Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 10.01.2025 zum Aktenzeichen 19 Ca 4971/24 in einem vom Fachanwalt für Arbeitsrecht Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. von der Kölner kanzlei JURA.CC vertretenen Fall entschieden, dass es für eine Arbeitnehmerin unzumutbar sein, weiter beim Arbeitgeber zu arbeiten, wenn dieser die Arbeitnehmerin mit Kündigungen und Abmahnungen überzieht und die Kündigungen dann zurück nimmt und die Arbeitnehmerin zur Aufnahme der Arbeit auffordert.
Der Auflösungsantrag der Klägerin ist begründet. Beide Arbeitsverhältnisse sind gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.
Der Auflösungsantrag ist hinsichtlich beider Arbeitsverhältnisse statthaft. Denn die streitgegenständlichen – ordentlichen – Kündigungen sind mangels sozialer Rechtfertigung unwirksam. Da der Beklagte zu 1. und die Beklagte zu 2. darauf verzichtet haben, sich auf Wirksamkeitsgründe zu berufen, sind keine Gründe i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG vorgetragen worden, die eine soziale Rechtfertigung der Kündigung begründen würden.
Der Auflösungsantrag ist auch begründet, weil die Fortsetzung der beiden Arbeitsverhältnisse der Klägerin nicht zuzumuten ist.
Für den Auflösungsantrag des Arbeitnehmers verlangt § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG als Auflösungsgrund, dass dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Der Begriff der Unzumutbarkeit deckte sich nach der älteren Rechtsprechung mit dem, der bei einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer erfüllt sein musste (siehe dazu Ascheid/Preis/Schmidt/Biebl, 6. Aufl. 2021, KSchG § 9 Rn. 33 mwN). Seit der Entscheidung des BAG vom 26.11.1981 (2 AZR 509/79, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 8) werden an die Unzumutbarkeit geringere Anforderungen gestellt. Da sich die Normzwecke des § 626 Abs. 1 BGB und des § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht decken, sind unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe für den Begriff der Unzumutbarkeit in den beiden Vorschriften anzulegen. Während bei § 626 Abs. 1 BGB darauf abzustellen ist, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht wenigstens bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist, kommt es bei § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG darauf an, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit zumutbar ist. Gründe, die zur fristlosen Kündigung berechtigen, machen zwar stets auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG unzumutbar. Andererseits können aber schon solche Tatsachen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG unzumutbar machen, die für eine fristlose Kündigung nicht ausreichen (ebenso die ganz h.M. in der Literatur, vgl. nur Ascheid/Preis/Schmidt/Biebl, KSchG § 9 Rn. 33 mwN). Danach genügt es, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer zu unerträglichen Bedingungen führt.
Die Auflösungsgründe müssen aber im Zusammenhang mit der Kündigung oder mit dem Kündigungsschutzprozess stehen (Ascheid/Preis/Schmidt/Biebl, 6. Aufl. 2021, KSchG § 9 Rn. 34). Sie können sich ergeben aus den Modalitäten der Kündigung selbst, mit der Kündigung verbundenen unzulässigen Maßregelungen oder aus weiteren Handlungen des Arbeitgebers, die mit der Kündigung einhergehen (BAG vom 24.09.1992, 8 AZR 557/91, NZA 1993, 362; vom 11.07.2013, 2 AZR 241/12, NZA 2013, 1259).
Die Sozialwidrigkeit der Kündigung allein reicht für die Unzumutbarkeit des § 9 KSchG dabei nicht aus. Denn der Arbeitnehmer hat nicht die freie Wahl, ob er bei festgestellter Unwirksamkeit der Kündigung das Arbeitsverhältnis fortsetzen oder ob er gegen eine Abfindung ausscheiden will (Ascheid/Preis/Schmidt/Biebl, KSchG § 9 Rn. 35). In der Regel treten durch jede Kündigung Spannungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf. Diese allein vermögen einen Auflösungsantrag noch nicht zu rechtfertigen (BAG vom 24.09.1992, 8 AZR 557/91, NZA 1993, 362). Je „sozialwidriger“ die Kündigung jedoch ist, desto geringer sollten die Anforderungen an die Unzumutbarkeit sein. Belastete z.B. der Arbeitgeber durch Ausspruch einer offensichtlich unbegründeten Kündigung das Arbeitsverhältnis erheblich, werden regelmäßig schon geringfügige weitere Gründe genügen, um einen Auflösungsantrag des Arbeitnehmers zu rechtfertigen (Ascheid/Preis/Schmidt/Biebl, KSchG § 9 Rn. 35).
