Erstmals Schadensersatz gegen Stiftung Warentest: Millionenklage wegen fehlerhaftem Rauchmelder-Test erfolgreich

23. April 2025 -

Ein wegweisendes Urteil mit weitreichenden Folgen für Produkttests und deren rechtliche Grenzen: Das Landgericht Frankfurt am Main hat die Stiftung Warentest zu Schadensersatz verurteilt – wegen eines fehlerhaften Tests zu Rauchwarnmeldern. Im Zentrum steht ein „mangelhaft“-Urteil, das laut Gericht auf unvertretbaren und rechtswidrigen Testergebnissen beruhte.

Hintergrund des Rechtsstreits: „Mangelhaft“ mit weitreichenden Folgen

Im Jahr 2020 bewertete die Stiftung Warentest in einem vielbeachteten Produkttest den Rauchwarnmelder eines Berliner Unternehmens, der Pyrexx GmbH, mit der Note „mangelhaft“. Die Begründung: Das Gerät löse im Test zu spät aus – ein vernichtendes Urteil in einem sicherheitsrelevanten Produktbereich.

Die Folgen für Pyrexx waren drastisch: Der Umsatz mit Rauchwarnmeldern sank laut Angaben des Unternehmens im Folgejahr um rund 30 Prozent. Angesichts dieses erheblichen wirtschaftlichen Schadens und der zentralen Bedeutung der Stiftung Warentest für Kaufentscheidungen in der Bevölkerung entschloss sich das Unternehmen, rechtlich gegen die Bewertung vorzugehen.

Erste rechtliche Hürden: Geheimhaltung der Prüfberichte

Der juristische Weg gestaltete sich jedoch zunächst schwierig: In einem Verfahren auf Unterlassung vor den Kölner Gerichten blieb Pyrexx erfolglos. Die Stiftung verweigerte die Herausgabe der Prüfberichte des von ihr beauftragten belgischen Prüfinstituts. Auch das Oberlandesgericht Köln ließ dies durchgehen, obwohl es Zweifel an der Zurückhaltung der Prüfberichte äußerte (OLG Köln, Beschl. v. 09.03.2021, Az. 15 W 6/21).

Erst im Hauptsacheverfahren vor dem LG Frankfurt a. M. änderte sich die prozessuale Lage zugunsten von Pyrexx: Gestützt auf §§ 422, 423 ZPO musste die Stiftung Warentest die Prüfberichte offenlegen – mit weitreichenden Konsequenzen.

Urteil des LG Frankfurt: Testergebnis „schlicht unvertretbar“ und rechtswidrig

Die Offenlegung ermöglichte ein Gutachten, das gravierende Fehler im Testverfahren offenbarte. Das Prüfinstitut hatte die maßgebliche DIN EN 14604:2005 nicht eingehalten. Die Testbrände entwickelten nicht die für eine Auslösung nötige Rauchdichte. Die getesteten Melder konnten daher – physikalisch bedingt – gar nicht wie erwartet auslösen.

Das Landgericht Frankfurt (Az. 2-03 O 430/21) urteilte daher:

„Das Testergebnis ist nicht diskutabel, sondern unvertretbar und rechtswidrig.“

In der Veröffentlichung des Testurteils „mangelhaft“ liege eine rechtswidrige Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§§ 823 Abs. 1, 824 Abs. 1 BGB) von Pyrexx. Die Stiftung habe damit in unzulässiger Weise in die wirtschaftliche Entfaltung eines Marktteilnehmers eingegriffen.

Haftung der Stiftung Warentest: Kein Entkommen durch Auslagerung

Besonders brisant ist die Feststellung des Gerichts zur Haftung der Stiftung Warentest: Zwar sei das Prüfinstitut der unmittelbare Verursacher der fehlerhaften Tests, doch müsse sich die Stiftung Warentest dessen Verschulden zurechnen lassen – gestützt auf § 31 BGB. Diese sogenannte „Fiktionshaftung“ beruht auf dem Gedanken, dass wesentliche Aufgaben nicht einfach an Dritte delegiert werden dürfen.

Das Gericht betonte:

„Die Durchführung von Produkttests ist eine originäre Aufgabe der Stiftung Warentest. Werden dabei Fehler begangen, so muss sich die Stiftung diese zurechnen lassen – selbst wenn sie nur extern beauftragt wurden.“

Die Argumentation der Stiftung, allein die Auswahl eines sachkundigen Instituts erfülle bereits ihre Sorgfaltspflicht, überzeugte das Gericht nicht. Andernfalls wären getestete Unternehmen gegenüber fehlerhaften Tests „rechts- und schutzlos gestellt“, so das Gericht.

Schadensersatzanspruch bejaht – Präzedenzfall mit Signalwirkung

Das Landgericht Frankfurt erkannte in einem Teilgrund- und Teilurteil vom 13. März 2025 die Schadensersatzpflicht dem Grunde nach an. In einem weiteren Verfahrensschritt wird nun über die Höhe des Schadensersatzes entschieden – Pyrexx fordert mehr als 7,7 Millionen Euro für Umsatzeinbußen infolge der negativen Berichterstattung.

Der Fall ist in mehrfacher Hinsicht ein Novum:

  • Es ist der erste bekannte Fall, in dem ein Unternehmen gegen die Stiftung Warentest erfolgreich einen Schadensersatzanspruch durchgesetzt hat.

  • Bisherige Auseinandersetzungen beschränkten sich meist auf Unterlassungsansprüche – schon diese wurden nur selten erfolgreich durchgesetzt (vgl. etwa Ritter Sport 2014).

  • Das Urteil begründet eine neue Haftungsdogmatik bei fehlerhaften Produkttests durch staatlich geförderte Verbraucherorganisationen.

Berufung angekündigt: Grundsatzentscheidung des OLG Frankfurt erwartet

Die Stiftung Warentest will sich mit dem Urteil nicht abfinden. In einer Stellungnahme kündigte sie an, Berufung beim OLG Frankfurt einzulegen. Man fürchte eine „unzumutbare Belastung“ und sehe die Gefahr, künftig keine unabhängigen Warentests mehr durchführen zu können, wenn eine derartige Haftung Bestand habe.

Aus Sicht des LG Frankfurt ist diese Sorge jedoch unbegründet. Die Stiftung müsse sich lediglich die Mühe machen, die Qualität externer Prüfungen aktiv zu überwachen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Signalwirkung für Warentests und Medienrecht

Das Urteil des LG Frankfurt setzt maßgebliche Leitplanken für die Verantwortung von Produkttestern:

  • Wer durch Tests massiv in die wirtschaftliche Betätigung von Unternehmen eingreift, haftet bei Fehlern auch zivilrechtlich.

  • Eine Delegation an externe Prüfstellen schützt nicht vor Haftung.

  • Die Grenze zwischen zulässiger Meinungsäußerung und rechtswidriger Tatsachenbehauptung wurde im vorliegenden Fall klar überschritten.

Für Unternehmen eröffnet sich damit ein neuer Weg, sich gegen fehlerhafte und existenzgefährdende Testberichte zu wehren – insbesondere, wenn diese auf nicht nachvollziehbaren oder gar mangelhaften Prüfverfahren beruhen.