Das Gericht der Europäischen Union hat am 29.09.2021 zu den Aktenzeichen T-341/18, T-342/18, T-343/18, T-344/18, T-363/18 die Geldbußen aufrecht erhalten, die von der Kommission gegen mehrere Unternehmen wegen ihrer Teilnahme an einem Kartell auf dem Markt für Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren verhängt wurden.
Aus der Pressemitteilung des EuGH Nr. 164/2021 vom 29.09.2021 ergibt sich:
Mit Beschluss vom 21. März 2018 (C(2018) 1768 final der Kommission vom 21. März 2018 in einem Verfahren nach Art. 101 [AEUV] und Art. 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.40136 – Kondensatoren) verhängte die Kommission Geldbußen in Höhe von insgesamt rund 254 Millionen Euro gegen neun japanische Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen, weil sie zwischen 1998 und 2012 über unterschiedliche Zeiträume hinweg an einem Kartell auf dem Markt für Aluminium- und Tantal-Elektrolytkondensatoren beteiligt gewesen seien (im Folgenden: angefochtener Beschluss). Es handelte sich dabei um die Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen Elna, Hitachi AIC, Holy Stone, Matsuo, Nichicon, Nippon Chemi-Con, Rubycon, Sanyo, NEC und Tokin.
Elektrolytkondensatoren werden in fast allen elektronischen Produkten wie PCs, Tablet-PCs, Telefonen, Klimaanlagen, Kühlschränken, Waschmaschinen, Kfz-Produkten und Industriegeräten verwendet.
Die Kommission stellte im Rahmen ihrer Untersuchung im Wesentlichen fest, dass die in Rede stehende Zuwiderhandlung im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) stattgefunden habe und in Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen bestanden habe, die die Koordinierung der Preispolitik in Bezug auf die fraglichen Produkte zum Gegenstand gehabt hätten. Die Unternehmen hätten an zahlreichen multilateralen Treffen teilgenommen und Kontakte hergestellt, um sensible Geschäftsinformationen auszutauschen, insbesondere über ihre künftigen Preise und ihre Pläne zur Preisgestaltung sowie über Angebot und Nachfrage in der Zukunft. Auf diese Weise habe ihr künftiges Verhalten abgestimmt und ein Preiswettbewerb vermieden werden sollen.
Einige Unternehmen – NEC, Nichicon, Tokin, Rubycon und Nippon Chemi-Con – haben beim Gericht der Europäischen Union beantragt, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären oder ihre jeweiligen Geldbußen herabzusetzen.
Mit seinen Urteilen vom heutigen Tag weist das Gericht sämtliche von den Unternehmen vorgebrachte Argumente ab und erhält die von der Kommission verhängten Geldbußen aufrecht.
Unternehmen | Höhe (gerundet) der von der Kommission verhängten Geldbuße (in Euro) | Entscheidung des Gerichts |
Nec Corp. | 2,60 Mio. | Abweisung der Klage
Aufrechterhaltung der Geldbuße |
Nec Corp. und Tokin Corp. | 5,04 Mio. / gesamtschuldnerisch | Abweisung der Klage
Aufrechterhaltung der Geldbuße |
Nichicon Corporation | 72,90 Mio. | Abweisung der Klage
Aufrechterhaltung der Geldbuße |
Tokin Corp. | 8,81 Mio. | Abweisung der Klage
Aufrechterhaltung der Geldbuße |
Rubycon Corp. | 706 000 | Abweisung der Klage
Aufrechterhaltung der Geldbuße |
Rubycon Holdings Co. Ltd und Rubycon Corp. | 27,72 Mio. / gesamtschuldnerisch | Abweisung der Klage
Aufrechterhaltung der Geldbuße |
Nippon Chemi-Con Corporation | 97,92 Mio. | Abweisung der Klage
Aufrechterhaltung der Geldbuße |
In der Rechtssache T-341/18 nahm die Kommission die Verantwortlichkeit von NEC als Muttergesellschaft und Halterin des gesamten Gesellschaftskapitals von Tokin für den Zeitraum vom 1. August 2009 bis zum 23. April 2012 an. Bei der Berechnung der Höhe der Geldbuße vertrat sie die Auffassung, dass der Grundbetrag der Geldbuße aufgrund des erschwerenden Umstands der wiederholten Zuwiderhandlung zu erhöhen sei. NEC war nämlich bereits durch den „DRAM-Beschluss“ der Kommission vom 19. Mai 2010, der eine Zuwiderhandlung vom 1. Juli 1998 bis zum 15. Juni 2002 betraf (Beschluss C(2011) 180/09 final der Kommission vom 19. Mai 2010 in einem Verfahren nach Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen – Sache COMP/38.511 – DRAM), für ein wettbewerbswidriges Verhalten haftbar gemacht worden.
