Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat mit Urteil vom 09.03.2021 zum Aktenzeichen 5 Sa 226/20 entschieden, dass wenn der Arbeitgeber unmittelbar nach Stattgabe der Kündigungsschutzklage und Verurteilung zu vorläufigen Weiterbeschäftigung den Arbeitnehmer auffordert, die Arbeit wiederaufzunehmen, er regelmäßig nur seiner Verpflichtung aus dem Urteil nachkommen will.
Ohne weitere Anhaltspunkte kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber mit der tatsächlichen Beschäftigung zugleich den Abschluss eines Arbeitsvertrags herbeiführen oder ein neues Arbeitsverhältnis begründen will.
Die Arbeitsaufforderung kann auch dann auf eine Erfüllung der Weiterbeschäftigungspflicht gerichtet sein, wenn der Arbeitnehmer nicht die Zwangsvollstreckung angedroht oder der Arbeitgeber nicht ausdrücklich auf den Weiterbeschäftigungstitel oder eine drohende Zwangsvollstreckung Bezug genommen hat.
Die Parteien streiten im Anschluss an ein vorangegangenes Kündigungsschutzverfahren, das zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung führte, über die Wirksamkeit weiterer außerordentlicher und ordentlicher Kündigungen, insbesondere über die Rechtswirkungen einer Prozessbeschäftigung.
Die Arbeitsvertragsparteien können im Rahmen der Vertragsfreiheit während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses ausdrücklich oder konkludent vereinbaren, dass das Arbeitsverhältnis auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage oder befristet bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens fortgesetzt wird. Durch eine solche Weiterbeschäftigungsvereinbarung schaffen die Parteien für die Beschäftigung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage eine arbeitsvertragliche Grundlage. Ob einer tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist ein derartiger Vertrag zugrunde liegt, ist durch Auslegung der ausdrücklichen oder konkludenten Erklärungen der Parteien zu ermitteln.
Fordert der Arbeitgeber einen gekündigten Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist, aber noch vor einer erstinstanzlichen Entscheidung auf, seine Tätigkeit bis zur Entscheidung über die Kündigungsschutzklage fortzuführen, geht der Wille der Parteien regelmäßig dahin, das Arbeitsverhältnis, das der Arbeitgeber durch die Kündigung beenden möchte, bis zur endgültigen Klärung, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt die Kündigung wirksam geworden ist, fortzusetzen oder für die Dauer des Rechtsstreits ein befristetes Arbeitsverhältnis zu begründen. Anders kann das Verhalten der Arbeitsvertragsparteien nicht verstanden werden. Denn der Arbeitnehmer ist auf Grund des gekündigten Arbeitsverhältnisses zu weiterer Arbeitsleistung nicht verpflichtet und der Arbeitgeber muss vor Erlass eines die Kündigung für unwirksam erklärenden Urteils den Arbeitnehmer in der Regel nicht weiterbeschäftigen.
Nach Erlass eines der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteils ist die Situation eine andere. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs erfüllt, besteht eine entsprechende Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers auch ohne ein entsprechendes klagestattgebendes Urteil. Gibt ein Arbeitsgericht der Weiterbeschäftigungsklage eines Arbeitnehmers statt, tituliert es lediglich einen bestehenden Anspruch. Dieser ist auf die tatsächliche Beschäftigung gerichtet und sichert das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber ist nur zu einer tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers, nicht aber zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit diesem verpflichtet. Auch begründet die vorläufige Weiterbeschäftigung kein „faktisches bzw. fehlerhaftes Arbeitsverhältnis“. Der Arbeitnehmer ist allerdings nicht verpflichtet, seinen titulierten Anspruch durchzusetzen. Hat er die Arbeit aufgenommen, kann er sie auch wieder einstellen. Die Rückabwicklung einer zu Unrecht erfolgten Weiterbeschäftigung richtet sich nach Bereicherungsrecht. Zu einer solchen Rückabwicklung kann es kommen, wenn das Arbeitsgericht eine Kündigung als unwirksam angesehen hat, während die Kündigungsschutzklage später in einer höheren Instanz rechtskräftig abgewiesen wird. Gleiches kann bei einer späteren gerichtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung (§ 9 KSchG) gelten.
Kommt der Arbeitgeber einem Weiterbeschäftigungsverlangen des Arbeitnehmers zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung nach, macht er deutlich, nur die aus dem vorläufig vollstreckbaren Titel folgende Rechtspflicht gemäß § 362 Abs. 1 BGB erfüllen zu wollen. Ohne weitere Anhaltspunkte kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Arbeitgeber mit der tatsächlichen Beschäftigung zugleich den Abschluss eines Arbeitsvertrags herbeiführen und das Arbeitsverhältnis über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus fortsetzen oder ein neues Arbeitsverhältnis begründen will. Die bloße Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betriebsablauf durch Aufnahme der Beschäftigung begründet kein Arbeitsverhältnis.
