Nach Ansicht von Generalanwältin Juliane Kokott im Verfahren C-458/19 P vor dem Europäischen Gerichtshof ist die Entscheidung der Kommission, mit der diese es abgelehnt hat, die Zulassung des Weichmachers DEHP (Bis[2-ethylhexyl]phthalat) zu überprüfen, aufzuheben.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 26/2021 vom 25.02.2021 ergibt sich:
Die Kommission hätte die endokrinen Risiken von DEHP nicht unberücksichtigt lassen dürfen.
DEHP (Bis[2-ethylhexyl]phthalat) ist ein Weichmacher, der Kunststoffen auf der Grundlage von PVC (Polyvinylchlorid) zugesetzt wird. Aufgrund seiner reproduktionstoxischen Eigenschaften und der damit verbundenen erheblichen Risiken für die menschliche Gesundheit wurde er 2011 als besonders besorgniserregender Stoff gemäß der REACH-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. 2006, L 396, 1) eingestuft, dessen Verwendung der Zulassung durch die Kommission bedarf (2011 nahm die Kommission DEHP wegen seiner reproduktionstoxischen Eigenschaften gemäß der REACH-Verordnung in die Liste der zulassungsbedürftigen besonders besorgniserregenden Stoffe auf.). Später wurde DEHP auch wegen seiner endokrinen, d.h. den Hormonhaushalt beeinflussenden Eigenschaften und der damit verbundenen Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt als besonders besorgniserregend eingestuft. Die Zulassungspflicht beruht bislang jedoch allein auf den reproduktionstoxischen Eigenschaften (Hinsichtlich seiner endokrinen Eigenschaften wurde DEHP bislang lediglich als „Kandidat“ für die Aufnahme in die Liste der zulassungsbedürftigen besonders besorgniserregenden Stoffe eingestuft.).
2016 erteilte die Kommission drei Recyclingunternehmen die Zulassung für die Verwendung von DEHP-haltigem, recyceltem Weich-PVC, u.a. zur Herstellung von PVC-Erzeugnissen. DEHP kommt für diese Verwendung offenbar keine besondere funktionelle Bedeutung zu. Es ist lediglich in den recycelten PVC-Abfällen enthalten. Allerdings könnte es bei der weiteren Verarbeitung des Rezyklats von Vorteil sein.
Gestützt auf die Stellungnahmen der Ausschüsse für Risikobeurteilung und für sozioökonomische Analyse der Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hielt die Kommission es nicht für möglich, die Verwendung von DEHP wie von den Unternehmen beantragt auf der Grundlage zuzulassen, dass seine reproduktionstoxischen Risiken angemessen beherrscht würden. Das sei nicht nachgewiesen worden. Vielmehr erfolgte die Zulassung auf der Grundlage, dass der sozioökonomische Nutzen gegenüber diesen Risiken überwiege.
Die Umweltschutzorganisation ClientEarth ersuchte die Kommission daraufhin gemäß der Aarhus-Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 (2006, L 264, 13), diese Zulassung noch einmal zu überprüfen. Die Kommission wies den Antrag als unbegründet zurück. Auch die dagegen gerichtete Klage von ClientEarth vor dem Gericht der EU blieb ohne Erfolg (EuG, Urt. v. 04.04.2019 -T-108/17). ClientEarth verfolgt ihr Anliegen weiter im Wege eines Rechtsmittels vor dem Gerichtshof.
In ihren Schlussanträgen vom 25.02.2021 schlägt Generalanwältin Juliane Kokott dem Gerichtshof vor, das Urteil des Gerichts und die ablehnende Überprüfungsentscheidung der Kommission aufzuheben, weil sie hingenommen hätten, dass die Zulassung von DEHP auf einer unvollständigen Abwägung beruht.
Die Abwägung des sozioökonomischen Nutzens gegenüber dem verbleibenden Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt hätte nämlich nicht auf die reproduktionstoxischen Eigenschaften von DEHP beschränkt werden dürfen. Vielmehr hätten auch die zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten endokrinen Eigenschaften berücksichtigt werden müssen.
Der sozioökonomische Nutzen einer Verwendung hänge nicht nur von den Vorteilen einer Verwendung ab, sondern auch von ihren Risiken für Umwelt und Gesundheit. Diese Risiken seien ebenfalls sozioökonomische Faktoren. Wenn sie zu Umwelt- oder Gesundheitsschäden führten, belasteten sie die Gesellschaft und verursachten wirtschaftliche Kosten. Die Risiken minderten folglich den sozioökonomischen Nutzen und müssten daher berücksichtigt werden, um zu beurteilen, ob der Nutzen gegenüber dem Risiko überwiege, das die Zulassungspflicht begründe. Zudem entspreche eine umfassende Berücksichtigung der maßgeblichen Risiken einer Verwendung für die Gesundheit und die Umwelt dem Vorsorgeprinzip.
Hinsichtlich der Zulassung von DEHP also solcher weist Generalanwältin Kokott darauf hin, dass sie zwar an dem gleichen Mangel leide, aber von der Aufhebung der Überprüfungsentscheidung nicht unmittelbar berührt würde. Jedoch müsste die Kommission bei der erneuten Entscheidung über den Überprüfungsantrag berücksichtigen, dass die Zulassung auf einer unvollständigen Abwägung beruht.
Im Übrigen sind nach Ansicht der Generalanwältin auch die Feststellungen des Gerichts zur Zulässigkeit von Rügen hinsichtlich des Zulassungsantrags sowie zur Kontrolle des Antragsinhalts, aber auch zur Unzulässigkeit neuer Argumente rechtsfehlerhaft. Sie könnten ihrerseits jedoch in letzter Konsequenz nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen.