Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteilen vom 25.01.2024 zu den Aktenzeichen C-474/22 und C-54/23 entschieden, dass kein Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung besteht, wenn sich der Fluggast eines mit großer Verspätung angekommenen Fluges nicht zum Flugsteig begeben hatte oder wenn ihm der Kauf eines Flugscheins für einen Ersatzflug ermöglicht, den Zielort mit weniger als drei Stunden Verspätung zu erreichen. Der Schaden des Zeitverlusts kann unter diesen Umständen nicht festgestellt werden.
Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 25.01.2024 ergibt sich:
Für zwei Flüge der Fluggesellschaft Laudamotion von Düsseldorf nach Palma de Mallorca wurde eine Verspätung von mehr als drei Stunden angekündigt. Zwei Fluggäste beschlossen, den Flug nicht anzutreten, da sie befürchteten, dass sie durch die Verspätung des von ihnen gebuchten Fluges einen Geschäftstermin verpassen würden. Der Flug des ersten Fluggasts kam tatsächlich mit drei Stunden und 32 Minuten Verspätung an. Der zweite Fluggast buchte selbst einen Ersatzflug, dank dessen er den Zielort mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden gegenüber dem ursprünglichen Flug erreichte.
Die Rechtshilfegesellschaft flightright, an die der erste Fluggast seine Ansprüche abgetreten hat, und der zweite Fluggast erhoben bei den deutschen Gerichten Klagen gegen Laudamotion, um die pauschale Ausgleichszahlung in Höhe von 250 Euro zu erhalten, auf die jeder Fluggast nach der Fluggastrechteverordnung1 bei einer Verspätung eines Fluges von drei Stunden oder mehr gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit grundsätzlich Anspruch hat.
Der Bundesgerichtshof fragt den Gerichtshof, ob ein Fluggast, für dessen Flug eine voraussichtliche Verspätung von mindestens drei Stunden gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit angekündigt wird, Anspruch auf diese Ausgleichsleistung hat, wenn er sich nicht zur Abfertigung eingefunden hat oder wenn er selbst einen Ersatzflug gebucht hat, der es ihm ermöglicht hat, das Endziel mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden zu erreichen.
Der Gerichtshof entscheidet, dass diese beiden Fallgestaltungen keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung begründen. Er verweist auf seine Rechtsprechung2, wonach Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden, wenn die Verspätung drei Stunden oder mehr beträgt. Der entscheidende Gesichtspunkt, der den Gerichtshof zu dieser Gleichstellung veranlasst hat, besteht darin, dass die Fluggäste eines Fluges mit großer Verspätung ebenso wie die Fluggäste eines annullierten Fluges einen Schaden erleiden, der in einem irreversiblen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr besteht.
Ein Fluggast, der sich nicht zum Flughafen begeben hat, hat aber aller Wahrscheinlichkeit nach keinen solchen Zeitverlust erlitten. Außerdem soll ein Flug, der eine große Verspätung hat, dennoch durchgeführt werden, sodass die Abfertigung vorgenommen werden muss. Daraus folgt, dass Fluggäste eines solchen Fluges nicht von der Pflicht, sich zur Abfertigung einzufinden, befreit sind – anders als Fluggäste eines annullierten Fluges, für den eine solche Befreiung in der Fluggastrechteverordnung ausdrücklich vorgesehen ist. Diese Verordnung schließlich zielt darauf ab, Schäden wiedergutzumachen, die für alle betroffenen Fluggäste praktisch identisch sind.
Ein Schaden, der durch das Versäumen eines Geschäftstermins verursacht wurde, ist allerdings ein individueller Schaden. Er könnte daher nur mittels eines „weiter gehenden Schadensersatzes“ ausgeglichen werden3.
Darüber hinaus hat auch ein Fluggast, der den Flug, für den er über eine bestätigte Buchung verfügte, freiwillig nicht angetreten hat und der dank eines Ersatzflugs, für den er auf eigene Initiative einen Platz reserviert hat, das Endziel mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden gegenüber der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreicht hat, keinen Zeitverlust erlitten, der zu einer pauschalen Ausgleichszahlung berechtigt.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass mit der Fluggastrechteverordnung Ärgernissen und „großen Unannehmlichkeiten“, die Fluggäste im Zusammenhang mit einem Flug erleiden, abgeholfen werden soll. Eine solche Unannehmlichkeit, die sich möglicherweise daraus ergibt, dass ein Fluggast selbst einen Ersatzflug finden musste, kann jedoch nicht als „groß“ im Sinne der Fluggastrechteverordnung angesehen werden, wenn der Fluggast sein Endziel mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden erreicht hat.