Wird das die Weiterbeschäftigungspflicht aussprechende Urteil jedoch aufgehoben, kann sich der Arbeitgeber nicht mehr darauf berufen, die Beschäftigung sei nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolgt. Setzen die Arbeitsvertragsparteien das Arbeitsverhältnis dadurch fort, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Betrieb nicht einstellt und der Arbeitgeber die Vergütung fortzahlt, ohne dass der Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung verpflichtet ist, ist davon auszugehen, dass sie das gekündigte oder durch Fristablauf beendete Arbeitsverhältnis bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Bestandsschutzrechtsstreit fortsetzen wollen.
Verträge kommen durch auf den Vertragsschluss gerichtete, einander entsprechende Willenserklärungen zustande, indem das Angebot („Antrag“) der einen Vertragspartei gemäß den §§ 145 ff. BGB von der anderen Vertragspartei angenommen wird. Willenserklärung ist jedes Verhalten, das darauf gerichtet ist, Rechte zu begründen, zu ändern oder aufzuheben. Maßgeblich ist, wie sich das Verhalten aus der Sicht des Erklärungsempfängers bei verständiger Betrachtung darstellt.
Was die Parteien letztlich gewollt haben, ist durch Auslegung der entsprechenden Vereinbarungen zu ermitteln. Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist zunächst vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Parteiwillens sind darüber hinaus die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Ebenso sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen.
Die Beklagte hat den Kläger im Anschluss an die Urteilsverkündung zur Arbeit aufgefordert, um die soeben titulierte Beschäftigungspflicht zu erfüllen.
Der Kläger hat zwar nach Erlass des Urteils nicht erneut die Weiterbeschäftigung eingefordert oder eine Zwangsvollstreckung angedroht. Das ist aber auch nicht erforderlich. Nachdem das Arbeitsgericht festgestellt hatte, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch alle 4 bis dahin ausgesprochenen Kündigungen nicht endete, war die Beklagte verpflichtet, den Kläger wieder zu beschäftigen.
Die Aufforderung der Beklagten gegenüber dem Kläger, die Arbeit wiederaufzunehmen, steht im Zusammenhang mit der unmittelbar vorangegangenen Verhandlung und Urteilsverkündung. Unerheblich ist, dass die Beklagte den Sinn und Zweck der Arbeitsaufforderung nicht ausdrücklich angesprochen hat, also den Kläger „zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung“ oder „aufgrund des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs“ zur Arbeitsaufnahme aufgefordert hat. Das ergab sich ohne weiteres für den Kläger erkennbar aus dem engen zeitlichen Zusammenhang mit der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Die Beklagte wollte keinesfalls einen neuen Arbeitsvertrag schließen oder ein neues Arbeitsverhältnis eingehen. Sie wollte lediglich das alte Arbeitsverhältnis auf der Grundlage des Arbeitsvertrages wieder in Vollzug setzen, so wie es sich aus dem arbeitsgerichtlichen Urteil ergab.
Die Parteien haben weder über Inhalte des Arbeitsvertrages verhandelt noch die streitige Frage der zu übertragenden Arbeitsaufgaben erörtert. Ebenso wenig hat die Beklagte auf Rechtsmittel verzichtet oder anderweitig deutlich gemacht, das arbeitsgerichtliche Urteil hinnehmen zu wollen. Es gibt keine Umstände, die aus Sicht des Klägers für die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses hätten sprechen können. Er hatte kurz vor der Urteilsverkündung eine Beendigung seines Arbeitsverhältnisses endgültig abgelehnt und ausdrücklich eine Fortsetzung dieses Arbeitsverhältnisses verlangt, da er dies für das Beste hielt. Nachdem das Arbeitsgericht seinen Anträgen sodann gefolgt war, musste die Beklagte davon ausgehen, der Kläger werde nunmehr diesen Wunsch unverzüglich in die Tat umsetzen und eine Weiterbeschäftigung durchsetzen. Der unmittelbar nach der Urteilsverkündung vom Kläger gestellte Urlaubsantrag lässt ebenfalls den Willen erkennen, die Weiterbeschäftigung geltend zu machen. Andernfalls hätte es keinen Grund gegeben, eine vorübergehende Befreiung von der Arbeitsleistung durch die Gewährung von Urlaub zu beantragen. Die Beklagte hat mit der Aufforderung des Klägers, die Arbeit wiederaufzunehmen, lediglich auf dessen Weiterbeschäftigungsverlangen reagiert. Eine weitergehende rechtliche Bindung wollte sie nicht eingehen, da sie hieran erkennbar kein Interesse hatte. Mit der Arbeitsaufforderung verfolgte sie ausschließlich den Zweck, das umzusetzen, wozu sie nach dem Urteil verpflichtet war, nämlich den Kläger auf der Grundlage des bisherigen Arbeitsvertrages tatsächlich zu beschäftigen. Daran hat sich auch später, insbesondere bei der tatsächlichen Arbeitsaufnahme, nichts geändert.