Am 16.09.2021 fand auf Einladung des Präsidenten des LG Frankfurt am Main Dr. Wilhelm Wolf ein länderübergreifendes Qualitätsmanagement der Präsidentinnen und Präsidenten der großen Landgerichte statt. Die Teilnehmenden haben Bereiche benannt, die ein Handeln dringend erfordern, um die Gerichte in Deutschland zukunftsfähig zu machen. In einer gemeinsamen Erklärung haben sie ihre Forderungen festgehalten.
Aus der Pressemitteilung des LG Frankfurt vom 20.09.2021 ergibt sich:
Präsident des Landgerichts Frankfurt am Main Dr. Wilhelm Wolf: „Dank motivierter und engagierter Kolleginnen und Kollegen erfüllen unsere Gerichte ihre rechtsstaatliche Aufgabe der Justizgewährung noch immer eindrucksvoll. Auch während der Pandemie ist es so gelungen, die zentralen Rechtsprechungsaufgaben zu bewältigen. Unter den Präsidentinnen und Präsidenten der großen deutschen Landgerichte besteht aber Einigkeit, dass bestimmte Verbesserungen und zeitgemäße Reformen zwingend notwendig sind, damit Streitigkeiten insbesondere wirtschaftsrechtlichen Inhalts auch künftig vor den unabhängigen, staatlichen Gerichten ausgetragen werden und die Rechtssuchenden keine anderen Wege der Streitlösung suchen.“
Stärkung der Kammern für Handelssachen
Die staatlichen Gerichte stehen bei wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten zunehmend in Konkurrenz zu privaten Schiedsgerichten. Insbesondere die Kammern für Handelssachen müssen künftig gerade für mittelständische Unternehmen das Mittel der Wahl darstellen, um in hoher Qualität und zeitnah einen Rechtsstreit ökonomisch sinnvoll zu erledigen. Bislang entscheiden hier ein Berufsrichter und zwei Handelsrichter als Laien. Die Präsidentinnen und Präsidenten der großen Landgerichte fordern, die Zahl der Berufsrichter an den Kammern für Handelssachen auf drei Richter zu erhöhen. Denn in komplexen Verfahren kann die Befassung mehrerer Berufsrichter eine Arbeitsteilung und den professionellen Austausch innerhalb der Kammer zur optimalen Vorbereitung der Verfahren und Verhandlungen ermöglichen und die Effizienz und Expertise der Kammer steigern. Entscheidungen durch mehrere Berufsrichter bieten eine bessere Gewähr für hohe Qualität und leisten darüber hinaus einen Beitrag zur Entwicklung spezialisierter richterlicher Kompetenz.
Die Beteiligung von Handelsrichtern als juristischen Laien ist daneben unverzichtbar, um die für den jeweiligen Rechtsstreit zentralen ökonomischen Hintergründe und Zusammenhänge vollständig zu erfassen, die in der Entwicklung und Erarbeitung gerichtlicher Vorschläge und Entscheidungen abzuwägen sind. Handelsrichter müssen daher weiterhin bei den Kammern für Handelssachen mitwirken. Ihre Beteiligung insbesondere an den großen Gerichtsstandorten hat sich nach übereinstimmender Einschätzung der Präsidentinnen und Präsidenten überaus bewährt. Es wäre jedoch ein Gewinn, die spezifischen Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten der Handelsrichter noch gezielter zu nutzen. Hierzu sollte an den Gerichten ein Pool von Handelsrichtern geschaffen werden. Dadurch könnten diejenigen Handelsrichter ausgewählt werden, die mit den Usancen der jeweiligen Branche am besten vertraut sind und dort eine spezifische Expertise haben.
Umgang und Bewältigung von Massenklagen – Aussetzung von Verfahren
Klagewellen in Massenverfahren haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen, etwa in den sog. Abgasfällen, jüngst nach der Insolvenz der Wirecard AG oder generell bei bestimmten Kapitalanlagen. Spezialisierte Anwaltskanzleien und die Digitalisierung des Rechtsmarktes befeuern diese Klagewellen. Der Justiz fehlen geeignete prozessuale Mittel, um dieser Masse an Verfahren Herr zu werden. Die im Jahr 2018 eingeführte Musterfeststellungsklage hat sich als wenig tauglich erwiesen und nicht die vom Gesetzgeber prophezeite Verbreitung gefunden. Es müssen daher zwingend weitere Instrumente geschaffen werden. Die Präsidentinnen und Präsidenten fordern den Gesetzgeber auf, die Aussetzung von individuellen Klagen einzelner Verbraucher bis zum Abschluss einer Muster- oder Verbandsklage oder bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung in parallelen Rechtstreitigkeiten zu ermöglichen. Auf diese Weise könnten Ressourcen gebündelt und letzten Endes die Gesamtheit der Klagen schneller erledigt werden.
Höhere Vergütung besonders verantwortungsvoller richterlicher Tätigkeiten
Für besonders anspruchsvolle richterliche Aufgaben und insbesondere im Bereich der Justizverwaltung besteht der ständige und dringende Bedarf an hoch qualifizierten und motivierten Richterinnen und Richtern. Um die Übernahme dieser wichtigen Tätigkeiten für geeignete Kandidaten attraktiver zu machen, sollten die betreffenden Vorsitzendenstellen mit Amtszulagen versehen werden. Die Besoldungsregelungen in Bayern und Baden-Württemberg sehen Derartiges für Vorsitzende als sog. Weitere Aufsichtsführende Richter an den Landgerichten bereits vor. Diesem Vorbild sollten die anderen Länder folgen. Durch die Amtszulage würden die Aussichten im Wettbewerb um Führungspositionen maßgeblich verbessert und damit ein Engagement in der Gerichtsverwaltung für die richterliche Laufbahn deutlich attraktiver.
Länderübergreifendes Qualitätsmanagement
Die Präsidentinnen und Präsidenten der großen Landgerichte in Deutschland treffen sich ein- bis zweimal jährlich zu einem Erfahrungs- und Meinungsaustausch. Es nehmen regelmäßig teil die Präsidentinnen und Präsidenten der Landgerichte Bamberg, Berlin, Bonn, Braunschweig, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Hildesheim, Koblenz, Köln, Landshut, Leipzig, München I, Nürnberg-Fürth, Osnabrück, Rostock, Saarbrücken, Stuttgart. Am 16. September 2021 fand das Treffen als Online-Konferenz statt.