Die Kommission vertrat die Ansicht, dass es ungeachtet des Umstandes, dass diese erste Zuwiderhandlung während der Begehung der im angefochtenen Beschluss festgestellten Zuwiderhandlung geahndet worden sei, zu einer Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße aufgrund der wiederholten Zuwiderhandlung kommen müsse, so dass die gesamte Zeitspanne der Haftung von NEC für die Zuwiderhandlung berücksichtigt werden müsse, einschließlich des Zeitraums von fast neun Monaten vor Erlass des DRAM-Beschlusses.
Das Gericht stellt fest, dass die Kommission rechtsfehlerfrei entschieden hat, dass der Umstand, dass bereits eine Zuwiderhandlung von NEC festgestellt wurde und sie trotz dieser Feststellung und der verhängten Sanktion fast zwei Jahre lang weiter an einer anderen, ähnlichen Zuwiderhandlung beteiligt war, einen Wiederholungsfall darstellt.
In der Rechtssache T-344/18 erinnert das Gericht an die Voraussetzungen, unter denen einem Unternehmen im Rahmen einer Kronzeugenregelung (Rn. 26 Abs. 3 der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen vom 8. Dezember 2006) eine Herabsetzung der verhängten Geldbuße gewährt werden kann. Insbesondere kommt es darauf an, ob das Unternehmen Beweise übermittelt, die es der Kommission ermöglichen, zusätzliche, die Schwere oder die Dauer der Zuwiderhandlung erhöhende Tatsachen festzustellen.
Das Gericht bestätigt in dieser Rechtssache die Schlussfolgerung der Kommission, dass die von Rubycon übermittelten Beweise zu einer bestimmten Art von Treffen keinen Einfluss auf die Schwere der Zuwiderhandlung hatten. Die Beweise zeigen zwar, dass die Unternehmen bei diesen Treffen Preisabsprachen getroffen haben, die von einem Überwachungsmechanismus flankiert waren, um die Anwendung dieser Absprachen sicherzustellen. Hierbei handelte es sich aber nicht um eigenständige Bestandteile der Zuwiderhandlung, die sich auf deren Schwere hätten auswirken können. Zum einen waren die Preisabsprachen Teil der in Rede stehenden komplexen Zuwiderhandlung, die – ohne dass insoweit eine spezifische Einordnung erforderlich wäre – sowohl Vereinbarungen als auch abgestimmte Verhaltensweisen umfasste. Zum anderen stellte der Überwachungsmechanismus keine Besonderheit der Zuwiderhandlung dar, da die Überwachung auch außerhalb dieses Mechanismus erfolgte.
In der Rechtssache T-344/18 bringen die Klägerinnen auch vor, die Kommission habe einige Kartellteilnehmer günstiger behandelt, indem sie ihnen eine Ermäßigung des Grundbetrags der Geldbuße um 3 % gewährt habe, weil ihre Teilnahme an bestimmten Treffen nicht erwiesen sei, während sie Rubycon für die Offenlegung einiger dieser Treffen keine solche Ermäßigung gewährt habe.
