Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 26. Juni 2023 zum Aktenzeichen 1 BvR 491/23 entschieden, dass die ermittlungsrichterliche Untätigkeit verfassungswidrig ist.
Die Beschwerdeführerin betreibt ein Online-Nachrichtenportal, das über tagespolitische Geschehnisse berichtet.
Wegen des Vorwurfs von strafbewehrten Verstößen gegen das Parteiengesetz führt die Staatsanwaltschaft gegen zwei Beschuldigte jeweils ein selbstständiges Ermittlungsverfahren (geführt unter den Aktenzeichen 276 Js 739/19 und 237 Js 536/22). Im Rahmen dieser Verfahren erwirkte die Staatsanwaltschaft im August 2022 gestützt auf § 103 StPO ermittlungsrichterliche Beschlüsse, in denen die Durchsuchung näher bezeichneter Räumlichkeiten angeordnet wurde, für die der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin als Verantwortlicher eines Vereins zuständig war.
Am 28. September 2022 wurden die Durchsuchungsbeschlüsse vollzogen. Teile des durchsuchten Objekts nutzt die Beschwerdeführerin nach ihren Angaben als Redaktionsraum. Im Rahmen der Durchsuchung stellten die Beamten ein Kuvert mit darin enthaltenem digitalen Datenträger (USB-Stick) sicher, der sich zuvor in einem Safe befand. Diesen öffnete der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin nach Ankündigung durch die Beamten, diesen anderenfalls aufzubrechen.
Mit Schriftsätzen vom 1. November 2022 beantragte die Beschwerdeführerin in beiden Ermittlungsverfahren beim Amtsgericht eine ermittlungsrichterliche Entscheidung, wonach die Sicherstellung aufzuheben und das bezeichnete Kuvert inklusive des USB-Sticks an sie herauszugeben sei (fortan der „Hauptantrag“). Darüber hinaus beantragte sie die sofortige Versiegelung des Kuverts inklusive des USB-Sticks bis zur Herausgabe an sie, jedenfalls bis zur richterlichen Entscheidung (fortan der „Eilantrag“). Zur Begründung führte sie aus, dass die Durchsuchung des Redaktionsraums von den Durchsuchungsbeschlüssen nicht gedeckt gewesen sei. Zudem sei nicht beachtet worden, dass die Daten auf dem USB-Stick dem journalistischen Quellenschutz unterlägen. Der sichergestellte Datenträger sei bei alledem noch nicht einmal versiegelt worden, was umgehend nachzuholen sei.
Telefonische Nachfragen der Beschwerdeführerin vom 9. November 2022 blieben nach ihrem Vortrag ergebnislos. Auf Sachstandsanfragen, die sie schriftlich unter dem 4. Januar 2023 in beiden Ermittlungsverfahren anbrachte, erfolgte keine Antwort. Eine unter dem 23. Januar 2023 erhobene und unter Verweis auf eine ermittlungsrichterliche Untätigkeit begründete Dienstaufsichtsbeschwerde wurde dahingehend beantwortet, dass diese bearbeitet werde.
In ihrem Schriftsatz vom 1. November 2022 hat sie ausdrücklich folgenden Antrag gestellt:
„Ich beantrage ferner die sofortige Versiegelung des „Kuverts […]“ inkl. des darin enthaltenen USB-Sticks (1 TB) bis zur Herausgabe an meine Mandantin, jedenfalls bis zur richterlichen Entscheidung.“
In der Antragsbegründung kritisierte die Beschwerdeführerin, dass die Durchsuchungsbeamten „noch nicht einmal“ den sichergestellten Datenträger versiegelt hätten, was nunmehr – so ausdrücklich – umgehend nachgeholt werden müsse.
Unbeschadet dieser unmissverständlichen Formulierungen musste sich dem Ermittlungsrichter auch deshalb die Eilbedürftigkeit dieses Antrags aufdrängen, weil dieser erkennbar darauf ausgerichtet war, vollendete Zustände zu verhindern. Mit ihrem Hauptantrag auf ermittlungsrichterliche Entscheidung bezweckte die Beschwerdeführerin – wie ebenfalls von ihr ausdrücklich benannt – die Aufhebung der Sicherstellung und Herausgabe des Kuverts inklusive des darin befindlichen USB-Sticks. Sie berief sich im Weiteren auf ihre besondere Stellung als Presseorgan, weshalb jede Einsichtnahme der Ermittlungsbehörden in die auf dem USB-Stick gespeicherten Daten verhindert werden soll.
Vor diesem Hintergrund war klar, dass der Entscheidung über den Hauptantrag und damit dem durch das Fachrecht vorgesehenen Rechtsbehelf nach § 110 Abs. 4, § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO praktisch keine Bedeutung mehr zukommt, sobald die Ermittlungsbehörden den USB-Stick ausgewertet haben. Um daher einem solchen irreversiblen Zustand zuvorzukommen, hat die Beschwerdeführerin einen Eilantrag formuliert. Damit hatte sie einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf dessen seiner Dringlichkeit entsprechenden Bescheidung.
Ein Zurückstellen der Entscheidung über den Eilantrag seit nunmehr über acht Monaten ist hiermit unvereinbar. Ein dies rechtfertigender Grund folgt auch – worauf das Land Berlin in seiner Stellungnahme gedrungen hat – nicht daraus, dass der Ermittlungsrichter zunächst vor Entscheidung über die Anträge der Beschwerdeführerin vom 1. November 2022 abwarten durfte, wie über eine durch den Geschäftsführer der Beschwerdeführerin im eigenen Namen angebrachte Beschwerde entschieden wird. Ein solches am Gedanken der Prozessökonomie ausgerichtetes Vorgehen kann allenfalls rechtfertigen, dass die Entscheidung über den Hauptantrag vom 1. November 2022 zurückgestellt wird, um divergierende Sachentscheidungen zu vermeiden. Dies gilt für den Eilantrag vom 1. November 2022 hingegen nicht, weil die Beschwerdeführerin mit diesem keine Entscheidung in der Sache, sondern nur eine vorläufige Sicherung ihrer geltend gemachten Rechtsposition begehrt.