Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, hat mit Urteil vom 6.12.2023 zum Aktenzeichen 12 U 78/22 entschieden, dass der rechtkräftig wegen zweifachen Mordes sowie wegen versuchten Mordes verurteilte Beklagte dem Land Hessen Gelder erstatten muss, die das Land für das durch den versuchten Mord schwer verletzte Opfer aufgebracht hat.
Aus der Pressemitteilung des BGH Nr. 69/2023 vom 06.12.2023 ergibt sich:
Das Land Hessen nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von knapp 70.000 € in Anspruch. Der Beklagte war im Juli 2011 – inzwischen rechtskräftig – wegen Mordes in zwei Fällen sowie wegen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Dem Urteil der Schwurgerichtskammer nach hatte er im April 2009 ein Ehepaar erschossen und ihre erwachsene, an einer Form des Autismus leidende Tochter durch Schüsse schwer verletzt. Das Ehepaar wohnte im Nachbarhaus des Beklagten. Das Land Hessen hatte festgestellt, dass die Tochter durch das Geschehen gesundheitliche Schäden im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes erlitten hatte. Es begehrt nun – aus übergegangenem Recht – von dem Beklagten die Erstattung von Heilbehandlungskosten, Waisenrente und Bestattungsgeld.
Das Landgericht hatte die Strafakte beigezogen und der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Der Beklagte sei der geschädigten Tochter zum Schadensersatz verpflichtet gewesen. Ihre Ansprüche könne das Land nun aus übergegangenem Recht geltend machen. Das Land Hessen habe die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch durch die Bezugnahme auf das Strafurteil schlüssig dargelegt. Zwar sei die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung einer Partei im Zivilprozess nicht bindend. Der Zivilrichter müsse sich vielmehr im Rahmen der freien Beweiswürdigung selbst seine Überzeugung bilden. „Allerdings darf er bei engem rechtlichen und sachlichem Zusammenhang von Zivil- und Strafverfahren ein rechtskräftiges Strafurteil nicht unberücksichtigt lassen, sondern muss sich mit dessen Feststellungen auseinandersetzen, soweit sie für seine eigene Beweiswürdigung von Bedeutung sind“, erläutert der Senat. Die Vorlage eines ausführlich begründeten Strafurteils erhöhe die Anforderungen an das Bestreiten des Beklagten.
Auf dieser Grundlage sei der Senat aufgrund des Strafurteils mit der für eine Verurteilung erforderlichen Gewissheit davon überzeugt, dass der Beklagte durch die auf die Tochter abgegebenen Schüsse schwere Verletzungen und deren Dauerfolgen verursacht und die Eheleute getötet habe. Die landgerichtliche Beweiswürdigung sei umfassend, in sich nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Unter Verwertung des Strafurteils sowie der darin enthaltenen Gutachten ergebe sich, dass die Tat unter Verwendung einer Waffe mit einer aufgesetzten, mit Bauschaum gefüllten PET-Flasche als Schalldämpfer erfolgt sei. Die vom Beklagten eingeführten Video-Clips seien nicht geeignet, diese Feststellungen zu erschüttern. Die von ihm vorgelegten Privatgutachten führten auch nicht dazu, die Gerichtsgutachten als ungenügend einzustufen. Aus den Privatgutachten ergebe sich insbesondere nicht, dass die Gerichtsgutachter von falschen Voraussetzungen ausgegangen seien. Der Beklagte habe durch seine Bezugnahme auf ein Privatgutachten vielmehr selbst unstreitig gestellt, dass Bauschaum am Tatort vorhanden gewesen und als Material für den Schalldämpfer verwendet worden sei.
Das Strafurteil biete angesichts seiner detaillierten Feststellungen auch eine hinreichende Grundlage für den Senat, sich von der Täterschaft des Beklagten zu überzeugen. Dafür spreche u.a. das sog. Vortatverhalten des Beklagten. Er habe im Internet mit den Suchbegriffen „Schalldämpfer für Waffen, Wasserflasche“ recherchiert. Der Senat sei auch überzeugt, dass der Beklagte für die Tat ein Motiv hatte, „nämlich sich durch die Tötung der Familie (…) der von ihr verursachten erheblichen – gerade auch nächtlichen – Lärmbelästigung zu entledigen“. Dies bestreite der Beklagte auch nicht. Zudem seien an unterschiedlichen Orten im Haus des Beklagten Schmauchspuren sichergestellt worden, die sich auch am Tatort befunden hätten.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann der Beklagte die Zulassung der Revision beim BGH begehren.