Dieses Argument beruht dem Gericht zufolge auf einem fehlerhaften Vergleich zwischen dem Begriff des Teilerlasses der Geldbuße im Sinne der Mitteilung über Zusammenarbeit von 2006 (Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen vom 8. Dezember 2006) und mildernden Umständen, die von der Kommission zu berücksichtigen sind, wie die in den Leitlinien von 2006 (Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 101 und 102 AEUV niedergelegten Wettbewerbsregeln) genannten. Insoweit sind die beiden Situationen weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht vergleichbar.
In den Rechtssachen T-342/18 und T-363/18 haben die Klägerinnen die räumliche Zuständigkeit der Kommission bestritten, da das wettbewerbswidrige Verhalten auf Asien ausgerichtet gewesen sei und weder im EWR verwirklicht worden sei, noch nennenswerte Auswirkungen auf den EWR gehabt habe.
Das Gericht erinnert daran, dass die Voraussetzungen der territorialen Geltung von Art. 101 AEUV in zwei Konstellationen erfüllt sind: erstens, wenn die Verhaltensweisen, um die es in dieser Bestimmung geht, im Gebiet des Binnenmarkts verwirklicht werden, und zwar unabhängig davon, von wo sie ihren Ausgang nehmen, da das Kriterium der Durchführung des Kartells u. a. bereits bei einem bloßen Verkauf des kartellbefangenen Produkts in der Union unabhängig von der Lage der Versorgungsquellen oder der Produktionsanlagen erfüllt ist, und zweitens, wenn vorhersehbar ist, dass die genannten Verhaltensweisen eine unmittelbare und wesentliche Auswirkung im Binnenmarkt hervorrufen. Im vorliegenden Fall haben die Kartellteilnehmer insbesondere Informationen über Kunden mit Sitz im EWR oder über Kunden mit Produktionsstätten im EWR ausgetauscht und auch ihre Geschäftspolitik koordiniert, und zwar in Abhängigkeit von Wechselkursschwankungen, einschließlich solcher des Euro. Folglich hatten die wettbewerbswidrigen Kontakte eine weltweite, auch den EWR umfassende Reichweite, auch wenn die Kartellteilnehmer Unternehmen mit Sitz in Japan waren und die Kontakte in Japan stattfanden.
Das Gericht schließt daraus, dass das Kriterium der Durchführung des Kartells als Kriterium für dessen Verknüpfung mit dem Gebiet der Union im vorliegenden Fall erfüllt ist und die Kommission sich zu Recht für zuständig gehalten hat.
In der Rechtssache T-342/18 macht die Klägerin geltend, die Kommission habe vor dem Hintergrund, dass gegen die Kartellteilnehmer bereits in Drittstaaten Geldbußen verhängt worden seien, gegen den Grundsatz ne bis in idem und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, als sie weitere Geldbußen verhängt habe.
Das Gericht weist darauf hin, dass der Grundsatz ne bis in idem in einem Fall wie dem vorliegenden keine Anwendung finden kann, in dem die von der Kommission einerseits und von den drittstaatlichen Behörden andererseits betriebenen Verfahren und verhängten Sanktionen nicht denselben Zielen dienen. Im ersten Fall geht es nämlich darum, im EWR einen unverfälschten Wettbewerb zu erhalten, im zweiten Fall dagegen um den Schutz des Marktes des Drittstaats. Die für den Grundsatz ne bis in idem geltende Anwendungsvoraussetzung, dass die geschützten Rechtsgüter identisch sind, ist daher nicht erfüllt.
Zum geltend gemachten Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt das Gericht fest, dass Erwägungen, die auf der Existenz der von den Behörden eines Drittstaats verhängten Geldbußen beruhen, nur im Rahmen des Ermessens berücksichtigt werden können, über das die Kommission bei der Festsetzung von Geldbußen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union verfügt. Folglich kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Kommission Geldbußen berücksichtigt, die zuvor von drittstaatlichen Behörden verhängt wurden, doch ist sie dazu nicht verpflichtet.