Anders als bei der Beurteilung der Sozialwidrigkeit der Kündigung kommt es bei der Prüfung der Unzumutbarkeit nicht auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag an. Nur von ihm aus kann eine verlässliche Prognose getroffen werden, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit zumutbar ist (BAG vom 23.06.2005, 2 AZR 256/04, NZA 2006, 363; vom 08.10.2009, 2 AZR 682/08, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 65; Ascheid/Preis/Schmidt/Biebl, KSchG § 9 Rn. 35).
Vorliegend war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Klägerin sowohl mit dem Beklagten zu 1. als auch mit der Beklagten zu 2. unzumutbar. Da die Beklagten faktisch personenidentisch sind, führt das Verhalten des Beklagten zu 1. während des vorliegenden Prozesses auch zur Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten zu 2.
Der Beklagte zu 1. hat zunächst eine unwirksame Änderungskündigung ausgesprochen, die nach Nichtannahme des Änderungsangebots auch zur unwirksamen Beendigungskündigung wurde.
Bereits der Umstand, dass die angebotenen Änderungen bereits dreizehn Tage nach Ausspruch der Änderungskündigung greifen sollten, hätte die Änderungskündigung unwirksam gemacht und führte zu einer erheblichen Belastung des Arbeitsverhältnisses. Denn die ordentliche Kündigungsfrist hätte nach § 622 Abs. 2 Nr. 2 BGB gewöhnlich zwei Monate betragen. Änderungen hätten mithin frühestens mit Wirkung zum 01.11.2024 angeboten werden dürfen. Eine solch kurze Fristsetzung setzte die Klägerin nachvollziehbar erheblich unter Druck, auch, sich rechtlichen Rat zu suchen und gegen die Kündigung vorzugehen, schon wegen § 7 Hs. 1 KSchG. Dass der Beklagte zu 1. der Klägerin in dieser Situation die Erhebung der Kündigungsschutzklage – ohne dies dem Beklagten zu 1. gegenüber zu kommunizieren – zu Unrecht übelnahm, hat zur weiteren Eskalation und – unstreitig – auch zur ordentlichen Kündigung durch die Beklagte zu 2. geführt. Letzteres stellt damit ausdrücklich eine Maßregelung der Klägerin durch die Beklagte zu 2. für die Ausübung von Rechten dar.
Weiter führt der Beklagte 1. in der Klageerwiderung vielfache Arbeitszeitaufzeichnungen der Klägerin auf, die als falsch und unverschämt bezeichnet werden, obwohl nicht einmal der Beklagte zu 1. genau darstellen kann, was denn eigentlich die arbeitsvertragliche Tätigkeit der Klägerin zu welchen Zeitanteilen ist. Eine irgendwie geartete Vertragsänderung ist nicht substantiiert vorgetragen worden. Vielmehr scheint es so, dass der – hiermit überforderten – Klägerin mit der Zeit immer qualifiziertere Aufgaben übertragen wurden. Dass die Klägerin für diese Arbeiten dann mehr Zeit braucht als eine Lohnbuchhalterin, war für die Kammer nachvollziehbar. Der Beklagte zu 1. wirft es der Klägerin als Fehlverhalten vor.
Schon ausweislich des eigenen Vortrags des Beklagten zu 1. scheint die außerordentliche Kündigung auch eine Reaktion auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage selbst zu sein, spricht der Beklagte in der Klageerwiderung vom 13.11.2024 doch davon, das Vorgehen der Klägerin habe ein „gewisses Ärgernis“ bei den Beklagten (gemeint sind wohl gemeinschaftlich 1. und 2.) geweckt.
Auch die weitere Prozessführung zeigt, dass eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht mehr möglich ist. Nach der Rücknahme der Kündigung – die materiell allenfalls ein Angebot der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses darstellt, erteilen beide Beklagten trotz der weiterhin streitigen außerordentlichen Kündigungen zu Unrecht Abmahnungen, weil die Klägerin nicht zur Arbeit erscheint. Einerseits den Prozess um die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung fortzuführen und andererseits von der Klägerin eine Arbeitsleistung zu verlangen ist höchst widersprüchlich, die Abmahnungen insofern missbräuchlich. Hätten die Beklagten eine Fortsetzung erzwingen wollen, wäre ein Anerkenntnis ausreichend und sinnvoll gewesen, was aber nicht geschehen ist.
Letztlich bringen die Beklagten die Klägerin in erhebliche finanzielle Bedrängnis, indem die Erteilung einer Einkommensbescheinigung verweigert wird, die die Klägerin ausweislich des Bescheids des Jobcenters benötigt, damit die Höhe der Sozialleistungen festgesetzt werden kann. Die Anspruchsberechtigung und auch die Folgen der fehlenden Mitwirkung werden dem Beklagten zu 1. als Steuerberater durchaus bekannt sein, so dass die Kammer nur von einer vorsätzlichen Vorgehensweise zur Maßregelung der Klägerin ausgehen kann.