EuGH-Generalanwalt zum subsidiären Schutz für Familienangehörige eines minderjährigen Schutzberechtigten

25. März 2021 -

Generalanwalt Hogan hat am 25.03.2021 vor dem Europäischen Gerichtshof im Verfahren zum Aktenzeichen C-768/19 seine Schlussanträge zu den Voraussetzungen vorgelegt, unter denen ein Elternteil eines minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten ebenfalls subsidiären Schutz beanspruchen kann.

Aus der Pressemitteilung des EuGH vom 25.03.2021 ergibt sich:

Nach dem deutschen Asylgesetz ist bestimmten Familienangehörigen – insbesondere den Eltern – eines ledigen Minderjährigen, dem subsidiärer Schutz gewährt wurde, unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen zum Begriff des „Familienangehörigen“ im Sinne der Anerkennungsrichtlinie 2011/95 vorgelegt, auf den das deutsche Asylgesetz insoweit verweist. Es möchte wissen, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit des Schutzberechtigten maßgeblich ist, welche Anforderungen an das Bestehen einer Familie während des im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz stehenden Aufenthalts des Schutzberechtigten und seines Elternteils im Aufnahmemitgliedstaat bestehen und ggfs. ob die Eigenschaft als Familienangehöriger eines vormals minderjährigen Schutzberechtigten zeitlichen Grenzen unterliegt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat darüber zu entscheiden, ob ein afghanischer Staatsangehöriger subsidiären Schutz mit der Begründung beanspruchen kann, dass seinem Sohn, der einige Jahre vor ihm nach Deutschland kam, dieser Schutzstatus zuerkannt wurde (allerdings erst einige Wochen nach seinem 18. Geburtstag). Der Vater war einige Monate zuvor nach Deutschland gekommen und hatte um internationalen Schutz nachgesucht, einen förmlichen Antrag aber erst einen Tag nach dem 18. Geburtstag seines Sohnes gestellt.

In seinen Schlussanträgen vom 25.03.2021 schlägt Generalanwalt Hogan dem Gerichtshof vor, dem Bundesverwaltungsgericht zu antworten:

Unter den Umständen eines Falles wie dem des Ausgangsverfahrens ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigeneigenschaft einer Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, gemäß Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes derjenige Zeitpunkt, in dem ihr Vater einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32 stellt, sofern die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, diesen Schutz beantragt hat, bevor sie volljährig wurde, und sofern sich beide betreffenden Familienangehörigen in demselben Mitgliedstaat aufhalten, bevor die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, volljährig wird.

Gemäß Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 hängt der Begriff „Familienangehörige“ in Hinblick auf den Vater einer Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, nur von drei Voraussetzungen ab, nämlich dass die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, dass sich die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten und dass die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, ein nicht verheirateter Minderjähriger ist. Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 verlangt nicht die Wiederaufnahme des Familienlebens im Sinne des Art. 7 der Charta zwischen den betreffenden Familienangehörigen. Erklärt ein nicht verheirateter Minderjähriger gemäß Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95, wenn er volljährig wird, ausdrücklich schriftlich, dass er es nicht wünscht, den Familienverband aufrechtzuerhalten, kann der Zweck des Art. 23 der Richtlinie 2011/95 nicht erreicht werden und sind die zuständigen nationalen Behörden nicht verpflichtet, Familienangehörigen die entsprechenden Leistungen nach Art. 24 bis 35 dieser Richtlinie zu gewähren.

Die Rechte der Familienangehörigen gemäß Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich und Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 bestehen nicht unbefristet fort. Der Anspruch der Familienangehörigen gemäß Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich und Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 auf die in Art. 24 bis 35 dieser Richtlinie genannten Leistungen besteht nach Erreichen der Volljährigkeit der Person, der subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, für die Dauer der Gültigkeit des ihnen gemäß Art. 24 Abs. 2 dieser Richtlinie ausgestellten Aufenthaltstitels fort.

Zu seinem ersten Antwortvorschlag weist Generalanwalt Hogan darauf hin, dass es vorbehaltlich einer Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht den Anschein habe, dass der maßgebliche Zeitpunkt in Hinblick auf den Asylantrag des Vaters in dem Zeitpunkt liege, zu dem er um Asyl nachgesucht habe [d.h. zeitnah nach seiner Einreise und deutlich vor dem 18. Geburtstag des Sohnes], und nicht der Zeitpunkt seines förmlichen Antrags auf internationalen Schutz [den er einen Tag nach dem 18. Geburtstag des Sohnes gestellt hat] zugrunde zu legen sei. Da der Asylantrag des Vaters somit gestellt worden sei, als sein Sohn noch minderjährig gewesen sei, ergebe sich wiederum, dass er ein Familienangehöriger im Sinne des Art. 2 Buchst. j dritter Gedankenstrich der Richtlinie 2011/95 gewesen sei.