zolle somit dem Subsidiaritätsprinzip Tribut, befand er. Außerdem nutze es die größere Sachnähe der Tarifvertragsparteien.