Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 19.01.2021 zum Aktenzeichen 21 O 16782/20 dem EuGH die Frage vorgelegt, ob es mit Art. 9 Abs. 1 der RL 2004/48/EG vereinbar ist, dass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes letztinstanzlich zuständige Oberlandesgerichte den Erlass einstweiliger Maßnahmen wegen der Verletzung von Patenten grundsätzlich verweigern, wenn das Streitpatent kein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat.
Aus der Pressemitteilung des LG München I Nr. 1/2021 vom 20.01.2021 ergibt sich:
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung in einer Patentverletzungssache setzt grundsätzlich neben Verfügungsanspruch (Verletzung des Verfügungspatents) und Verfügungsgrund (Dringlichkeit) die Glaubhaftmachung eines hinreichend gesicherten Rechtsbestands des Verfügungspatents voraus. Hierfür ist es nach der derzeitigen obergerichtlichen Rechtsprechung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Falle einer Patentverletzung grundsätzlich nicht ausreichend, dass das geltend gemachte Patent von der Erteilungsbehörde – in diesem Fall dem Europäischen Patentamt – nach eingehender Prüfung erteilt wurde.
Mehrere Oberlandesgerichte fordern vielmehr, dass – mit wenigen Ausnahmen – über die fachliche Prüfung der Patentfähigkeit im Erteilungsverfahren durch das Patentamt hinaus eine Bestätigung der Patentierbarkeit erbracht wird. Denn von einem gesicherten Rechtsbestand könne nur ausgegangen werden, wenn sich das Patent bereits in einem Einspruchs-/Beschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt (EPA) oder des BPatG im Nichtigkeitsverfahren als rechtsbeständig erwiesen haben. Für die Annahme eines gesicherten Rechtsbestands eines Patentes soll nach dieser Ansicht das geprüfte und erteilte Patent grundsätzlich vor Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen seiner Verletzung ein weiteres Mal, in einem Rechtsbestandsverfahren, auf seine Patentfähigkeit hin geprüft worden sein.
Eine solche Auslegung ist allerdings aus Sicht der vorlegenden 21. Zivilkammer des LG München I europarechtswidrig.
Nach Art. 9 Abs. 1 der RL 2004/48/EG zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums soll sichergestellt sein, dass gegen einen Patentverletzer eine einstweilige Maßnahme angeordnet werden könne, um die Fortsetzung einer Patentverletzung zu untersagen. Das sei aber nach der mit diesem Vorlagebeschluss zur Überprüfung gestellten Rechtsprechung nicht möglich, denn ein – wie im vorliegenden Fall – gerade erst erteiltes Patent könne ein Rechtsbestandsverfahren noch gar nicht durchlaufen haben (Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren seien erst nach Patenterteilung möglich).
Auch viele Patente, deren Erteilung bereits lange zurück liege, haben oftmals im Zeitpunkt der Beantragung einer einstweiligen Maßnahme noch kein solches Rechtsbestandsverfahren durchlaufen; der Patentinhaber habe naturgemäß auch gar keinen Einfluss darauf, ob sein Patent nach Erteilung mit einem Einspruch oder einer Nichtigkeitsklage angegriffen werde. Eine einstweilige Maßnahme könne dann trotz eines akuten Verletzungssachverhaltes grundsätzlich erst ergehen, wenn ein Rechtsbestandsverfahren erstinstanzlich abgeschlossen sei, was viele Monate oder gar Jahre dauern könne. Die Fortsetzung der Patentverletzung müsse in dieser Zeit nach der zur Überprüfung gestellten Rechtsprechung hingenommen werden, obwohl im Falle eines Patentes – anders als bei anderen Rechten des geistigen Eigentums – bereits eine eingehende fachliche Prüfung erfolge, bevor es erteilt werden könne.
Das LG München I sieht sich daher derzeit dazu gezwungen, entgegen seinem Verständnis der Regelung in Art. 9 Abs. 1 der RL 2004/48/EG die Anordnung einstweiliger Maßnahmen im Falle einer Patentverletzung grundsätzlich zu verweigern, wenn das verletzte Patent noch kein kontradiktorischen Bestandsverfahren durchlaufen hat und auch die in der Rechtsprechung statuierten Ausnahmen von diesem Grundsatz nicht greifen.